Rede von Katrin Göring-Eckardt Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht

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30.01.2020

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ein Tagesordnungspunkt zur Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht, das hört sich zunächst einmal wie eine kleine Sache an, die nur wenige Menschen betrifft, und eigentlich ist es auch so. Aber es geht um mehr: Es geht um die Frage, ob wir nach den vielen wichtigen Reden, die hier gestern gehalten worden sind, auch Taten folgen lassen, ob wir handeln. Deswegen ist dieser Punkt, den wir heute hier besprechen, so zentral und so wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Gedenken an die Untaten des Nationalsozialismus gehört zu uns, gehört zu Deutschland, gehört zur Staatsräson und ist zugleich Herzenssache. Deswegen habe ich mich mit anderen auch für den Vorschlag von Esther Bejarano ausgesprochen, dem Erinnern durch einen bundesweiten Feiertag am 8. Mai Raum zu geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das kollektive Erinnern ist Ausdruck unseres Respekts für diejenigen, die unter den Nazis gelitten haben. Es ist aber auch für uns selbst, für unser demokratisches, freies Gemeinwesen so unfassbar wichtig, zu erinnern, nicht zu vergessen und zu handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es darf niemals zu einem Satz wie folgendem kommen: Diese schlimme Zeit ist nun überwunden, wir können einen Schlussstrich ziehen. – Nein, einen Schlussstrich gibt es nicht. Die Aufarbeitung der Verbrechen bleibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Aufarbeitung der Verbrechen bleibt und ist eben auch Auftrag. Wir können nicht ausblenden, worum es dabei im Grundsatz geht, und eben auch nicht, worum es gerade heute in der einen Frage beim Staatsangehörigkeitsrecht geht. Es geht um Menschen, die von den Nazis verfolgt wurden, es geht um ihre Nachfahren. Von der diskriminierenden Einbürgerungspraxis waren vor allem Jüdinnen und Juden betroffen, ihre Nachfahren waren betroffen, Sinti und Roma und auch andere. Dass diese Nachfahren von NS-Verfolgten heute wieder in Deutschland leben und leben wollen, ist und bleibt ein wahnsinnig großes Geschenk. Das können wir nicht oft genug sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ganz real aber bedeutet es für sie eben auch jeden Tag alltägliche Anstrengung, im Land der Täter zu leben und sich damit auseinanderzusetzen, nicht zuletzt wegen des alten und des neuen Antisemitismus, nicht zuletzt wegen Hass, wegen Hetze, wegen Gewalt, die sie zu ertragen haben, meine Damen und Herren, wie die jüdische Autorin Mirna Funk anlässlich des diesjährigen Gedenktages formulierte:

… man wird antisemitischen Vorurteilen ausgesetzt, und zwar wöchentlich. Man muss sich … zu Israel verhalten, man fragt sich, ob die eigenen Ängste … in irgendeiner Weise mit alten Traumatisierungen der Vorfahren zu tun haben.

Ich bin all denjenigen von Herzen dankbar, die sich entscheiden, in Deutschland, in unserem Land zu leben und ihm nicht den Rücken zu kehren. Auch deswegen haben wir den Auftrag zum Handeln, heute und hier.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Das Erinnern muss das Handeln im Heute leiten. Michael Groys, der sich selbst als jüdischer Aktivist versteht, formulierte es diese Woche im Deutschlandfunk so:

Wer Juden helfen will, muss konkrete Maßnahmen tun. … Nicht empören, … nicht Bagel essen, nicht Klezmer hören, sondern mit ganz konkreten nüchternen Handlungen.

Darum geht es heute hier. Das ist unser Auftrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir von Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht sprechen, bedeutet es nicht, dass wir die deutschen Verbrechen vergessen machen können. Unser Gesetzesvorschlag ist keine Antwort auf NS-Unrecht, sondern es ist eine praktische Maßnahme von anderen.

Ich persönlich sehe den Begriff „Wiedergutmachung“ in diesem Kontext und überhaupt übrigens sehr kritisch. Ich leite daraus vor allem eines ab: Es geht nicht um Wiedergutmachung. Das, was geschehen ist, können wir Deutschen niemals wiedergutmachen. Es geht darum, dass wir Verpflichtungen haben, es geht darum, dass wir ganz klar machen müssen: Diese Menschen können wir nicht noch mit wahnsinniger Verwaltung, mit Bürokratie und mit schwierigen Verfahren konfrontieren. Darum geht es heute und hier.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diejenigen in der Exclusions Group, die sich für die Wiedereinbürgerung von Menschen einsetzen, denen die Nazis die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen haben oder die sie unter Verfolgungsdruck aufgeben mussten, sind heute zum Teil hier, und ich freue mich sehr, dass sie da sind. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Die Gespräche mit den Mitgliedern der Gruppe haben immer wieder ergeben, welche Ungerechtigkeiten der Artikel 116 Absatz 2 Grundgesetz in der Praxis immer noch mit sich bringt. Er schließt eben weiterhin ganze Gruppen von dem gesetzlichen Einbürgerungsanspruch aus. Deswegen haben wir im vergangenen August ein Gesetz eingebracht, das diese Lücken schließen soll. Für NS-Verfolgte und ihre Nachfahren darf die Einbürgerung keine Bitte sein. Es ist ihr gutes Recht. Darum geht es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das Problem ist lange bekannt. Die Bundesregierung hat übrigens auch reagiert, auf Druck von außen und von innen, aus dem Parlament.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Quatsch!)

Aber sie hat mit Erlassen reagiert, und so ein Erlass – das wissen wir alle – ist etwas, was man sehr schnell zurücknehmen kann. Das ist eben kein Gesetz. Bei einem Erlass gibt es übrigens auch keinen Rechtsweg. Deswegen sagen wir: Wir brauchen ein Gesetz.

Wir bitten Sie von Herzen: Stimmen Sie zu, dass es das Recht gibt, dass es ein Gesetz gibt, dass es Klarheit für diejenigen gibt, die in unserem Land leben wollen, leben können, die sich dafür entschieden haben, die uns dieses Geschenk machen und die wir nicht mit Bürokratie konfrontieren sollten, die wir nicht mit weiteren Schwierigkeiten konfrontieren sollten. Ich finde, das muss eigentlich selbstverständlich sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist auch etwas, bei dem ich sage: Das kann man nicht mit Verwaltungsvorschriften lösen. Es ist ein Thema, bei dem ich übrigens finde, dass wir es hier nicht in Konfrontation miteinander besprechen sollten. Das zeigt auch, dass Sie sich längst auf den Weg gemacht haben. Aber wir könnten gemeinsam heute hier ein eindeutiges, ein klares Zeichen setzen. Das ist meine Bitte. Deswegen sage ich: Stimmen Sie zu! Es ist ein Recht, es ist ihr gutes Recht, und es ist gut für unser Land, für den Zusammenhalt, den wir hier so wichtig finden.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Fünf Monate zu spät!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Göring-Eckardt. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)