Foto von Kirsten Kappert-Gonther MdB
10.11.2022

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dusel! Heute beschließen wir ein Gesetz, von dem wir alle hoffen, dass es niemals zur Anwendung kommt, ein Gesetz, das im Übrigen nur für eine ganz spezielle Situation im Rahmen von Pandemien gilt.

Die Klage von Menschen mit Behinderung vor dem Bundesverfassungsgericht hat bereits viel Wichtiges in Gang gesetzt. Die Debatte um ein diskriminierungsfreies Gesundheitswesen ist nicht nur eröffnet, sie trägt bereits Früchte.

Worum geht es heute konkret? Wenn zwei Personen zugleich in die Notaufnahme kommen und nur ein Intensivbett zur Verfügung steht: Wer bekommt es? Wie wird entschieden? Das ist ein ethisches Dilemma. Das Bundesverfassungsgericht hat uns nun beauftragt, genau hierzu ein Gesetz zu erlassen, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schwierig. Es gilt nun im Wesentlichen das Kriterium der kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit, ergänzt durch zahlreiche prozedurale Sicherungsmechanismen, damit eben nicht zulasten von alten Menschen, von Menschen mit Behinderung entschieden wird. Dieses Kriterium hat im Übrigen das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vorgeschlagen.

Infolge der Anhörung haben wir einige sehr wichtige Änderungen vorgenommen. Es wird nun klargestellt, dass eine Triage nur dann erfolgen darf, wenn andere Möglichkeiten ausgeschöpft und das Kleeblattprinzip angewendet wurden. Käme es zu einer Zuteilungsentscheidung, muss diese dokumentiert und gemeldet werden. Das sorgt für Transparenz. Es wird klargestellt, dass bei dem Ausschluss der Ex-post-Triage Therapiezieländerungen selbstverständlich möglich bleiben.

Zudem – das halte ich für absolut entscheidend – haben wir beschlossen, dass dieses Gesetz evaluiert wird. Es soll überprüft werden, ob das Gesetz und das Kriterium zur Beurteilung der Zuteilungsentscheidung auch über den Fall der Zuteilungsentscheidung hinaus erstens womöglich mittelbar zur Diskriminierung führt und zweitens im medizinischen Alltag sinnvoll und praktikabel ist. Wenn das Ergebnis vorliegt, muss entschieden werden, inwieweit das Gesetz überarbeitet werden muss.

Ist es nun mit dem heutigen Beschluss getan? Nein, wir wollen grundsätzlich zu einem inklusiven barrierefreien Gesundheitswesen kommen. Darum wird dafür ein Aktionsplan entwickelt werden. Darin soll im Übrigen auch die Vor-Triage, besonders in Pflegeheimen, ehrlich thematisiert werden.

Quintessenz: Im besten Fall beschließen wir heute ein Gesetz, das niemals angewendet werden muss, und geben den Startschuss für einen gemeinsamen Weg zu einem Gesundheitssystem, in dem alle Menschen die Hilfe finden, die sie benötigen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Martin Sichert spricht jetzt für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)