Rede von Katja Keul Vormundschaft und Betreuung

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05.03.2021

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Positive zuerst: Über zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention wird das Betreuungsrecht im BGB systematisch neu aufgeschrieben und vom Kopf auf die Füße gestellt. Das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten wird an vielen Stellen gestärkt, und die Betreuungshilfevereine erhalten endlich eine gesetzliche Finanzierungsgrundlage für die Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuer.

Trotzdem hätten wir uns an der ein oder anderen Stelle eine noch deutlichere Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes gewünscht. So hätte man das neue Instrument der erweiterten Unterstützung zur Vermeidung rechtlicher Betreuungen nicht nur als Modell, sondern als Regelfall einführen können. Und die Überprüfungsfristen, gerade bei Betreuungen, die leider immer noch gegen den natürlichen Willen des Betroffenen angeordnet werden können, sollten maximal ein Jahr betragen. Die Differenzierung zwischen dem freien Willen und dem natürlichen Willen ist überhaupt etwas fraglich. Zwangsunterbringungen hätten wir gerne ganz aus dem Aufgabenbereich der Betreuer gestrichen.

Trotz allem hätten wir dieser Reform wohlwollend zugestimmt, da sie insoweit immer noch eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Rechtslage darstellt. Aber leider haben Sie an dem unsäglichen Vorschlag eines gesetzlich fingierten Ehegattenvertretungsrechts festgehalten, der von allen Experten in der Anhörung vernichtend beurteilt wurde. Statt das Selbstbestimmungsrecht zu stärken, wird es hier entscheidend geschwächt, indem wir uns als Gesetzgeber anmaßen, für die Betroffenen zu entscheiden, dass Ehegatten eher geeignet seien, ersetzende Entscheidungen zu treffen, als beispielsweise Kinder. Dafür gibt es keinerlei empirische Belege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Dieser Vorschlag kommt aus den Ländern, die eine Anhörung vor dem Betreuungsgericht einsparen wollen. Von der Expertenkommission kam eine solche Empfehlung gerade nicht. Weil es hier um Fragen von Leben oder Tod gehen kann, ist es durchaus angemessen, wenn ein Betreuungsgericht sich ein Bild macht, ob die Ehe faktisch noch besteht und der Ehegatte geeignet ist, im Sinne des Betroffenen zu entscheiden. Der Arzt kann das sicherlich nicht, selbst wenn er Zweifel hat.

Die Vermutung, jeder wolle im Ernstfall von seinem Ehegatten vertreten werden, geht aus zwei Gründen fehl.

Zum einen ist es gerade bei älteren oder gar hochbetagten Ehegatten häufig so, dass sie sich mit der ersetzenden Entscheidung überfordert fühlen oder überfordert sind, ohne das vielleicht zugeben zu wollen. Wenn dann aber die Kinder die Betreuung übernehmen wollen, müssen sie künftig erst die gesetzliche Vermutung widerlegen, was unnötig Streit in die Familien tragen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katrin Helling-Plahr [FDP] – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das stimmt einfach nicht!)

Zum anderen besteht eine erhebliche Missbrauchsgefahr; denn ein Arzt muss die gesetzliche Fiktion hinnehmen, selbst wenn ihm Zweifel kommen, ob die Ehe vielleicht nur noch auf dem Papier besteht. Da Ehegatten sich auch noch von Gesetzes wegen gegenseitig beerben, wäre eine Befassung des Betreuungsgerichts das Mindeste, bevor beispielsweise über die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen entschieden wird. Aus rein fiskalischen Interessen wird hier das Selbstbestimmungsrecht geschwächt, wobei die potenziellen Einsparungen eher gering sein dürften.

Diese gesetzliche Fiktion ist überflüssig und schwächt die Bedeutung der Vorsorgevollmacht. Ihrem Gesetz können wir deshalb leider nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Knapp an der Realität vorbei, Frau Kollegin! – Gegenruf der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie doch eine Zwischenfrage gestellt! Dann hätten wir diskutieren können! – Gegenruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nee! Nicht am Freitagnachmittag!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulla Schmidt das Wort.

(Beifall bei der SPD)