Rede von Britta Haßelmann Wahlrecht

Foto von Britta Haßelmann MdB
17.03.2023

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Reform des Wahlrechtes. Es geht heute darum, nach zehn Jahren Debatte, Streit, Diskussion,

(Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU])

nach Versuchen der Zusammenführung und dem Suchen breiter Mehrheiten in diesem Parlament,

(Zuruf von der AfD: Mit uns haben Sie nicht geredet!)

eine Wahlrechtsreform abzuschließen, die das Verhältniswahlrecht, das wir in Deutschland haben, was immer wieder durch Verfassungsgerichtsentscheidungen bestätigt wird,

(Sebastian Hartmann [SPD]: Genau!)

das ein Personalelement hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Welches denn?)

absichert. Es geht heute darum, das auf den Weg zu bringen, und zwar so, dass es fair und verfassungsgemäß ist und bleibt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das werden wir sehen!)

Das werden wir heute tun, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, woran die Wahlrechtsreformdiskussionen die letzten zehn Jahre gescheitert sind, dann wäre dieser die Rede von Alexander Dobrindt gewesen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Ich respektiere seit Jahren die regionale Sonderstellung der CSU. Aber in 15 Bundesländern tritt die CSU nicht an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])

Es kann nicht sein, dass die CSU als Regionalpartei dem Deutschen Bundestag diktiert, wie das Wahlrecht aussieht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Jessica Tatti [DIE LINKE]: Unfassbar arrogant! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Kommunismus! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Pfui! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Vor uns haben es schon andere versucht: Herr Lammert als Bundestagspräsident, Herr Schäuble als Bundestagspräsident.

(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das ist eine Schweinerei, Ihre Rede! Eine Schweinerei!)

Herr Schäuble – ich glaube, Sie sind heute da –, ich habe großen Respekt vor Ihnen. Aber dass Sie ausgerechnet in Zusammenhang mit der Wahlrechtsreform, die heute auf den Weg gebracht wird, von einer „Irreführung“ reden, dafür habe ich kein Verständnis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es! Betrug am Wähler! – Zuruf der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])

Denn, meine Damen und Herren, nach dem jetzt geltenden Wahlrecht im Deutschen Bundestag würde es nach der nächsten Bundestagswahl möglicherweise Parteien geben, die zwar die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt haben, die aber keine Mehrheit im Deutschen Bundestag haben, weil aufgrund der Beratungen in der CDU/CSU drei Überhänge unausgeglichen stehen bleiben. Das sind die Voraussetzungen für die nächste Bundestagswahl.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir beschlossen!)

Das würde bedeuten, dass eine Mehrheit der Stimmen, zum Beispiel der Ampel, dadurch gefährdet wäre,

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ah! Darum geht es! Endlich! Besser hätte man es nicht sagen können! – Zurufe von der LINKEN: Aha! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

dass drei Überhänge unausgeglichen sind.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Es geht euch nur um Machterhalt an der Stelle! Euer Machterhalt ist Antriebsfeder dafür! Unanständig ist so was! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schämen Sie sich! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Ein Überhangmandat bedeutet bis zu 16 Ausgleichsmandate. Können Sie sich vorstellen, wie das Wahlergebnis verzerrt würde? Es würde massiv verzerrt, und das kann nicht die Grundlage sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – René Bochmann [AfD]: Sie können aufhören! Sie haben alles gesagt!)

Ihr Verständnis, Herr Dobrindt und Herr Merz, für Die Linke hat sich bei unseren Gesprächen ja in Grenzen gehalten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der LINKEN: Eures auch!)

Da waren Sie doch noch der Auffassung, dass kein Einklang bestünde zwischen dem Wahlrecht, was wir konzipieren – dem Verhältniswahlrecht –,

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ganz schlecht!)

und der Grundmandatsklausel; das war doch Gegenstand unserer Gespräche.

(Sebastian Hartmann [SPD]: Natürlich! – Christian Dürr [FDP]: Ja, natürlich!)

Sie waren es doch, die gesagt haben, das ist nicht übereinzubringen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ein Quatsch, was Sie hier erzählen!)

Herr Dobrindt, Sie haben sich keinen Deut um die Linken gekümmert.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ihr doch auch nicht!)

Es ging, wenn überhaupt, um fünf, aber doch nicht um drei Sitze. Mir kommen die Tränen. Davon ist jetzt nichts zu spüren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Jetzt geht es doch nur um Eigeninteressen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Um demokratische Grundregeln geht’s hier!)

Es geht hier nicht um Wahlmanipulation oder Betrug am Wähler.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Doch! Das ist Betrug am Wähler, und der kommt von euch! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Kommunisten!)

Meine Damen und Herren, ich finde, Sie haben eine Verantwortung, nicht im Trump’schen Sinne zu argumentieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zurufe von der LINKEN – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

In der Sache sollten Sie argumentieren.

Wir lösen ein Versprechen ein: den Deutschen Bundestag zu verkleinern, das Anwachsen zu verhindern.

(Zurufe der Abg. Matthias Moosdorf [AfD] und Heidi Reichinnek [DIE LINKE])

Daran sind alle Wahlrechtskommissionen der letzten zehn Jahre gescheitert. Das bringen wir heute fertig,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

und zwar auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Wurden Sie direkt gewählt? Haben Sie direkt gewonnen? Nein!)

Es bleibt bei 299 Wahlkreisen. Ja, auch das ist der Fall. Aber das muss durch das Verhältniswahlrecht abgesichert sein, nämlich durch die erzielten Zweitstimmen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie wissen, dass das falsch ist, was Sie jetzt gerade sagen! Das ist falsch! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist falsch!)

Herr Dobrindt, noch ein letzter Punkt. In Bayern ist es selbstverständlich, dass keine Partei in den Landtag einzieht, die keine 5 Prozent hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zurufe der Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU] und Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Wie viel Scheinheiligkeit kann es eigentlich geben?

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben das Wahlrecht nicht verstanden, weder das im Bund noch das in Bayern!)

Meine Damen und Herren, es gibt beim Thema Wahlrecht kein Erkenntnisdefizit; es gibt ein Handlungsdefizit,

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Es gibt bei Ihnen ein Verständnisdefizit!)

und das hatten wir aufgrund Ihrer Blockade jahrelang. Damit muss Schluss sein! Der Deutsche Bundestag macht deutlich: Wir sind in der Lage, eine Reform an uns selbst vorzunehmen.

(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Gegen die komplette Opposition! Wunderbar! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Zu Ihrem Machterhalt! Das ist ein verfassungswidriges Recht! Das ist eine tolle Leistung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was für ein Unsinn!)

Wir werden über 100 Abgeordnete weniger haben, meine Damen und Herren. Das ist eine Wahnsinnsleistung, dass alle dafür ihre Hand heben und abstimmen müssen. Dem zuzustimmen, das ist eine Leistung. Das verlangen wir von anderen in Krisenzeiten auch.

(Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Wir reduzieren den Deutschen Bundestag auf 630 Abgeordnete; das Verhältniswahlrecht wird die Grundlage sein, und das ist wichtig und notwendig und gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Peinlich und verfassungswidrig! – Stephan Brandner [AfD]: Sie reduzieren von 598 auf 630! Das ist eine super Logik!)

Damit gilt der Grundsatz: Wer die Mehrheit der Stimmen bei einer Wahl erzielt, wird auch die Mehrheit im Parlament darstellen können. Das ist ein sehr demokratischer Grundsatz.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Die Reform ist fair; sie ist verfassungsgemäß.

Und nach der Wahlrechtsreform ist vor der Parität, liebe Frauen. Das gehen wir als Nächstes an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe der Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU] und Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Albrecht Glaser.

(Beifall bei der AfD)