Foto von Tobias Lindner MdB
28.09.2023

Dr. Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Eigentlich sollte jetzt Annalena Baerbock vor Ihnen stehen. Sie hätte diese Rede gerne selbst gehalten; aber sie sitzt zur Stunde mit ihrem italienischen Amtskollegen, der leider verspätet in Berlin eingetroffen ist, im Auswärtigen Amt zusammen. Ich kann Sie nur um Ihr Verständnis bitten, dass gerade an einem solchen Tag wie heute, wo in Brüssel um gemeinsame Vorgehensweisen und Standards in Bezug auf Migration und Flucht gerungen wird, uns der Austausch mit Italien in diesen Fragen besonders wichtig ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Als die Bundesrepublik Deutschland und die DDR vor 50 Jahren den Vereinten Nationen beigetreten sind, hatten diese schon mehr als 130 Mitglieder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Mitglieder hatten klare Erwartungen an Deutschland. In der Debatte um den deutschen Beitritt ergriff damals beispielsweise der Vertreter Mauretaniens in der Generalversammlung das Wort. Das kann man nachlesen in einem Bericht unserer Ständigen Vertretung in New York, der im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts liegt. Ich habe ihn heute mitgebracht. So sagte der mauretanische Diplomat damals – ich zitiere wörtlich –:

„Mit dieser Unterstützung gibt die afrikanische Gruppe der Bundesrepublik Deutschland einen Vertrauensvorschuß, und wir sind überzeugt, sie wird sich dieses Vertrauens würdig erweisen.“

Er drückte damit aus, was für uns heute klar ist: Dass Deutschland damals in die Weltgemeinschaft zurückkehren konnte – drei Jahrzehnte nach dem von Deutschen entfachten Zweiten Weltkrieg und den begangenen Verbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen –, war 1973 keine Selbstverständlichkeit.

Deswegen haben wir als Deutsche eine besondere Verantwortung dafür, die Prinzipien der Vereinten Nationen zu verteidigen, allen voran das Gewaltverbot, die Gültigkeit des Völkerrechts, die souveräne Gleichheit der Länder, die Achtung der Menschenwürde, globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung, die keinen Staat, die keinen Menschen zurücklässt.

Auf dieser Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, gründet unser Engagement in den Vereinten Nationen als zweitgrößter Beitragszahler im gesamten VN-System, als verlässlicher Partner in VN-Friedensmissionen und unser Einsatz für friedliche Konfliktlösungen weltweit. Dieses Engagement war immer unsere Stärke und die Basis unserer verlässlichen internationalen Beziehungen. Es ist unsere Antwort auf diesen Vertrauensvorschuss, den wir 1973 erhalten haben.

Was aber letzte Woche bei meinen Gesprächen in New York am Rande der Generalversammlung ganz deutlich zu spüren war, ist: Viele unserer Partner in der Welt haben das Gefühl, dass das Herz der Vereinten Nationen nicht mehr im Takt mit der Welt unserer Tage schlägt, dass die VN ein Update brauchen. Deswegen sollten wir heute in einer neuen Phase der deutschen Außenpolitik auch neue Verantwortung übernehmen. Wir wollen unsere globalen Partnerschaften stärken und die Vereinten Nationen gemeinsam mit unseren Partnern weiterentwickeln. Alle Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben letzte Woche in New York ganz deutlich gemacht: Deutschland steht für eine Reform der Vereinten Nationen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Vereinten Nationen geben der Weltgemeinschaft das Fundament. Doch wenn wir ehrlich sind: Nicht nur der Sicherheitsrat, auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank wurden gegründet, als drei Viertel der heutigen Staatengemeinschaft noch gar nicht dabei waren. Unseren Partnern in Afrika, in Lateinamerika, in Asien steht ihr Platz am Tisch zu, und zwar nicht nur, um sich anzuhören, was andere schon entschieden haben, sondern auch, um gleichberechtigt mitzureden und mitzuentscheiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Summit of the Future, der Zukunftsgipfel, im kommenden Jahr, den wir im Auswärtigen Amt federführend mit unseren namibischen Partnern vorbereiten, wird eine Wegmarke für diese Reformdebatte sein. Wir wollen bei diesem Zukunftsgipfel mehr Tempo machen bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele und damit den Hunger in der Welt beenden. Momentan sind wir, wenn wir ehrlich sind, nur bei einem Bruchteil dieser Ziele auf dem richtigen Weg. Das ist nicht genug.

Deshalb: Wir müssen jetzt alles tun für eine erfolgreiche Weltklimakonferenz in Dubai im Dezember, gerade weil die Klimakrise die verwundbarsten Staaten der Welt als Erste und am härtesten trifft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehr Ehrgeiz, mehr eigene Vorschläge, gerade von den Industrieländern, die die Hauptverursacher dieser Krise sind. Deswegen setzen wir uns für ein globales Ziel bei den erneuerbaren Energien und für Energieeffizienz ein.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Vertrauensvorschuss, den wir vor 50 Jahren erhalten haben, verpflichtet uns auch heute. Er verpflichtet uns zu einer aktiven Außenpolitik, dazu, uns einzubringen, selbst zu machen und nicht bloß mitzulaufen – eine Verpflichtung nicht nur, die Vereinten Nationen nicht infrage zu stellen oder umgehen zu wollen, wie es vielleicht andere tun, sondern sie zu stärken, ihnen ein Update zu verpassen: für mehr Gerechtigkeit und für mehr Sicherheit im 21. Jahrhundert, weil unsere Partner es zu Recht von uns erwarten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)