Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt reden wir über die Anpassung der pauschalen Durchschnittsbesteuerung von landwirtschaftlichen Umsätzen. Dieses Gesetz ist reine Pflicht, keine Kür. Es dient allein dazu, eine der vermutlich noch zahlreichen faulen Kartoffeln aus der Regierungszeit von CDU und CSU zu entsorgen, und zwar so zu entsorgen, dass sie keinen milliardenschweren Schaden für unsere Landwirte anrichtet.
Seit Jahren gibt es nämlich einen intensiven Streit zwischen der EU-Kommission und dem CDU-geführten Landwirtschaftsministerium. Worum geht es? Die EU-Kommission hat kritisiert, dass Deutschland eine besondere Ausnahme bei der Umsatzbesteuerung, nämlich die Möglichkeit, die Umsätze pauschal nach Durchschnittssätzen zu besteuern, um Bürokratie zu sparen, in der Landwirtschaft zur Regel gemacht hat, und zwar nicht, um einfach von Bürokratie zu entlasten, sondern, um damit die Landwirtschaft zusätzlich zu subventionieren.
Die Kommission hat deswegen nicht nur ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die EU-Kommission hat bereits Anfang 2020, also vor fast zwei Jahren, auch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen unzulässiger Beihilfe eingereicht. Das heißt: Im Zweifel drohen den deutschen Landwirten Rückzahlungen in Höhe von 2 Milliarden Euro. Auf diese Summe schätzt jedenfalls die Kommission die unzulässige Beihilfe an die deutsche Landwirtschaft über die letzten zehn Jahre.
Aber die CDU/CSU hat sehenden Auges und offenbar aus rein wahlkampftaktischen Gründen fahrlässig eine tragfähige gesetzliche Korrektur dieser Regelung über eineinhalb Jahre verhindert.
(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt nicht!)
Und deshalb müssen wir uns jetzt, nach der Wahl, auf den wirklich allerletzten Drücker, noch mitten im Konstituierungsprozess und ohne gewählte Regierung – –
(Unruhe)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Entschuldigung, Frau Kollegin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich fröhlich unterhalten wollen, spricht nichts dagegen. Aber bitte nicht hier im Raum!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Deshalb müssen wir uns also jetzt mit diesem Gesetz beschäftigen – ohne gewählte Regierung. Ich finde, das ist wirklich grotesk, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Den Bundesrat hat der Gesetzentwurf jetzt nach der Wahl auch ohne großes Federlesen mit den Stimmen der CDU in erster Lesung passiert.
Und was steht drin? Vor allem soll nun der Durchschnittssatz der Umsatzbesteuerung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf von 10,7 auf 9,5 Prozent abgesenkt werden. Darüber hinaus wird die Berechnungsformel, die zur Kalkulation des Durchschnittssatzes dient, gesetzlich festgelegt. Damit greift der Gesetzentwurf eine Empfehlung des Bundesrechnungshofes auf, der übrigens die geltenden Bestimmungen der Durchschnittsbesteuerung bereits 2015 als europarechtswidrig kritisierte.
Ja, die Absenkung des Durchschnittsbesteuerungssatzes bedeutet wohl 95 Millionen Euro weniger für die Landwirte. Und ja, es wird auch, wieder diejenigen treffen, die heute schon um ihr Überleben kämpfen. Aber: Eine Milliardenrückzahlung ist leider wirklich nicht die bessere Alternative, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Einkommenssituation vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist aktuell wirklich äußerst schwierig, insbesondere bei den tierhaltenden Betrieben. Gerade die kleinen und regional verankerten Betriebe müssen aber erhalten bleiben, wenn wir den Umbau der Landwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit und regionaler Erzeugung voranbringen wollen.
(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Genau das Gegenteil macht ihr!)
Die Entwicklung ist wirklich dramatisch: Seit 2010 ging die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 13 Prozent zurück.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Und jetzt geht es noch weiter zurück mit diesem Gesetz!)
Die Zahl der viehhaltenden Betriebe insgesamt sank in der gleichen Zeit sogar um 22 Prozent. Und bei den Milchviehbetrieben war die Entwicklung noch einmal dramatischer: ein Minus von 40 Prozent. Umgekehrt entwickelte sich der Konzentrationsprozess: Seit 2010 stieg die durchschnittliche Zahl der Milchkühe pro Betrieb von 46 auf 72 Tiere. Und die durchschnittliche Zahl der Schweine pro Betrieb stieg von knapp 460 auf 826 Tiere, also auf fast das Doppelte, in derselben Zeit. Insbesondere kleine Betriebe brauchen daher dringend unsere Unterstützung und pragmatische Lösungen, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hierzu gehört aus unserer Sicht auch, dass wir der Umgehung der Grunderwerbsteuer durch Share Deals endlich gesetzlich einen Riegel vorschieben, meine Damen und Herren.
(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Könnt ihr doch längst alles machen!)
Kapitalinvestoren, die Spekulation von Hedgefonds haben in den vergangenen Jahren zu erheblichen Preissteigerungen bei Ackerland und Pacht geführt. Steuerfreie Share Deals mit Grundbesitz spielen dabei eine erhebliche Rolle. Sie zerstören eine breite Eigentumsstreuung in der Landwirtschaft. Sie führen zur Verdrängung von bäuerlich und ökologisch wirtschaftenden Betrieben – zugunsten von Agrarholdings ohne Verankerung in der Region. Wir von den Grünen wollen deshalb das Steuerschlupfloch „Share Deals“ schnellstmöglich schließen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält nun das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski.
(Beifall bei der SPD)