Rede von Dr. med. Paula Piechotta Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln

Dr. Paula Piechotta MdB
20.01.2023

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen: Liebe Unionsfraktion! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Bei vielen Themen hilft es ja ein bisschen, den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus zu werfen. Das ist jetzt hier noch nicht groß passiert, und deswegen möchte ich gerne darauf hinweisen: Auch wenn in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen der Eindruck entstehen konnte, dass das Problem von Lieferengpässen insbesondere bei Hustensäften ein deutsches Problem wäre, ist dem nicht zu. Egal ob wir in die USA schauen, nach Kanada, ins Vereinigte Königreich, in viele europäische Nachbarländer und sogar in viele Länder in Asien – überall ähnliche Lieferengpässe. Dieses Problem ist kein exklusiv deutsches, und es wird sich deswegen auch nicht allein mit nationalen Maßnahmen lösen lassen.

Es ist auch kein exklusives Problem im Kinderarzneimittelbereich, weil schon seit vielen Jahren und auch weiterhin der Großteil der Medikamente mit Lieferengpässen aus dem Erwachsenenbereich kommt, und da aus den verschiedensten Patientengruppen – egal ob Diabetiker/-innen oder Krebspatient/-innen oder Herz-Kreislauf-Patient/-innen. Es ist auch nicht wahr, dass es jetzt ein neu eskaliertes Problem ist, das vorher niemand groß beachtet hätte. Auch dieser Bundestag, nicht nur die Fachöffentlichkeit, hat das wirklich schon oft diskutiert. Und warum diskutieren wir das jetzt zum wiederholten Male, obwohl das seit 2019 schon Thema ist? Weil sich die letzte Bundesregierung trotz teilweise sehr hellsichtiger und weitsichtiger Positionspapiere der Unionsfraktion damals nur zu kleinen Lösungen durchringen konnte.

Wir können heute sagen: Diese damaligen Maßnahmen der letzten Regierung waren nicht geeignet, das Problem der Lieferengpässe grundlegend und nachhaltig zu lösen. Und wenn wir nicht noch mal an diesem Problem nur herumdoktern wollen – und alle Vorschläge, die Sie hier machen, fallen für mich unter diese Kategorie –, sondern wenn wir das Problem an der Wurzel packen wollen – so wie das auch Martina Stamm-Fibich gerade gesagt hat –, dann sollten wir uns ehrlich miteinander machen und wahrnehmen, wie unglaublich vielschichtig die Gründe für Lieferengpässe sind, global gesehen. Da ist auf der einen Seite die teilweise massive, sprunghaft steigende Nachfrage, gerade im Bereich der Kinderarzneimittel in den letzten Monaten. Diese massiven Erkältungswellen mit Rekordhöchstständen an Erkranktenzahlen waren nicht nur in Deutschland Realität. Die haben in vielen Regionen auf der Welt dazu geführt, dass die Nachfrage massiv gestiegen ist und die Produktion nicht Schritt halten konnte.

Wir haben aber auch immer wieder Kontaminationen von Arzneimitteln und Produktionslinien mit der Notwendigkeit, Medikamente zurückzurufen. Das haben Sie bislang gar nicht erwähnt. Wir haben auch immer wieder das Problem, dass Produktionsstätten – teilweise handelt es sich dabei um die einzigen, die bestimmte Ausgangswirkstoffe herstellen – einfach spontan geschlossen werden, nicht nur in China – da gibt es viele gute Beispiele im Zusammenhang mit den Corona-Lockdowns der chinesischen Regierung –, sondern zum Beispiel auch in Puerto Rico aufgrund von Naturkatastrophen. Überall werden einzelne Produktionsstandorte geschlossen. Und, nicht zuletzt: Ja, es ist teilweise auch so, dass wir eine zunehmend geringere Zahl an Herstellern beobachten, weil die Margen in bestimmten Bereichen sehr niedrig sind, aber eben auch, weil teilweise gezielt Mitwettbewerber vom Markt verdrängt werden.

Diese ganze Vielzahl von Gründen muss man angehen – und nicht allein national –, wenn man das Problem wirklich grundlegend lösen will und wenn wir nicht in zwei Jahren wieder hier stehen wollen. Deswegen ist einer der vielleicht zentralsten Punkte im Eckpunktepapier des BMG zum Thema Lieferengpässe die Vergabe von mehreren Losen im Rahmen von Rabattverträgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle Expertinnen und Experten werden Ihnen sagen: Die Rückholung von Produktion allein wird es auch nicht richten. Da machen sich jetzt viele Länder – nicht nur Frankreich, nicht nur Österreich – auf den Weg. Wir als Ampel haben das in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. Rückrufe in den USA beispielsweise von Medikamenten und Babyersatznahrung mit Kontaminationen zeigen: Allein das Onshoring, allein das Rückholen von Produktion kann Lieferengpässe noch nicht mit ausreichender Sicherheit verhindern. Was Sie tatsächlich brauchen, ist eine Diversifizierung von Lieferketten. Was wir auf nationaler Ebene machen können – deswegen ist es so gut, dass das Teil des Eckpunktepapieres ist –, ist, mit der Vergabe von mehreren Losen Anreize für diversere Lieferketten zu setzen.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ein Gesetzentwurf wäre schön! – Stephan Pilsinger [CDU/CSU]: Dann machen Sie doch einen Gesetzentwurf!)

Ich frage mich ehrlicherweise: Warum dieser Antrag? 2019 kam von Ihrem Kollegen Hennrich ein Vorschlag für ein Positionspapier der Union, das spannend war; damals konnten Sie sich damit allerdings nicht durchsetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war die SPD!)

Und anstatt sich freuen, dass es jetzt einen Common Sense gibt, dass das Problem tatsächlich an der Wurzel gepackt wird,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

kommt hier ein Antrag, der zehnmal substanzloser ist und zehnmal symptomatischere Vorschläge macht, im Gegensatz zu dem, was Sie 2019 vorgeschlagen haben.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Gesetzentwurf! Wann kommt der Gesetzentwurf?)

Dieser Abfall an arzneimittelpolitischer Kompetenz in den Reihen der Unionsfraktion, der macht sprachlos, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Frau Piechotta, dann legen Sie doch den Gesetzentwurf vor! Dann können wir darüber diskutieren! Aber den gibt es nicht! Außer Ankündigungen und heißer Luft ist doch da leider nichts! Schade! Das macht mich sprachlos!)

Ich nenne ein weiteres Beispiel: Sie fordern eine Datenbank für Lieferengpässe; aber die gibt es schon. Das ist die Qualität des Unionsantrags 2023.

(Beifall der Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD])

Ich glaube, wir alle tun uns einen Gefallen – davon profitieren am Ende auch wir selber –, wenn wir das Problem diesmal grundlegend angehen. Wir müssen uns ehrlich machen und in den nächsten Monaten einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, mit dem das Problem an der Wurzel gepackt wird. Es muss auch immer mit beachtet werden, dass wir die Probleme nicht allein national lösen werden, sondern dass wir daran mit unseren europäischen Partnern und auch mit den demokratischen Partnern auf der ganzen Welt gemeinsam arbeiten müssen. Dann haben wir am Ende alle etwas davon und stehen nicht wieder in zwei Jahren hier und müssen über Lieferengpässe reden.

(Martina Stamm-Fibich [SPD]: Ja!)

Wir alle können Patienten werden, die irgendwann einen Schlaganfall haben oder irgendwann Diabetes entwickeln. Dann müssen wir darauf vertrauen können, dass die Medikamente, die es für die Behandlung braucht, einfach da sind.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Rednerin: für die Fraktion Die Linke Kathrin Vogler.

(Beifall bei der LINKEN)