Target-Forderungen der Bundesbank

28.09.2018

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Fabio De Masi dankbar dafür, dass er hier den richtigen Punkt gesetzt hat. Es geht um eine rein technische Frage, die in anderen Ländern der Welt keinen Menschen interessiert.

(Widerspruch bei der AfD)

Bloß in Deutschland gibt es ein paar Leute, die aus einem rein statistischen Phänomen eine Angstdebatte machen,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

um die Leute auf die Bäume zu treiben. Das ist unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der AfD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheint gesessen zu haben!)

Es ist unverantwortlich, weil ein funktionierendes Zahlungssystem die Grundlage für unseren wirtschaftlichen Wohlstand in Europa ist. Deswegen ist entscheidend, sicherzustellen, dass die Zahlungen immer laufen können, der Zahlungsstrom nicht aufgrund von Zuschlägen oder Sicherheiten irgendwann unterbrochen wird und damit die wirtschaftlichen Transaktionen im Binnenmarkt unterbrochen werden. Deswegen haben zu allen Zeiten vernünftige Zentralbanken immer dafür gesorgt, dass die Zahlungswege sichergestellt sind, und im Zweifelsfall nicht auf Sicherheiten gedrängt. Der Wirtschaftshistoriker Eichengreen hat es sehr schön anhand der USA analysiert. In den USA hat man über die Jahre hinweg immer auf den Vorrang des Funktionierens des Zahlungssystems gesetzt und keine Sicherheiten verlangt. Ihr Antrag ist wirtschaftsfeindlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Hermann-Josef Tebroke [CDU/CSU] – Zuruf von der AfD: Sie wollen ja 1923 haben, Herr Schick!)

Ich will noch einmal einen Vergleich mit den USA ziehen. Wir müssen einmal überlegen: Wo kommt das Phänomen überhaupt her? Warum gibt es das denn auch in den USA, die keine Euro-Krise hatten? In den USA ist dieses Phänomen in den Statistiken der einzelnen Notenbanken sichtbar,

(Peter Boehringer [AfD]: Nein! Null!)

und zwar in der Zeit, in der es eine sehr expansive Geldpolitik in der Krise gegeben hat, und in dem Maße, wie die zurückgeht, gehen auch die Salden zurück. Deswegen ist das ein Phänomen, welches uns nicht beunruhigen muss. In dem Moment, in dem die Euro-Krise überwunden wird, werden auch die TARGET-Salden zurückgehen. Lassen Sie uns also an den wirklichen Themen arbeiten und nicht an statistischen Phänomenen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie wären super als Tänzer auf der „Titanic“ gewesen!)

Ich will das mit dem statistischen Phänomen noch einmal deutlich machen. Und hören Sie auf, dazwischenzuquatschen, damit man den Gedanken folgen kann. Das würde Ihnen auch guttun an dieser Stelle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Lachen des Abg. Jürgen Braun [AfD] – Jürgen Braun [AfD]: Klasse, Herr Schick! Super Demokrat!)

In Europa ist das Zentralbankwesen aus historischen Gründen so organisiert, dass die einzelnen Transaktionen von den bisherigen nationalen Notenbanken gemacht werden. Damit wird die einzelne Transaktion, die man für die Geldpolitik braucht, mal in der Bundesbank, mal in der Banco de España verbucht. Man hätte es auch anders machen und sagen können: Alle Transaktionen mit dem Finanzsektor buchen wir in der EZB von Frankfurt aus. – Dann gäbe es die TARGET-Salden überhaupt nicht. Daran sehen Sie: Sie reden hier über ein statistisches Phänomen, um Leuten Angst zu machen. Aber über ein wirkliches Problem, nämlich dass wir immer noch nicht die Euro-Krise hinter uns haben, dass wir endlich mehr Investitionen brauchen und dass wir dringend eine stabile Währungsunion brauchen und deswegen zur Zusammenarbeit mit den anderen bereit sind, darüber wollen Sie nicht reden. Lassen Sie uns hier über die echten Probleme reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Danke schön! Alles gut!)

Jetzt sagen Sie: Wir müssen vorsorgen, falls Italien austritt. – Aber die Sicherheiten, die Sie sich geben lassen wollen, was sind das denn im Wesentlichen für Sicherheiten? Das wären ja im Wesentlichen Anleihen, die zum Beispiel die italienische Notenbank als Gegenposition zu den geldpolitischen Transaktionen hätte. Das sind dann im Wesentlichen italienische Staatsanleihen und italienische Unternehmensanleihen. Was wären diese im Moment des Austritts aus dem Euro denn wert? Wegen der Abwertung praktisch nichts. Das heißt, das ist eine Scheinsicherheit, die Sie da einfordern, und bringt im Krisenmoment, den Sie beschreiben, überhaupt nichts. Es ist also ein völliger Popanz, den Sie hier aufbauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Aber es gibt – das muss man natürlich sagen – ein Problem. Wenn tatsächlich ein Staat aus der Euro-Zone austreten würde, dann hätten wir in Deutschland ein massives ökonomisches Problem, allerdings nicht wegen der TARGET-Salden, sondern weil plötzlich die Währungsrelationen durcheinander gerieten. Es käme zu einer Finanzkrise ohne Ende. Wenn Italien austreten würde, dann war die Lehman-Krise eine Kleinigkeit gegenüber der Krise in Europa, die dann ausbrechen würde. Wir sollten also alles dafür tun, damit es auf keinen Fall zu einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone kommt. Deswegen ist Ihre Politik ökonomisch das Gefährlichste für Deutschland, was man sich vorstellen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

An dieser Stelle verstehe ich auch die FDP nicht, die in ihrer Argumentation erstaunlich nah an der AfD dran ist. Mit der Einführung eines Insolvenzrechts für Staaten, das Italien oder anderen Staaten den Weg aus dem Euro-Raum hinaus ebnen würde, würden Sie die Wahrscheinlichkeit für ein solches Krisenszenario erhöhen. Deswegen: Die Aufgabe ist nicht, mit statistischen Phänomenen die Menschen auf die Bäume zu treiben, sondern die realen Probleme in der Euro-Zone anzugehen durch gemeinsame Investitionen, durch eine Vervollständigung der Banken-Union, dadurch, dass wir endlich Stabilität und Sicherheit im Euro-Raum schaffen. Das ist gut für Bürgerinnen und Bürger. Das ist gut für unsere Wirtschaft. Folgen Sie nicht denjenigen, die Angst machen wollen, wo es überhaupt keinen Grund zur Angst gibt, sondern lassen Sie uns die realen Probleme lösen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)