Rede von Emilia Fester Wahlalter 16 bei Europawahlen

Emilia Fester MdB
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski
22.09.2022

Emilia Fester (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!

(Fabian Jacobi [AfD]: Huhu, wir sind auch da!)

Genau jetzt, während wir hier debattieren, sind junge Aktivistinnen und Aktivisten in den letzten Zügen ihrer Demovorbereitungen. Wie gut, dass Fridays for Future endgültig mit dem Vorurteil aufräumen konnte, dass die junge Generation politikverdrossen wäre.

(Stephan Brandner [AfD]: Urteil bestätigt!)

Im Gegenteil: Morgen werden wieder Hunderttausende junge Menschen für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen

(Stephan Brandner [AfD]: Auf der Straße kleben!)

und 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz und soziale Sicherung fordern, weil sie wissen, dass Investitionen in unsere Lebensgrundlagen vernünftig und notwendig sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Schüler/-innen-Bewegung fordert, dass wir unsere Handlungsoptionen nutzen, um diese von Krisen geschüttelte Welt in den Griff zu bekommen. Das tun sie als mündige Bürger/-innen. Das sollten wir ernst nehmen und fördern. Geben wir ihnen neben der lauten Stimme auf der Straße auch eine Stimme an der Wahlurne!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Das Europaparlament, unsere Wahlrechtskommission und der Bundesrat empfehlen das, wofür die Ampel seit ihrem Sondierungspapier abgefeiert

(Zuruf von der CDU/CSU: „Abgefeiert“!)

wurde: die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre beim Bund. Wir beginnen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Es geht aber um so viel mehr. Das Wahlalter 16 reiht sich ein in eine lange Liste von Vorhaben der Ampel für ein starkes Europa. Wir unterstützen im Koalitionsvertrag etwa ausdrücklich den Vorschlag, transnationale Listen einzuführen.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Sehr richtig!)

Zusammen mit den Vorhaben der Wahlrechtskommission schafft die Ampel ein Wahlrecht, das dem 21. Jahrhundert gewachsen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Lachen des Abg. Martin Hess [AfD])

Ich stoße mich wirklich öfter an diesem Begriff, aber: So geht Fortschrittskoalition.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Die Begrenzung des Wahlrechts des Volks bis zu einer bestimmten Altersstufe seiner Angehörigen ist eine traditionell durchaus verstehbare, gegenwartsbezogen jedoch recht problematische, verfassungsrechtlich ziemlich bedenkliche, zukunftsorientiert dringend reformbedürftige und demokratietheoretisch weitgehend unhaltbare Bestimmung des Grundgesetzes.

(Stephan Brandner [AfD]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben? – Gegenruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott, ist das billig, Sie da von der rechten Seite!)

– Das sind nicht meine Worte, sondern die von Winfried Steffani, Politikwissenschaftler, SPDler und später CDUler. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, für eine Einschränkung demokratischer Rechte braucht es immer eine sehr gute Begründung, und Alter ist ein Merkmal, das laut Grundgesetz nicht zu einer Diskriminierung führen darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Warum nicht mit 14? Sie beschränken 14-Jährige!)

Die Unwucht ist eigentlich schon groß genug. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass diejenigen, die am längsten von der heutigen Politik betroffen sind, in dieser Demokratie die geringste Stimmkraft haben. Die ältere Hälfte der Gesellschaft hat nicht etwa 50 Prozent der Stimmgewalt in diesem Land, sondern mehr als 70 Prozent.

(Mike Moncsek [AfD]: Und das ist gut so! – Heiterkeit bei der AfD)

Die Begründungen für das Wahlalter 18, die ich immer wieder höre, sind, sagen wir mal, spannend. Im Kern geht es oft darum, dass junge Menschen nicht die Fähigkeit dazu hätten, an Wahlen teilzunehmen. Dann heißt es, junge Menschen seien nicht ausreichend politisch gebildet, um eine gute Wahlentscheidung zu treffen. Dieser Befähigungsvorbehalt scheint aber verwunderlicherweise nur für Jugendliche zu gelten. Oder testen wir andere Altersgruppen auf den Grad ihrer politischen Bildung,

(Stephan Brandner [AfD]: Gott sei Dank nicht! Sonst wären Sie nicht hier!)

bevor sie den Stimmzettel einwerfen dürfen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Doppelstandard. Im Übrigen ist es ein völlig falsches Argument. 16- und 17-Jährige werden sogar extrem gut vorbereitete Wähler/-innen sein. Denn sie gehen zur Schule, wo sie sich pädagogisch begleitet eine Meinung bilden, abwägen und für ihre eigene Wahl schlussfolgern können.

(Fabian Jacobi [AfD]: Jau, rundum durchindoktriniert!)

Die jungen Menschen schauen auf uns. Im Europäischen Jahr der Jugend erwarten sie mehr als Lippenbekenntnisse. Führen wir das Wahlalter 16 für die Europawahlen ein! Es ist an der Zeit.

(Stephan Brandner [AfD]: Nein! Nein! Nein!)

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Wunsch nach einer Zwischenfrage kam schon nach der Redezeit. Das konnten Sie nicht sehen. Aber deswegen habe ich nicht nachgefragt.

(Stephan Brandner [AfD]: Schade!)

Jetzt hat Fabian Jacobi das Wort für die AfD.

(Beifall bei der AfD)