Rede von Dr. med. Paula Piechotta Versorgung mit Medizinprodukten

Dr. Paula Piechotta MdB
11.04.2024

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir müssen uns in dieser Debatte noch mal ganz kurz vergegenwärtigen, weil das bislang – außer bei der Kollegin Stamm-Fibich – noch nicht so stark herauskam, dass es ja gute Gründe gab, warum man auf europäischer Ebene damit begonnen hat – und übrigens nicht nur da, sondern weltweit –, die Regeln für Medizinprodukte deutlich zu verbessern. Ich kann vielleicht aus dem persönlichen Erleben in den letzten Monaten erzählen, um zu zeigen, woran es lag:

Ein dreijähriges Kind mit schwerem Herzfehler kann irgendwann in der Klinik endlich operiert werden, und die OP geht gut. Aber ein paar Tage später gibt es auf der Intensivstation leider einen Gerätefehler bei dem Gerät, das eigentlich den Blutkreislauf mit Sauerstoff versorgen soll. Dabei wird zu viel Luft gezogen, die Luft kommt ins Gefäßsystem und steigt auch in die Hirnarterien. Dieses dreijährige Kind, was die OP gut überstanden hat, stirbt an einem Schlaganfall. Unter anderem daran sieht man, dass Medizinprodukte schon noch sicherer werden müssen, als sie heute sind.

Man muss nur eine der allein in Deutschland knapp 10 000 Frauen treffen, die vor ein bisschen mehr als zehn Jahren fehlerhafte Brustimplantate bekommen haben, und mit ihr über diese mangelhaften Implantate reden. Aus Kostengründen wurde damals billiges Bausilikon verbaut, das über Risse in den Körper gelangte und sich an Lymphknoten anlagerte. Für das Gesundheitswesen waren es übrigens auch enorme Kosten, diese ganzen Implantate wieder auszubauen – von den persönlichen Kosten der Frauen und ihren Angehörigen und Familien ganz zu schweigen. Auch da sieht man: Medizinprodukte müssen einfach noch sicherer werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Oder man redet zum Beispiel mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen darüber, was es mit denen macht, wenn sie Patienten davon überzeugen sollen, sich eine Bandscheibenprothese einbauen zu lassen, von der man eigentlich schon ziemlich genau weiß, dass sie bei erstaunlich vielen Patienten erstaunlich schnell defekt ist und ausgewechselt werden muss. Was macht das mit deren Berufsethos? Was macht das auch hinsichtlich der Frage, wie motiviert die jeden Morgen zur Arbeit gehen können? Auch daran sehen wir: Medizinprodukte müssen sicherer werden.

Die Liste ist extrem lang. Wir könnten auch sprechen über kleine Herzschrittmacher, die eigentlich im Herz festsitzen sollen, aber mit dem Blutstrom teilweise in Lungen, Arterien oder Beinarterien landen. Wir könnten sprechen über digitalisierte Insulinpumpen, bei denen sich aber plötzlich herausstellt, dass sie von Dritten gehackt werden können, mit der Konsequenz einer potenziell lebensbedrohlichen Über- oder Unterzuckerung. Und wir könnten auch sprechen über ganz simple bakterielle Verunreinigungen von Ultraschallgelen und, und, und.

An all diesen Punkten sieht man: Es gibt gute Gründe dafür, dass wir die Regeln für Medizinprodukte in Europa – aber auch andere Behörden, zum Beispiel in den USA, haben das getan – deutlich verschärft haben.

(Zuruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU])

Denn am Ende geht es nicht primär um das wirtschaftliche Interesse, sondern das Primat der Patientensicherheit ist im sensiblen Bereich der Gesundheitswirtschaft – auch im Bereich Medizinprodukte – einfach noch mal eine Spur wichtiger als die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Deshalb müsst ihr dem Antrag auch zustimmen!)

Sie haben ja völlig recht – und da gibt es auch keine große Uneinigkeit in diesem Hause –, dass die MDR extrem schlecht umsetzbar ist, und Sie werden keine Partei in diesem Haus finden, die sich nicht dafür einsetzt, auf europäischer Ebene – nämlich da, wo es entschieden wird – tatsächlich die Regeln zu verbessern. Wir können natürlich darüber reden, dass man zum Beispiel, wie die USA das jetzt schon machen, für kleine und mittlere Unternehmen die Kosten deutlich reduziert im Vergleich zu großen Playern, die auch hohe Kosten tragen können. Wir können auch über die Orphan-Devices-Regelungen reden, die vorhin schon angesprochen wurden. Wir können auch darüber reden, ob es vielleicht nicht doch einen Unterschied für die Abarbeitbarkeit der vielen Anträge macht, die vorliegen, dass wir jetzt, Stand April 2024, tatsächlich schon 45 benannte Stellen in Europa haben. Auch das gehört ja zur Wahrheit dazu und hat sich in den letzten zwei Jahren verändert.

Aber bei alldem gilt doch: Die deutsche Medizintechnikindustrie gehört zusammen mit der US-amerikanischen und der japanischen zu den größten drei Playern, und zwar trotz der ganzen Probleme mit der MDR. Nicht zuletzt die deutsche Bundesregierung hat sich ja dafür eingesetzt, dass jetzt diese Fristverlängerungen noch mal kommen. Aber am Ende hat die große Mehrheit auch der deutschen Medizintechnikunternehmen großes Interesse daran, dass das Vertrauen in die europäische Medizintechnik weltweit bestehen bleibt. Denn dieses Vertrauen ist auch Grundlage dafür, dass sie weiter wachsen kann und dass sie weiter so stark sein kann, wie sie das heute ist.

Sie ist extrem stark. Schauen wir es uns an: Das Wachstum der deutschen Medizintechnikbranche hat sich seit 2009 quasi verdoppelt, der Umsatz hat sich verdoppelt, die Exportquote liegt bei über 60 Prozent, der F-und-E-Anteil ist hoch. Sie bietet extrem attraktive Arbeitsplätze in diesem Land, und die wollen wir natürlich halten.

Aber die werden sich nur halten lassen und die Unternehmen werden mittel und langfristig nur erfolgreich sein, wenn nicht immer wieder einzelne Medizintechnikunternehmen mit großen Skandalen die Vertrauenswürdigkeit der gesamten Branche beschädigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Und genau deswegen ist es wichtig, dass wir gemeinsam auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass wir eine verbesserte MDR haben, aber keine verwässerte MDR. Das wird unglaublich wichtig sein. Da würde ich mir auch wünschen, dass die in der Gesundheitspolitik tätigen Kollegen nicht primär nur über die Interessen der Gesundheitswirtschaft reden, sondern diese Balance finden aus Patienteninteressen und den berechtigten Interessen der deutschen Medizintechnik.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist doch im Interesse der Patienten! Deshalb haben wir doch die Anträge gestellt!)

An letzter Stelle – ich habe es ja schon betont und die Kollegin Martina Stamm-Fibich auch –: Wir werden das am Ende nicht hier im Bundestag entscheiden, auch wenn die Bundesregierung sich für verbesserte Umsetzungen einsetzen kann. Aber was wir hier entscheiden, sind ja viele andere Standortfaktoren für die deutsche Medizintechnik.

Ich möchte jetzt nicht noch mal mit dem Wachstumschancengesetz anfangen, liebe Unionsfreunde.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Aber vielleicht können wir tatsächlich zusammen mit Martina Stamm-Fibich und Ihnen in den vor uns liegenden Anhörungen im Gesundheitsausschuss noch mal darüber reden, wie wir im Medizinforschungsgesetz, was uns ja jetzt tatsächlich konkret vorliegt, die Medizintechnik noch stärker mit berücksichtigen können, damit wir die verbesserten Studienbedingungen auch für diese Unternehmen nutzbar machen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Kristine Lütke, FDP-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)