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17.03.2022

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir kennen das ja schon aus der letzten Wahlperiode: Die AfD spielt sich als einzige Verfechterin der Meinungsfreiheit auf.

(Beifall bei der AfD – Martin Hess [AfD]: Was sie auch ist!)

Wir wissen auch, dass das alles andere als glaubwürdig ist; denn Sie beschimpfen Andersdenkende, hetzen gegen Menschengruppen und diskreditieren Journalistinnen und Journalisten und unabhängige Medien. Das zeigt, was Sie unter Meinungsfreiheit verstehen. Dieses Verständnis teilt der Großteil dieses Hauses und auch der Bevölkerung nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Wenn ein Abgeordneter aus Ihren Reihen sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin noch einmal den Abgeordneten Eugen Schmidt; ich habe mir das Zitat ebenfalls angeschaut

(Zuruf von der AfD: Andere Argumente haben Sie wohl nicht?)

– ich finde es schlimm genug, dass solche Zitate zu lesen sind –: „Die Medien werden in Deutschland selbstverständlich komplett von der Regierung kontrolliert. Alternative, oppositionelle Meinungen sind nicht vertreten“,

(Zurufe von der AfD)

dann frage ich: In welcher Welt leben Sie eigentlich?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Allein, dass Sie solchen Unfug verbreiten können, zeigt doch, dass Sie Ihre Meinung hier frei äußern können. Das ist manchmal echt schwer zu ertragen, aber das hält die Demokratie aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der AfD: Oh!)

Der Abgeordnete setzte noch einen drauf und behauptete, die regierende Elite unterdrücke alle anderen Meinungen mit allen möglichen Mitteln und verfolge Andersdenkende in Deutschland mit Gewalt. Das, meine Damen und Herren, schürt Hass auf Politiker/-innen. Das können wir so nicht stehen lassen. Nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Halle, nach Hanau wissen wir, welche Taten folgen können. Diese zu verhindern, ist unsere Aufgabe. Einer solchen Aussage stellen wir uns als Demokratinnen und Demokraten entschieden entgegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])

Das war auch das Grundanliegen, weshalb das Netzwerkdurchsetzungsgesetz damals verabschiedet wurde. Dieses Anliegen war und ist berechtigt; denn in sozialen Netzwerken gibt es ein massives Problem mit rechtswidrigen Inhalten. Mord- und Gewaltaufrufe, extremistische und antisemitische Inhalte gehören dort zur Tagesordnung. Accounts von Demokratiefeinden, von rechtsextremen Gruppen oder von Pandemieleugnerinnen und ‑leugnern erreichen dort sechsstellige Follower-Zahlen. Bei der Vernetzung dieser Gruppen spielt Telegram eine entscheidende Rolle.

In diesem Dunstkreis mischen Sie mit. Das zeigen Äußerungen von AfD-Politikern zu Umsturz- und Bürgerkriegsfantasien auf Telegram. Sie sind daher weniger der tapfere Ritter im Kampf gegen Zensur. Vielmehr wollen Sie eine Regulierung verhindern, die strafrechtlich relevanten Kanälen ein Ende bereiten könnte, von deren Reichweite Sie profitieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille: Netzwerke wie Telegram ermöglichen eine niedrigschwellige, selbstorganisierte Kommunikation, auf die man in vielen Teilen dieser Welt bitter angewiesen ist. Das sehen wir derzeit in der Ukraine und in Russland,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

wo Journalisten und Journalistinnen und Oppositionelle wie auch Bürgerinnen und Bürger über diesen Dienst wichtige Informationen austauschen.

(Zuruf von der AfD: Und hier braucht man das auch!)

Das Informationsbedürfnis ist groß. Präsident Selenskyj, der hier heute Morgen gesprochen hat, erreicht über Telegram 1,5 Millionen Menschen. Zeitungen wie „Kyiv Independent“ berichten auf eigenen Kanälen über den russischen Angriffskrieg und versorgen die Menschen mit lebenswichtigen Informationen. Die Massendemonstrationen in Belarus vor anderthalb Jahren wurden über die App organisiert, als keine anderen Kommunikationswege mehr zur Verfügung standen.

Man möchte vor Scham in den Boden versinken, wenn Sie sich mit den Verfolgten in autoritären Regimen auf eine Stufe stellen

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und die Regulierung von sozialen Netzwerken als Schritt in die Diktatur anprangern. Wo bitte soll denn der autoritäre Staat sein, der Sie verfolgt, weil Sie Ihre hanebüchenen Verschwörungsmythen eines unterjochten Volkes kundtun, mit Desinformation aufwiegeln, menschenfeindliche Ressentiments bedienen und an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit balancieren?

Um es klar zu sagen: Eine Sperrung von Telegram ist falsch; das haben wir stets betont. Auch die Entfernung aus den App-Stores wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Zudem würde es ja nur dazu führen, dass die Akteure in andere Netzwerke abwandern. Das weiß auch die Bundesinnenministerin, die ja gestern den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt hat. Dass darin an erster Stelle steht, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, sie zu entwaffnen, ist die richtige Schwerpunktsetzung; denn hier wurde zu lange zugeschaut.

(Martin Reichardt [AfD]: Natürlich, weil man ja linksextreme Netzwerke unterstützen will!)

Und ja, Behörden müssen so aufgestellt sein, dass sie auch in sozialen Netzwerken nach rechtsstaatlichen Verfahren ermitteln können.

Der Messengerdienst als solcher ist ja nicht gefährlich. Auch die Motivation des Betreibers Pawel Durow mag einem hehren Ziel dienen, nämlich Nutzerdaten zu schützen, wie er es nach eigenem Bekunden bereits vor der russischen Regierung getan hat. Wir würden uns aber wünschen, dass er dafür auch endlich den Verschlüsselungsstandard von Telegram anhebt; denn noch müssen Oppositionelle, die verfolgt werden, zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen. Das Unternehmen muss erkennen, dass der Dienst massiv genutzt wird, um rechtswidrige Inhalte und Desinformationen zu verbreiten. Dabei drohen fatale Auswirkungen, wie wir es bei den gezielten Fehlinformationen im Kriegsgebiet in der Ukraine sehen können.

Bei aller Vorsicht vor Überregulierung: In einem öffentlichen Raum gibt es Regeln, und an die müssen sich auch Anbieter von Plattformen halten. Dabei geht es bei Telegram ja nicht um den Eingriff in die Eins-zu-eins-Kommunikation oder in geschlossene Chatgruppen. Es geht da um öffentliche Gruppen, die Telegram als Massenverbreitungsinstrument nutzen. Die verschiedenen Kommunikationsteile von Telegram müssen daher getrennt betrachtet werden.

Die Radikalisierung einer Minderheit, die in öffentlichen Gruppen stattfindet, stellt eine Bedrohung für die Gesellschaft und damit auch für unsere Demokratie dar. Es ist gut, dass es erste Anzeichen gibt, dass Telegram Verantwortung übernimmt. So löschte der Dienst bereits vor Jahren routinemäßig Propaganda des „Islamischen Staates“. In den vergangenen Wochen wurden auch 64 deutschsprachige Kanäle mit extremistischen Inhalten gesperrt. Aber um Willkür und unrechtmäßiges Löschen zu verhindern sowie Transparenz und Widerspruchsmöglichkeiten zu sichern, sind gesetzliche Regelungen notwendig.

Und wenn wir vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz sprechen – übrigens ein Überbleibsel aus der Vorgängerregierung –: Wir haben unsere Bedenken bezüglich der Verfassungskonformität und des Unionsrechts sowie datenschutzrechtliche Bedenken aufgrund der Datenweitergabe an das BKA jahrelang geäußert. Unsere Änderungsanträge wurden damals alle abgelehnt. Nun befassen sich die Gerichte damit.

Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Gesamtbetrachtung der Problematik geeinigt. Dazu gehören neben der Überarbeitung des NetzDG das Digitale Gewaltschutzgesetz, die Login-Falle und die Beseitigung offenkundig bestehender Durchsetzungsdefizite. Diese nationalen Regulierungen müssen in den europarechtlichen Rahmen eingebettet sein. Der Digital Services Act befindet sich gerade im Trilog. Je nach Verhandlungsergebnis könnte Telegram dann auch unter dieses Gesetz fallen. Und ich begrüße, dass sich abzeichnet, dass Plattformen künftig verpflichtet werden, bei strafbaren Inhalten einzugreifen und deutlich besser mit den Behörden zu kooperieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wir müssen uns zudem der grundsätzlichen Frage widmen, wie angesichts der fortschreitenden Fragmentierung von Öffentlichkeit im Digitalen eine gemeinsame Basis für den sachorientierten demokratischen Diskurs gefunden werden kann. Dass eine Nichtregulierung auf Dauer schwerwiegende Auswirkungen auf den Meinungsbildungsprozess hat, zeigen Studien. Jeder zweite junge Erwachsene hat bereits digitale Gewalt erfahren. Nutzer/-innen ziehen sich deshalb aus öffentlichen Diskursen zurück. Hasskriminalität vergiftet den demokratischen Diskurs und spaltet die Gesellschaft. Es ist daher dringend erforderlich, öffentliche digitale Kommunikationsräume so zu gestalten, dass eine gemeinsame Debatte gewährleistet ist, in der sich die Menschen ihre Meinung tatsächlich frei bilden können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD)

Unterschätzt wird in diesem Zusammenhang der Aspekt der Monetarisierung von Inhalten. Der Werbemarkt digitaler Medien hat den der analogen seit 2021 auf Platz zwei verdrängt. Dabei profitieren Plattformen ja von der Reichweite polarisierender Inhalte. Das ist ein Geschäftsmodell, das genauer betrachtet werden muss; denn es befördert das Auseinanderdriften der Gesellschaft und untergräbt genau diese gemeinsame Basis für öffentliche Debatten.

(Zuruf von der AfD)

Eine wichtige Rolle spielt da der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er wird von den Bürgerinnen und Bürgern, also von uns allen, finanziert und ist von Werbeeinnahmen unabhängig. Dazu kommt die staatsferne Aufsicht durch gesellschaftliche Gruppen. Übrigens sitzen auch AfD-Vertreter/-innen in den Rundfunkräten. Trotzdem wollen Sie den öffentlich-rechtlichen Sendern am liebsten die Luft abdrehen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Ja! Lieber gestern als heute!)

Diese Logik erklärt sich mir überhaupt nicht, außer vielleicht damit, dass Sie ein Problem mit kritischer Berichterstattung haben. Die tun nämlich ihren Job und setzen sich kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinander.

(Martin Reichardt [AfD]: Ja! Aber viel zu selten mit unserer! Weil sie nämlich parteiisch sind!)

Neben dem neuen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus brauchen wir weitere Maßnahmen, um die Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft umzukehren: das Gesetz gegen digitale Gewalt und das Demokratiefördergesetz, um zivilgesellschaftliches Engagement, Aufklärung und Aussteigerprogramme nachhaltig zu fördern.

(Martin Reichardt [AfD]: Für die Grünen bräuchten wir ein Aussteigerprogramm!)

Wir brauchen mehr zivilgesellschaftliche Gegenrede und mehr journalistische Einordnung von Desinformation; das macht unsere Demokratie wehrhaft.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)