Rede von Lukas Benner Verwaltungsgerichtliche Verfahren im Infrastrukturbereich

Lukas Benner MdB
19.01.2023

Lukas Benner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren – ein Wortungetüm, das sperrig daherkommt. Aber dahinter verbirgt sich eine Aufgabe und vor allen Dingen ein Mangel, den Millionen von Menschen tagein, tagaus in diesem Land spüren.

Unsere Infrastruktur bröckelt an allen Ecken und Enden, da sie entweder kaputtgespart wurde oder falsche Prioritäten gesetzt wurden. Ganze Autobahnbrücken sind gesperrt, was zu langen Staus führt. Bahnpassagiere stranden immer wieder auf halber Strecke. Wir sind in fataler Weise abhängig gewesen von autokratischen Regimen wie Putins Russland, und das, weil wir den Ausbau der Erneuerbaren viel zu häufig blockiert haben. Damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir brauchen die Planungsbeschleunigung, und wir brauchen das Deutschlandtempo.

Das ist ohne jede Frage ein unhaltbarer, ein irrsinniger Zustand. Deswegen haben wir es uns als Ampelkoalition vorgenommen, die wichtigen Schritte zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zu gehen. Wir haben doch im ersten Jahr gezeigt, dass es möglich ist. Innerhalb weniger Monate haben wir es geschafft, von russischem Gas unabhängig zu werden und mit den LNG-Terminals eine komplett neue Gasinfrastruktur aufzubauen. Wir haben gezeigt, was möglich ist, wenn der politische Wille da ist und man die notwendigen Schritte geht.

(Zuruf des Abg. Mike Moncsek [AfD])

Die Forderung, es überall so zu machen wie bei den LNG-Terminals, ist dennoch die falsche; denn sinngemäß hieße diese Forderung: Wenn wir beim Umweltschutz halblang machen, haben wir alle Probleme gelöst. – Genau da liegt aber der entscheidende Unterschied. Umweltschutz steht der zügigen Modernisierung dieses Landes nicht im Wege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mehr noch: Wir können dieses Land nur dann nachhaltig modernisieren, wenn wir die über Jahre hart erkämpften Fortschritte im Umweltrecht schützen und mitdenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD] und Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Bei der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung muss man – das ist eine rechtspolitische Debatte – drei Säulen unterscheiden. Wir haben die Planung. Wir haben das Genehmigungsverfahren. Wir haben das verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen die verschiedenen Maßnahmen bzw. den Verwaltungsakt.

Schauen wir uns einmal den Gesetzentwurf an, den wir hier vorliegen haben. Ich danke Ihnen, Herr Dr. Buschmann, dass Sie so schnell einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. An der einen oder anderen Stelle – meine Vorredner haben es gesagt – müssen wir mit Blick auf die Gründlichkeit noch einmal nachbessern.

Mein Kollege Mansoori hat es gesagt: Wir betreten Neuland; wir schaffen etwas, das es an vielen Punkten vorher so nicht gegeben hat. Das löst Skepsis aus. Das löst Kritik aus, und wir müssen diese Kritik ernst nehmen. Aber – da bin ich ganz bei Ihnen – wir brauchen Mut, und mit dem werden wir hier vorangehen.

Nun zum wohl umstrittensten Paragrafen, den wir hier neu einführen, § 80c VwGO – die Fehlerheilung im Eilrechtsschutz. Für die Nichtjuristinnen und ‑juristen unter Ihnen: Im Eilrechtsschutz geht es darum, die Vollziehung, also den Bau eines Projektes, so lange zu stoppen, bis das Gericht in der Hauptsache entschieden hat. Und hier setzen wir an. Der Entwurf sagt:

Das Gericht kann einen Mangel des angefochtenen Verwaltungsaktes außer Acht lassen, wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird.

Das bedeutet, dass die Gerichte die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung bekommen, also nicht auf den Zustand abzustellen, der jetzt herrscht, sondern eine Prognose anzustellen. Wird in der Zukunft ein fehlerfreier Verwaltungsakt vorliegen, ja oder nein? Das ist das, was wir hier neu einführen.

Ich will ganz deutlich sagen: Es ist erst mal begrüßenswert, dass wir hier neue Möglichkeiten schaffen. Das ist auch eine Riesenchance für das verwaltungsgerichtliche Verfahren. Aber das ist es nur dann, wenn der Verwaltungsakt wirklich geheilt wird; denn sonst wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt vollzogen.

Und, lieber Herr Dr. Buschmann, bezüglich der Folgefrage bin ich ein wenig enttäuscht; denn die Frage, was dann passiert, ist in diesem Entwurf noch nicht geklärt. Stellen wir uns vor, ich klage bzw. stelle einen Antrag auf Eilrechtsschutz. Dann stellt das Gericht auf die zukünftige Prognose ab und weist meinen Antrag ab. Dennoch habe ich als Antragsteller einen Beitrag zur Fehlerheilung geleistet, indem ich auf einen Fehler hingewiesen habe, der aber heilbar ist. Die Rechtsfolge: Ich verliere im Eilrechtsschutz. Das ist den Leuten vielleicht noch erklärbar. Die Folgefrage jedoch, auf die Sie uns die Antwort noch schuldig sind, lautet: Was ist mit den Kosten? Nach dem jetzigen Stand leiste ich als Antragsteller einen Beitrag zur Fehlerheilung und bleibe auf den Kosten sitzen. Das darf nicht die Rechtsfolge dieser Rechtsnorm sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Außerdem – wir haben es schon gehört – schaffen wir mit § 6 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz eine weitere absolute Neuerung für die Behörden: die Einführung einer Klageerwiderungsfrist. Und ja, wir haben hier die Kritik gehört; ob zehn Wochen lange genug sind oder nicht, können wir gerne diskutieren. Aber wir müssen auch ehrlich sagen, dass die riesigen Beschleunigungspotenziale der verwaltungsgerichtlichen Verfahren ebenfalls genau da liegen; denn oft bleiben Behörden über Monate ihre Stellungnahmen und Klageerwiderungen schuldig. Deswegen ist das ein guter Ansatzpunkt, sich auch dies einmal anzuschauen.

Des Weiteren haben auch Sie, Herr Minister, das Beschleunigungsgebot angesprochen. Sinnbildlich gesprochen: Welche Akte kommt nach oben auf den Stapel? Aber auch hier gilt: Wer alles priorisieren will, priorisiert nichts, bzw. wer alles priorisiert, beschleunigt gar nichts.

(Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen müssen wir uns noch einmal anschauen, welche Gesetze wir auf die Akten der Richterinnen und Richter nach oben legen wollen und was uns besonders wichtig ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben das Wort oft gehört: Deutschlandtempo. Aber was soll das eigentlich sein? Ich glaube, wir sind uns einig, dass es heißt: Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren. Es heißt: ein modernes Schienennetz. Es heißt: perfekt instandgesetzte Straßeninfrastruktur. Und es heißt: Digitalisierung bei den Wasserstraßen. Dafür brauchen wir einen investiven Staat und eine konsequente Personalpolitik, einen Staat, der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam denkt und Investitionen gemeinsam lenkt. Wir brauchen eine Straffung im materiellen Recht und dürfen dabei unter keinen Umständen die Erfolge des Umweltrechts und vor allen Dingen des europäischen Umweltrechts schleifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kaweh Mansoori [SPD] und Dr. Thorsten Lieb [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im parlamentarischen Verfahren müssen wir noch einige Fragen klären; aber ich glaube, gemeinsam mit Kollege Lieb und Kollege Mansoori können wir das schaffen. Ich zähle auf Ihre Unterstützung, Herr Dr. Buschmann.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Susanne Hennig-Wellsow.

(Beifall bei der LINKEN)