Rede von Katharina Beck Vermögensabgabe

Katharina Beck MdB
10.11.2022

Katharina Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Dank des Antrags der Linken setzt sich der Deutsche Bundestag heute mit einem sehr wichtigen Thema auseinander: der Vermögensverteilung in unserem Land. Ich möchte gerne ein paar Fakten in die Diskussion einbringen.

Deutschland ist im globalen und auch im europäischen Vergleich ein wirtschaftlich starkes und wohlhabendes Land. Ich bin stolz darauf, dass wir in vielen Bereichen, zum Beispiel in der Technologie, Vorreiter sind.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie sind stolz auf Deutschland, prima! Wir auch!)

Doch worauf ich wirklich nicht stolz bin, ist, dass wir auch in der Vermögensungleichheit ganz vorne mit dabei sind und dass wir innerhalb aller europäischen OECD-Länder die zweithöchste Ungleichheit bei Vermögen haben. Wie ungleich das Vermögen in Deutschland verteilt ist, zeigen die Daten des Sozio-oekonomischen Panels ganz objektiv. Das vermögendste 1 Prozent der Menschen besitzt etwa 35 Prozent des Gesamtvermögens und damit sogar etwas mehr als 90 Prozent der restlichen Menschen in unserem Land. Die Statistik fokussiert sich auf die circa 63 Millionen über 18‑Jährigen im Land. In absoluten Zahlen: 650 000 sehr vermögende Erwachsene in Deutschland haben mehr Vermögen als 55 Millionen erwachsene Menschen zusammen.

(Stephan Brandner [AfD]: Gerade waren das doch zwei Familien bei dem Herrn von links!)

Wie gesagt, sind da die Kinder und Jugendlichen noch nicht miteingerechnet. Diese starke Konzentration auf wenige ist unter den obersten 0,1 Prozent sogar noch höher.

Ungefähr vier von zehn Menschen in Deutschland haben sogar überhaupt keine Rücklagen, um dieser Krise und den krassen Preissteigerungen finanziell begegnen zu können. Hinter den abstrakten Zahlen verbergen sich ganz persönliche Schicksale. In meiner Heimatstadt Hamburg hat zum Beispiel fast jeder zweite Mieter bzw. jede zweite Mieterin gerade Angst vor dem Verlust ihrer Wohnung, weil die Preise so stark ansteigen und sie keine Rücklagen haben. Leider ist die Entwicklung, die sich in den letzten Jahren noch deutlich verstärkt hat, folgendermaßen zu beobachten: Zwischen 1993 und 2018 ist das Vermögen des Top‑1-Prozents um das Zwölffache gegenüber dem nahezu Nullanteil der unteren 50 Prozent angestiegen; da stagniert die Situation weitgehend. Das muss uns besorgen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander; das ist leider Fakt. Das Versprechen unserer sozialen Marktwirtschaft ist aber Teilhabe am Wohlstand. In dieser Situation findet leider eine Erosion dieses Versprechens statt. Deswegen ist das so ein wichtiges Thema.

Wir reflektieren hier das Thema Gerechtigkeit. Was ist da das Ziel? Klar ist: 100 Prozent materielle Gleichheit können und wollen wir nicht erreichen. Aber Vermögen, einfacher gesagt: Geld, ist nun mal ein Mittel zur Erfüllung von Bedürfnissen und bedeutet im Endeffekt Freiheit und Teilhabemöglichkeiten. Das sollte fair verteilt sein. Dieses Vermögen kann Grundbedürfnisse wie eine warme Wohnung oder einen vollen Kühlschrank genauso stillen wie auch – das möchte ich in einem so wohlhabenden Land – den Wunsch nach einem schicken Kleidungsstück oder auch mal einem schönen Familienurlaub am Mittelmeer. Viele können sich das nicht mehr leisten, nicht einmal das Zelten an der Nordsee. Ist es also gerecht, dass ein großer Teil der Menschen in unserem Land diese und andere Freiheiten nicht wahrnehmen kann, während bei einem winzigen Teil der Reichtum im Überfluss vorhanden ist? Ich sehe das nicht so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Unabhängig von der Frage nach Gerechtigkeit führt eine ungleiche Vermögensverteilung zu konkreten negativen Konsequenzen, was auch Studien belegen: zu höherem Drogenkonsum, einer höheren Kriminalitätsrate, schlechterer Bildung und mehr psychischen Erkrankungen – um nur ein paar Aspekte aufzuzählen. Gerade im Hinblick auf unsere freiheitliche Demokratie, die vom aktiven Zusammenhalt lebt, ist die Ungleichheit ein großes Problem. Sie ist vermutlich mit ein wesentlicher Grund für sinkendes Vertrauen in unser System.

Wichtig ist in der gesamten Debatte eine Unterscheidung zwischen Vermögen und Einkommen. Viele verwechseln das. Anders als bei den eben genannten Vermögenszahlen ist das Bild bei den Einkommen etwas ausgeglichener. Allerdings driftet auch hier die Entwicklung im Laufe der Zeit auseinander und trägt leider auch da zur Vertrauenserosion bei. Was jetzt ganz spannend ist: Einkommen und Vermögen hängen zusammen. Denn wer viel hat, profitiert auch von Einkünften, nämlich von Einkommen aus Vermögen wie Immobilienbesitz oder Aktien- oder Betriebsvermögensbesitz. Deswegen mussten wir den Soli anpassen, weil die Einkünfte aus vermögensbezogenen Werten so stark über die Löhne hinausgestiegen waren. Der Handlungsdruck ist real.

Ich bin auch in diesem Zusammenhang offen für die Vorschläge der Wirtschaftsweisen. Vielen Dank an dieser Stelle für ihre harte Arbeit, für ihre Vorschläge, den Spitzensteuersatz zu erhöhen oder einen Energiesoli für besonders gut verdienende Menschen einzuführen, um für mehr Gerechtigkeit und Zielgenauigkeit bei den Entlastungsmaßnahmen zu sorgen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Fakt ist: Es gibt in dieser Koalition für das Instrument einer Vermögensabgabe keine Übereinstimmung. Nichtsdestoweniger ist mir wichtig, dass wir auch in der Ampel die Debatte um die von mir gerade vorgetragenen Fakten zur Vermögensungleichheit und Einkommensentwicklung in unserem Land aus der Tabuecke in die Gestaltungsecke bringen. Die Gefahren für unsere Demokratie sind nämlich real, und ich möchte hier gemeinsam weiterkommen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Beck. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Albrecht Glaser, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)