Rede von Canan Bayram Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozess
Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat sich wieder mal auf die Fahnen geschrieben, eine Reform der Strafprozessordnung auf den Weg zu bringen. Was sie uns hier zur Beratung vorgelegt hat, ist erneut nur Stückwerk. Statt notwendige Regelungen zu treffen, werden vor allem die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden erweitert, obwohl diejenigen aus dem Gesetz zur Modernisierung der Strafprozessordnung von 2019 und aus dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung der StPO von 2017 noch nicht einmal im Sinne einer evidenzbasierten Kriminalpolitik evaluiert sind. Kein Mensch weiß, ob diese Gesetze bewirken, was sie bewirken sollen, und ob sie das überhaupt können. Der Deutsche Anwaltverein und der Bundesdatenschutzbeauftragte fordern deshalb zu Recht ein Moratorium für die Sicherheitsgesetzgebung.
Was bei dem vorliegenden Gesetzentwurf besonders auffällt, ist, was nicht darin steht, nämlich diejenigen Reformen, die unbedingt nötig sind:
Da wäre erstens etwas, was ganz einfach zu regeln, seit langem überfällig und von der SPD erst kürzlich groß angekündigt worden ist, nämlich ein Zeugnisverweigerungsrecht auch für Mitarbeitende in Opfer-Beratungsstellen.
Zweitens: die Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen. Die Bundesrepublik ist deswegen schon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Trotzdem haben Bundesregierung und Koalition hier noch immer keinen Regelungsvorschlag vorgelegt.
Und drittens: Transparenz und Begrenzung des externen ministeriellen Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften. Die Anforderungen des EuGH zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft bleiben unbearbeitet liegen, weil sich Regierung und Koalition nicht einigen können.
Unter anderem für diese drei Punkte haben wir in unserem Änderungsantrag eine Lösung vorgeschlagen.
Abschließend ein Wort zu den Gerichtsdolmetscherinnen und Gerichtsdolmetschern. Deren Leistung und Qualität ist ein zentrales Element effektiver Strafverfolgung und hoch anzuerkennen. Auch ich habe mit Sorge die vielen Zuschriften der Gerichtsdolmetscher gelesen. Die Vereinheitlichung des Rechts auf Bundesebene ist jedoch erforderlich, um ein einheitliches Zulassungsverfahren zu gewährleisten. Die Übergangsfrist für nach Landesrecht beeidigte Dolmetscher gilt bis zum 12. Dezember 2024. Eine neue Vereidigung ist jedoch ohne Weiteres nach § 3 GDolmG möglich, sofern die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2, § 4 GDolmG vorliegen: abgelegte Dolmetscherprüfung, alternativer Befähigungsnachweis. Im Anschluss kann diese einmalige Beeidigung jeweils für fünf Jahre verlängert werden. Insoweit muss sich kein Dolmetscher einer erneuten Prüfung unterziehen. Das haben nicht alle Fraktionen verstanden.
Schlecht ist allerdings, dass ein erst 2019 novelliertes Gesetz erneut geändert wird. Auch hier zeigt sich, dass die Gesetzgebung mehr Qualität, Weitsicht und vor allem eine ruhige Hand braucht. Deshalb: Pause bei der Strafverfahrensgesetzgebung und vor allem kein Missbrauch dieser Gesetzgebung zu Wahlkampfzwecken, wie uns das mit dem weiteren Koalitionsentwurf zum Thema Wiederaufnahme heute, in der vorletzten Sitzungswoche, noch zugemutet wird.