Rede von Filiz Polat Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht

24.06.2021

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dies ist ein feierlicher Moment, wenn nach jahrzehntelangem Kampf Verfolgten des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen endlich die ihnen zustehenden Rechte zukommen. Umso bedauerlicher ist es, dass dieser Moment in die Nachtstunden fällt und der Zivilgesellschaft somit der gebührende Respekt und die langausstehende Ehrung nur auf diesem Wege zuteilwerden können.

Dennoch möchte ich, stellvertretend für meine Fraktion, folgenden Vorkämpfer/-innen ausdrücklich danken: Frau Arnold, die mit unermüdlichem Einsatz unter hohen persönlichen Kosten ein ausschlaggebendes Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten hat, Dr. Courtman, der mit akribischer Arbeit die rassistischen Zusammenhänge im Staatsangehörigkeitsrecht historisch aufgearbeitet hat, und Frau und Herr Couchman, die durch die Gründung der „Article 116 Exclusion Group“ Betroffene zusammengebracht haben, um mit gemeinsamer Stimme unüberhörbar zu werden. Danke!

Der Versuch der Wiedergutmachung und Aufbereitung von NS-Unrecht und rassistischen Kontinuitäten kann und darf mit dem heutigen Tag nicht für beendet erklärt werden. Das zeigt sich, wenn man, wie im Fall von Frau Arnold, auch nach Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit weiterhin bei der gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe behindert wird, wenn beim Zugang zur Gesundheitsversorgung Steine im Weg liegen. Das zeigt sich auch an der Situation von zahlreichen Sinti*zze und Rom*nja, denen auch nach 1949 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde und die bis heute um die Anerkennung als deutsche Staatsangehörige kämpfen. Und das zeigt sich an der unzureichenden Aufarbeitung des kolonialen Unrechts und dessen Auswirkungen hinsichtlich des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit aus diskriminierenden und rassistischen Gründen.

Deshalb ist, wie Dr. Courtman in seiner Stellungnahme vor dem Innenausschuss betonte, eine selbstkritische Prüfung früheren Regierungs- und behördlichen Handelns notwendig, um die jahrzehntelange diskriminierende Rechtspraxis aufzuarbeiten. Die Aufarbeitung von NS-Unrecht und diskriminierenden Praxen in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart ist eine Mammutaufgabe, der wir uns konsequent und dauerhaft stellen müssen.

Deshalb teilen wir das mit dem vorgelegten Änderungsantrag verfolgte Ziel, Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus zu bekämpfen. Wer jedoch den Einsatz gegen Antisemitismus auf Personen mit Einwanderungsgeschichte begrenzen will und das Bild erzeugt, dass das Staatsangehörigkeitsrecht bisher schutzlos gewesen sei, verkennt die Tragweite der hochgefährlichen Problematik. Antisemitismus reicht bis in der Mitte der Gesellschaft und muss auch dort mit aller rechtsstaatlichen Entschlossenheit bekämpft werden.

Die Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht ist ein wichtiges Signal aus der Herzkammer unserer Demokratie. Deshalb wird meine Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen.