Rede von Dr. Till Steffen Whistleblowerschutz

Dr. Till Steffen
17.03.2023

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Poseck, ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie heute bei der Debatte über diese Frage, die im Streit zwischen Bundesrat und Bundestag ist, präsent sind, sodass wir uns sozusagen nicht nur auf die Ferne austauschen, sondern hier in den direkten Dialog gehen; das – das sage ich ausdrücklich – finde ich sehr sinnvoll. Ich muss Sie allerdings korrigieren: Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss gar nicht angerufen – er hätte es tun können, aber er hat es nicht gemacht –, sondern der Bundesrat hat einfach Nein zu diesem Gesetz gesagt. Damit hatte es sein Bewenden seitens des Bundesrates. Deswegen mussten wir natürlich seitens des Bundestages überlegen: Wie gehen wir jetzt mit der Situation um?

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Man hätte es auch lassen können! – Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, die die Verfassung vorsieht. Alle sind legitim. Dass zwischen meiner Vorahnung und dem heutigen Tag ein paar Wochen vergangen sind, liegt natürlich daran, dass wir uns auch gefragt haben: Gibt es eigentlich sinnvolle Wege, zum Beispiel über den Vermittlungsausschuss, um hier zum Ergebnis zu kommen?

Jetzt muss man wissen: Wir stehen unter einem gewissen Zeitdruck, weil die Klage der EU-Kommission schon beim Gericht eingegangen ist. Es kostet uns also schon echtes Geld, dass wir noch nicht fertig geworden sind. Und das liegt nicht daran, dass die Ampel so lange gebraucht hätte, sondern daran, dass die Umsetzung dieser Richtlinie schon ganz lange blockiert worden ist, und zwar schon in der letzten Wahlperiode. CDU und CSU haben ja eine gewisse Geschichte mit diesem Gesetz und haben offenbar neben den Punkten, die sie im Konkreten vortragen, ein grundsätzliches Problem mit dem Thema Hinweisgeberschutz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das wird wiederum deutlich, wenn man sich die einzelnen Punkte anguckt, die im Bundesrat vorgetragen wurden, wo sich natürlich die Frage stellte: Ist da in der Sache ein sinnvoller Kompromiss möglich? Denn die Forderung „Belastet doch bitte – bei aller Berechtigung dieses Anliegens – die Unternehmen nicht zu sehr!“ ist ja absolut legitim.

Das Interessanteste waren die Gespräche, die wir, Stephan Thomae, Sebastian Fiedler und ich, mit einer ganzen Reihe von Beauftragten von Compliance-Stellen geführt haben, die das schon lange machen. Wir haben uns gefragt: Macht die Forderung der Union einen Unterschied?

Es gibt zwei zentrale Dinge, die vonseiten des Bundesrates vorgetragen worden sind, nämlich zum einen die Forderung, den Anwendungsbereich bitte nicht über die Richtlinie hinaus auszudehnen. Die Richtlinie gibt vor: Es braucht ein System, um Verstöße gegen europäisches Recht melden zu können. – Und jetzt überlegen Sie sich mal, was das sowohl für die Stelle bedeutet, die diesen Schutz organisieren und die Hinweise entgegennehmen soll, als auch für den Arbeitgeber, der sich überlegen muss: „Welche arbeitsrechtlichen Maßnahmen darf ich eigentlich durchführen, wenn ich den Hinweisgeber nicht benachteiligen darf?“, was das für Gerichte bedeutet, aber auch für die hinweisgebende Person selbst, die sagt: „Ich sehe hier einen Missstand“, und sich dann fragt, ob sie überhaupt Schutz genießt, da dieser nur für das Melden von Verstößen gegen europäisches Recht gilt. Das heißt, sie müsste hier komplexe Prüfungen voranstellen. Häufig ist es ja so, dass das europäische Recht in Form von Richtlinien auf das nationale Recht einwirkt. Das heißt, es steht gar nicht „Europa“ dran, sondern es ist irgendwo in einem nationalen Gesetz mit drin. Und das muss man prüfen. Aber wehe, man tritt einen Schritt daneben! Dann hat man natürlich gleich wieder Probleme und unterliegt nicht dem Schutz, den diese Richtlinie eigentlich geben will. So ist das in der Praxis überhaupt nicht anwendbar.

Das gilt genauso für die Behandlung anonymer Hinweise. Sebastian Fiedler hat es ja gerade gesagt: Beim tragischen Fall des Attentats in Hamburg hat es eine Person gegeben, die die Courage hatte, zu sagen: Ich mache mir Sorgen. Ich gebe einen Hinweis. – Die zuständige Stelle wird darauf hingewiesen und wird aktiv und sucht; aber sie findet die Quelle nicht. Daher wäre es super gewesen, wenn es – was bei vielen Unternehmen mittlerweile selbstverständlich Standard ist – ein anonymes Hinweissystem gegeben hätte, in dem man Rückfragen hätte stellen und fragen können: Was meinen Sie? Wir würden das gerne genauer wissen. – Dann hätte man dieses Attentat unter Umständen verhindern können. Ich finde, die Geringschätzung von anonymen Hinweisen ist daher verkehrt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sebastian Fiedler hat es uns auch hier dargestellt. Ab 49,90 Euro pro Monat gibt es ein Hinweisgeberschutzsystem mit einem anonymen Austauschkanal. Hinweisgeberschutz ist billig. Aber Hinweisen nicht nachzugehen, kann teuer und verheerend sein.

(Zuruf des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist der Punkt, den wir im Blick behalten müssen.

Dann stellt sich natürlich die Frage: Ist es eigentlich sinnvoll, sich auf Kompromissverhandlungen einzulassen, bei denen Forderungen gestellt werden, die von erfahrenen Compliance-Beauftragten in Unternehmen für absurd gehalten werden? Dazu sagen wir: Das finden wir nicht so überzeugend.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Daher gehen wir lieber den anderen uns zur Verfügung stehenden Weg. Wir bringen zwei neue Gesetzentwürfe ein und konzentrieren die Verhandlungen, die dann vielleicht im Vermittlungsausschuss erforderlich sind, auf den Punkt, der der Zustimmungsbedürftigkeit unterliegt. Das werden wir dann tun.

Ich rate allen Beteiligten, uns eingeschlossen, im Blick zu behalten, dass jeder Tag ab jetzt Geld kostet. Und ich hoffe, dass wir bald zu einem wirksamen Hinweisgeberschutz kommen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Steffen. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Clara Bünger, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)