Rede von Katja Keul Suizidhilfe

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21.04.2021

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor sechs Jahren stand ich hier und habe als Minderheitenposition die geltende Rechtslage zur Sterbehilfe verteidigt, nach dem Motto „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen“. Das gilt erst recht fürs Strafrecht, dem schärfsten Schwert des Staates, das nur als Ultima Ratio, also als letztes Mittel, zum Einsatz kommen darf.

Das Verfassungsgericht war in seiner Entscheidung deutlicher, als ich es je zu hoffen gewagt hatte. Sterbehilfe ist aufgrund des Urteils in Deutschland wieder möglich und wird auch praktiziert. Dennoch stehe ich heute hier und vertrete einen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe, den ich gemeinsam mit der Kollegin Renate Künast verfasst habe. Das ist zugegebenermaßen erklärungsbedürftig. Warum also tue ich das?

Erstens. Der Zugang zu Pentobarbital als sicherstem tödlichen Mittel wird den Sterbewilligen nach wie vor verwehrt. Trotz eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts hat der Bundesgesundheitsminister mit seinem Nichtanwendungserlass die Betroffenen im Regen stehen lassen. Wir wollen daher den gesetzlichen Zugang und den Anspruch auf die Verschreibung von Pentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung festschreiben.

Zweitens. Aktuell beurteilen Sterbehelfer selbst, ob der Sterbewunsch auf einer freien, unbeeinflussten Willensbildung beruht oder nicht. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf das Vieraugenprinzip verankern und die Zulassung von Sterbehilfevereinen an bestimmte Kriterien binden. Ja, das ist eine einschränkende Reglementierung, aber das ist legitim – auch im Sinne des Verfassungsgerichtes, das ausdrücklich betont hat, dass wir als Gesetzgeber den berechtigten Sorgen vor Missbrauch oder Übervorteilung durch Ausgestaltung des Verfahrens Rechnung tragen können.

Drittens. Anders als andere wollen wir ein differenziertes Verfahren vorsehen, je nachdem, ob ein Sterbewilliger sich in einer medizinischen Notlage befindet oder schlicht aus anderen Gründen sein Leben beenden will. In einer medizinischen Notlage stehen in der Regel die behandelnden Ärzte und Ärztinnen in der Verantwortung, die unter Einbeziehung einer weiteren Kollegin die Lage einzuschätzen vermögen.

Ein Sterbewilliger jenseits der medizinischen Notlage hat allerdings keine Ärztin an seiner Seite, und es ist auch kaum vorstellbar, dass sich Ärzte und Ärztinnen finden, die in solchen Fällen bereit wären, Sterbehilfe für einen gesunden Menschen zu leisten. Hier braucht es also einen zusätzlichen Weg, wenn wir diesen Menschen den Zugang zur Sterbehilfe nicht verwehren wollen.

Deswegen schlagen wir hier eine verpflichtende Beratung durch eine unabhängige Beratungsstelle vor. Diese Beratungsstellen müssen geeignetes, qualifiziertes Personal vorhalten und dürfen die Beratung nur bescheinigen, wenn sie keine Mängel bei der Willensbildung des Sterbewilligen feststellen können. Außerdem müssen zwei Beratungen in einem zeitlichen Mindestabstand stattfinden, um die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches zu dokumentieren. Eine solche Pflichtberatung trägt im Übrigen auch zur Suizidprävention bei.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Am Ende eröffnet die Bescheinigung einer solchen Beratungsstelle dann den Anspruch auf den Bezug des tödlichen Mittels unabhängig von einer medizinischen Notlage. So regeln wir die Sterbehilfe jenseits des Strafrechtes in einem Rahmen, der den Sterbewilligen einen gewissen Schutz bietet, den Sterbehelfern eine gewisse Rechtssicherheit und die Selbstbestimmung am Lebensende achtet.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Brand aus der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Benjamin Strasser [FDP])