Dr. Till Steffen
10.11.2022

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Thema – das sage ich gerade auch aus der rechtspolitischen Perspektive – führt das Recht an seine Grenzen. Es ist ein Thema, wo das Recht das, was es ansonsten leistet – zu sagen, was gut und was falsch ist –, nur begrenzt leisten kann. Denn wir haben hier Ärztinnen und Ärzte in einer Ausnahmesituation, die die Wahl haben zwischen zwei Entscheidungen, die beide falsch sind, die beide nicht richtig sein können. Das macht die Entscheidung und die Debatte darüber sehr schwer.

Ich bin deswegen sehr froh, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Rednerinnen und Redner hier den angemessenen Ton gefunden hat. Denn, ich glaube, es ist ganz falsch, hier mit Schuldzuweisungen auf der persönlichen Ebene zu arbeiten. Alle, die ich in diesem Prozess erlebt habe, habe ich in einem harten Ringen erlebt, hier zu einer richtigen Antwort zu kommen.

In dieser Kollision hat das Recht bislang gesagt: Da halten wir uns raus. – So ist das Bundesverfassungsgericht auch in anderen Situationen vorgegangen; das Luftsicherheitsgesetz ist hier ja immer wieder angeführt worden. Es hat gesagt: Ein Gesetz, das darüber entscheidet, ob das eine oder das andere Leben, das bei der Kollision zweier Flugzeuge in Rede steht, gerettet werden soll, kann es nicht geben. – Das ist einfach für das Recht und den Gesetzgeber, aber schwer für die Ärztinnen und Ärzte. Das würde, wie es das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, zum Einfallstor für mögliche Diskriminierung.

Es ist herausgearbeitet worden, dass die Kriterien, die praktisch zur Anwendung kamen, zwar ihre Berechtigung hatten, gleichzeitig aber auch große Möglichkeiten für eine potenzielle Diskriminierung boten, weil auf die langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit abgestellt wurde, sodass dieser Gedanke „Diese Person ist behindert und hat deswegen ohnehin nicht so lange zu leben wie eine andere Person“ Raum bekäme. Genau da hat das Bundesverfassungsgericht uns als Gesetzgeber gesagt: So kann es nicht bleiben. Ihr müsst euch entscheiden.

Die Entscheidung wird dadurch nicht einfach, aber wir müssen uns entscheiden; wir müssen ein geeignetes Kriterium finden. Ich bin der Überzeugung, dass wir ein gutes Kriterium gefunden haben, weil wir es wirklich strikt begrenzen auf die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit. Das ist viel stärker objektivierbar, und gleichwohl kann es Situationen geben, wo auch dieses Kriterium zu keiner klaren Entscheidung führt, weswegen wir dafür geworben hatten, auch andere Kriterien in diesem Prozess mit unterzubringen.

Ich will, genauso wie alle anderen, damit enden, zu sagen: Wir verabschieden heute dieses Gesetz, weil das Gericht das von uns verlangt, in der Hoffnung, dass es nie zur Anwendung kommt, aber mit dem Versprechen, dass dieses Thema damit nicht vom Tisch ist. Erstens gibt es auch noch andere Bereiche, wo Triage-Situationen auftreten können, und zweitens muss das breite Thema der Vortriage noch weiterhin betrachtet werden. Deswegen wird dieses Thema für uns aktuell bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Diana Stöcker spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)