Rede von Katja Keul Virtuelle Gerichtsverhandlungen

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14.05.2020

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen hatten wir alle miteinander viel Gelegenheit, die Vor- und Nachteile der virtuellen Konferenzen und Kommunikation in der Praxis zu testen. Klarer Vorteil: Die Fahrzeiten entfallen. Das wäre sicherlich auch ein Vorteil für Parteien und Anwälte in virtuellen Gerichtsverfahren. Es gibt Zivilprozesse, bei denen die Prozessbevollmächtigten Hunderte von Kilometern durch die Republik reisen, nur um das Gericht sagen zu hören: „Sie stellen den Antrag aus der Klageschrift …“, „Sie stellen Klageabweisungsantrag“, „Termin zur Verkündung einer Entscheidung am …“. Das ist in Anbetracht der technischen Möglichkeiten sicher nicht der Weisheit letzter Schluss.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der FDP)

– Ja, Vorsicht!

Es gibt aber auch andere Prozesse, wo die Parteien persönlich betroffen oder gar emotional involviert sind. Da macht die beste Technik den Grundsatz der mündlichen Verhandlung nicht obsolet. Schließlich haben wir alle durchaus auch die Nachteile der virtuellen Debatten erleben dürfen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Die Chatoption bei Zoom-Konferenzen kann die Wahrnehmung dessen, was zwischen den Zeilen gesagt wird, nicht ersetzen. Für denjenigen, der in einer persönlichen Angelegenheit vor Gericht unterliegt, ist es für die Akzeptanz des Urteils wichtig, sich richtig gehört und verstanden zu fühlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Die schnelle Erledigung des Verfahrens ist eben nicht der alleinige Maßstab für ein gutes Urteil. Auch und gerade bei Güteverhandlungen kommt es häufig auf die Atmosphäre im Gerichtssaal an, ob eine Einigung gefunden werden kann oder nicht. Ich halte es daher für richtig, dass Güteverhandlungen nicht von § 128a ZPO erfasst sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Außerdem habe ich Zweifel, ob es mit dem Grundsatz der Waffengleichheit vor Gericht vereinbar ist, wenn die eine Partei virtuell und die andere in persona an der Verhandlung oder der Zeugenvernehmung teilnimmt. Und letztlich muss auch das Gericht selbst die Freiheit haben, sich einen persönlichen Eindruck von einem Zeugen oder auch von einer Partei zu machen, wenn es das für entscheidungserheblich hält. Es geht daher auf jeden Fall zu weit, die virtuelle Verhandlung auf Antrag nur einer Partei zwingend vorzuschreiben, wie Sie es vorschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte es vielmehr für richtig, auf die sachgerechte Handhabung durch die Gerichte zu vertrauen, wenn es um den Einsatz der Videotechnik geht. Unstreitig gibt es einen großen Bedarf in der Justiz, was den Ausbau der digitalen Arbeitsabläufe betrifft. Wenn wir das, was das Gesetz heute schon in § 128a ZPO vorsieht, erst mal verlässlich erreichen wollen, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Es muss also dringend investiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Forderung nach einem Digitalpakt ist richtig. Auch ein Livestream-Angebot für die Öffentlichkeit bei Einvernehmen der Parteien halte ich für diskussionswürdig. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, die Menschen per Gesetz auf digitale Wege zu zwingen, wo sie das nicht selber wollen oder können, und sie damit dem Risiko der Diskriminierung auszusetzen.

Ob analog oder digital – der Zugang zum Recht muss für alle Bürgerinnen und Bürger gleich und niedrigschwellig sein. Gerichte müssen den Sachverhalt so umfassend wie möglich ermitteln können, um nach bestem Wissen und Gewissen ein Urteil zu fällen, dem die Menschen vertrauen. Darauf kommt es letztlich an.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Esther Dilcher [SPD])

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Katja Keul. – Der nächste Redner, Hans-Jürgen Thies, gibt seine Rede zu Protokoll.