Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Suizidhilfe

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21.04.2021

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ein Begriff ist in der Debatte um die Hilfe zur Selbsttötung zentral: Selbstbestimmung. Jeder Suizidwunsch verdient grundsätzlich Akzeptanz. Das Bundesverfassungsgericht hat etwas sehr Wichtiges klargestellt. Es sagt: Die Selbstbestimmung von Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, kann durch vielfältige innere und äußere Einflüsse, durch Drucksituationen gefährdet sein. Ein Schutzkonzept sichert hier also die Selbstbestimmung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Stellen Sie sich zum Beispiel eine alte, pflegebedürftige Frau vor. Sie hat eine geringe Rente und Angst, ihren Angehörigen zur Last zu fallen, und sie hat Sorge um ihr mühsam zusammengespartes Erbe. Wenn sie über einen Suizid nachdenkt, dann mögen diese Gedanken ausgelöst sein durch diese Sorgen. Auch seelische Erkrankungen, die Angst vor Autonomieverlust, Einsamkeit können solche Drucksituationen sein. Das Bundesverfassungsgericht spricht von sozialen Pressionen und Nützlichkeitserwägungen, die dazu führen können, dass sich der assistierte Suizid als normale Form, das Leben zu beenden, insbesondere bei alten und kranken Menschen durchsetzt. Ich meine: Eine solche Normalisierung darf niemals eintreten!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Kein Mensch darf vom Staat das Signal bekommen, sie oder er sei überflüssig und werde nicht gebraucht.

Stand der Wissenschaft ist, dass die allermeisten Suizidwünsche volatil, also unbeständig sind. Genau das kann ich aus meiner langjährigen Praxis als Ärztin und Psychotherapeutin bestätigen. Der suizidale Gedanke ist zumeist nicht der Wunsch nach dem Tod, sondern der Wunsch nach einer Zäsur, der Wunsch nach einer Pause von einer als unerträglich empfundenen Situation. Je leichter der Zugang zu Suizidmitteln ist, desto häufiger sind Suizide. Menschen in Krisen brauchen Hilfe, um aus dieser Situation herauszukommen und wieder selbstbestimmt leben zu können. Das können die Schuldnerberatung, die Suchtberatung genauso wie ärztliche oder psychotherapeutische Unterstützung sein. Die Hilfe zum Tod hingegen zementiert das Ende der Selbstbestimmung. Menschen auf dem Sterbebett erleben durch menschliche Zuwendung, durch palliative Versorgung, dass ihre Selbstbestimmung gewahrt wird.

Das Bundesverfassungsgericht warnt vor Versorgungslücken, die gerade angesichts des steigenden Kostendrucks im Pflege- und Gesundheitssystem zu Ängsten vor dem Verlust der Selbstbestimmung führen und dadurch Suizidentschlüsse fördern. Das heißt: Wir brauchen eine bessere Suizidprävention.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Beatrix von Storch [AfD] und Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Hilfe zum Suizid muss unbedingt eingebettet sein in ein Schutzkonzept. Nur so kann die Selbstbestimmung jeder und jedes Einzelnen gewahrt werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Kappert-Gonther. – Nächster Redner ist der Kollege Hermann Gröhe aus der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD] und Benjamin Strasser [FDP])