Rede von Katrin Göring-Eckardt Vertriebene und Geflüchtete

Foto von Katrin Göring-Eckardt MdB
28.09.2023

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Fabritius! Ich bin froh, dass wir diese Debatte heute in Ruhe und Sachlichkeit führen können und dass wir in den demokratischen Fraktionen dieses Hauses hoffentlich zu gemeinsamen Ergebnissen kommen.

Ich glaube, wir müssen daran erinnern, wie die Situation der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler ist. Ich will mit der Erinnerung an Odessa anfangen. Anfang dieser Woche wurde diese wunderbare Stadt erneut bombardiert. Vielen in unserem Land ist sie wahrscheinlich in den letzten Monaten wegen des Getreideabkommens bekannt geworden. Ganz wenige wissen aber, dass Odessa einst ein wichtiges kulturelles Zentrum für die deutschen Minderheiten in der Ukraine war. Viele von ihnen sind aktuell von den furchtbaren Folgen des russischen Angriffskrieges betroffen.

Auch in Russland sind die deutschen Minderheiten zunehmend staatlichen Repressionen ausgesetzt. Die Menschen brauchen gerade jetzt besondere Unterstützung, nicht nur wegen der andauernden Kriegsverbrechen Putins, sondern auch, weil die Bundesrepublik Deutschland in der Folge des Zweiten Weltkrieges diese besondere Verantwortung hat.

Frau Pawlik, Herr de Vries, Sie haben beide darauf hingewiesen, dass vor 70 Jahren der Deutsche Bundestag der alten Bundesrepublik – das muss man sagen – das Bundesvertriebenengesetz auf den Weg gebracht hat. Das ist nicht nur eine lange Zeit, sondern das zeigt auch die lange Geschichte der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in unserem Land. Dieses Gesetz ist ein wichtiges Zeichen unserer gemeinsamen historischen Verantwortung gegenüber den deutschen Minderheiten, besonders natürlich gegenüber denen in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion, und ihren besonderen Belastungen infolge des Zweiten Weltkrieges. Sie haben darüber gesprochen, und man mag sich gar nicht vorstellen, wie sich diese Situation für viele Menschen bis heute fortgesetzt hat, die dageblieben sind.

Das Gesetz ist ein Zeichen der Wiedergutmachung. Dafür stehen wir bis heute ein. Der Gesetzentwurf, den wir heute hier diskutieren, hat zum Ziel, die Rechte der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler weiter zu stärken. Ich finde es richtig, dass wir im Einzelnen darüber diskutieren, was der richtige Weg ist. Ich glaube allerdings, dass es gut ist, wenn wir es gemeinsam so hinbekommen, dass für alle Menschen, die betroffen sind, das Beste daraus folgt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU])

Vor zwei Jahren gab es das einschneidende Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, und in diesem Kontext wurde die Aufnahme und Anerkennung von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern mit starken Einschränkungen versehen. Die Folgen spüren die Betroffenen bis heute. Es gibt zahlreiche Ablehnungen, Frustration und, ja, zu Recht Unverständnis. Ich sage ganz offen, Herr de Vries: Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das immer wieder und ausdauernd thematisiert haben. Jetzt entsteht Sicherheit für die Menschen; denn mit diesem Gesetzentwurf ist jetzt klar: Wir kehren zur alten Aufnahmepraxis zurück.

Was genau ändert sich?

Erstens. Die durch das Urteil verschärften Anforderungen an das sogenannte Bekenntnis zum deutschen Volkstum sollen wieder gesenkt werden.

Zweitens. Die Verwaltungspraxis soll reformiert werden. Wir brauchen eine einheitliche Regelung für die Aufbewahrung und Einsicht von Spätaussiedlerinnen- und -aussiedlerdaten. Es gab eine ganze Reihe von Fällen, in denen Akten vernichtet wurden oder gar verloren gegangen sind. Das ist natürlich für die Betroffenen eine Katastrophe und hat schwerwiegende rechtliche Folgen. Das muss sich nun ändern.

Die beiden Verbesserungen sind ein wichtiger Schritt. Ich freue mich, dass wir als Ampelkoalition rasch einen Vorschlag erarbeiten konnten, der an die aktuelle Lebensrealität und die Umstände der Betroffenen angepasst ist.

(Sandra Bubendorfer-Licht [FDP]: Genau!)

Wie uns der grausame Angriffskrieg gegen die Ukraine schmerzlich vor Augen führt, kann es immer passieren, dass auch Angehörige der deutschen Minderheit und ihre Familien in den osteuropäischen Staaten aufgrund von Kriegen, Katastrophen oder anderen Gefahren fliehen müssen. Es ist für mich zentral, dass es eben auch nicht sein kann, dass ein fluchtbedingter vorübergehender Aufenthalt außerhalb des Aussiedlungsgebietes zum Verlust des Aufnahmeanspruchs führt. Das wollen wir noch ändern. Das muss sich aus meiner Sicht ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Für die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler aus der Ukraine wird das gerade noch über eine Härtefallregelung gelöst. Das, finde ich, sollten wir so nicht beibehalten, sondern es muss für alle Betroffenen Klarheit und Sicherheit geben. Das gebietet einerseits natürlich die Empathie für die Menschen, andererseits aber selbstverständlich auch unsere eigene Verantwortung.

(Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Liebe Kollegin Göring-Eckardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion von Herrn Beckamp?

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich glaube, dass es keinen Sinn macht, mit der AfD-Fraktion über diese Frage zu diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Renata Alt [FDP] – Beatrix von Storch [AfD]: Demokraten!)

Es kann nicht sein – und das will ich ausdrücklich sagen –, dass wir deutschen Minderheiten auf der Flucht eine Schlechterstellung zumuten gegenüber denjenigen, die sich noch im Aussiedlungsgebiet befinden.

Mit diesem Gesetz wollen wir also ein Aufnahmeverfahren ermöglichen, das an die aktuellen Lebensrealitäten und -umstände angepasst ist. Denn wir als Bundesregierung sehen uns in historischer Verantwortung, den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern ein Zuhause zu bieten.

Ich will ausdrücklich sagen – Frau Pawlik ist ja nur eins von vielen Beispielen, eins von einigen Beispielen auch hier im Hohen Hause –: Es geht eben auch um die folgenden Generationen. Ich glaube, dass wir auch damit Vielfalt in unserem Land in besonderer Weise stärken können, und freue mich deswegen auf die Beratungen und die weiter gehenden Einigungen, die ich jedenfalls positiv am Horizont sehe.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für eine Kurzintervention hat das Wort Roger Beckamp.