Robert Habeck
07.09.2023

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einem Jahr waren in der damaligen Haushaltsdebatte die Hauptthemen: Uniper-Rettung, Besorgung von Gas nach dem Ausfall der russischen Lieferungen, Füllung der Gasspeicher, Aufbau von FSRUs. Das spielt heute in der öffentlichen Debatte kaum noch eine Rolle. Ich erwähne das nur, um zu zeigen, wie weit wir in diesem Land gekommen sind durch eine gemeinsame Kraftanstrengung – ich werde darauf zurückkommen – der verschiedenen Akteure in Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich erwähne das zweitens, weil Teile – Teile! – der gegenwärtigen konjunkturellen Schwächephase, weil die herausfordernden Situationen, die wir haben, unmittelbar mit diesen damals virulenten und heute beherrschbaren Problemen zu tun haben.

(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])

Deutschland ist eine Exportnation; darauf sind wir stolz. Das hat unseren Wohlstand in den letzten Dekaden nach oben gebracht. Aber natürlich sind wir darauf angewiesen, dass die Exportmärkte offenstehen. Dass China nicht mehr nur der nette Handelspartner ist, dürfte inzwischen allen klar geworden sein. Deutschland ist ein hochindustrielles Land, das noch immer eine energieintensive Industrie hat.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Immer noch!)

Natürlich gibt es einen Zusammenhang: Wenn ungefähr die Hälfte der Energie aus Russland wegfällt, dann kommt es zu hohen Energiepreisen. Und: Wir leiden unter der Inflation, die nicht überraschend kommt.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Denn wenn die Hälfte der Energie wegfällt und zu höheren Preisen besorgt werden muss, dann treibt das die Inflation natürlich nach oben. Das heißt, viele von den Problemen, die wir im Moment haben – und die haben wir –, stehen immer noch in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Turbulenzen aus dem fürchterlichen Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Albrecht Glaser [AfD]: Geschwätz!)

Auch wenn die Trolle von Putin es nicht wahrhaben wollen: Es war von Anfang an das Ziel von Putin, die wirtschaftliche Lage in Europa zu destabilisieren. Gut, dass wir ihm gemeinsam in den Arm gefallen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren, diese Probleme treffen auf strukturelle Probleme,

(Tino Chrupalla [AfD]: Na klar!)

wie Bürokratie, fehlende Arbeitskräfte, fehlende Digitalisierung.

(Beatrix von Storch [AfD]: Was ist mit den Menschen, die wir gekriegt haben?)

Um diese strukturellen Probleme zu beheben, gibt es, glaube ich, drei politische Grundhaltungen; diese würden uns helfen, da gemeinsam durchzukommen. Ich betone noch einmal die Gemeinsamkeit. Das heißt natürlich nicht Einstimmigkeit, sondern gemeinsame Analyse und den Willen, zu kooperieren.

Erstens: Selbstkritik. Das gilt natürlich für mich und für meine Partei. Dinge, die wir besser machen können, müssen wir besser machen. Und man darf auch einräumen, dass man Dinge in der Vergangenheit vielleicht anders gesehen hat; die Situation hat sich halt völlig geändert. Ich will aber auch keinen Hehl daraus machen, dass es Grund zur Selbstkritik auch bei anderen gibt. Es sollte keine Schande sein, wenn man seine eigene Position hinterfragt oder einräumt, dass man sich geirrt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Tino Chrupalla [AfD]: Fangen Sie mal an!)

Zweitens: Kraft zur Differenzierung. Wenn man nur den Hammer als Instrument nimmt, sieht man auch nur Nägel. So ist es aber nicht. Ich habe es eben angedeutet: Die Situation ist differenziert, und sie erfordert differenzierte politische, auch wirtschaftspolitische Antworten.

Drittens: das gemeinsame Suchen. Das gemeinsame Suchen heißt: Wer Vielfalt zu Gegensätzen stilisiert, gibt die politische Mitte preis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich knüpfe an die Worte von Katharina Dröge gestern an und wende mich an die Union: Sie werden es in Bayern erleben, dass genau diese Politik zu einer Preisgabe der politischen Mitte führt, und das wird in letzter Konsequenz den Wirtschaftsstandort Bayern extrem schwächen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und: Es entspricht nicht der Wirklichkeit.

Ich freue mich über die Unterstützung gerade von Unionsministerpräsidenten beim Industriestrompreis, und ich finde es gut, dass die Union Vorstöße dazu macht, länger freiwillig zu arbeiten, und dass das politisch incentiviert wird. Es gibt die Möglichkeit zur Kooperation, wenn man sie denn will – entgegen manchmal intellektuell mäßig klugen Bierzeltreden.

(Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Sehr geehrte Damen und Herren, „Raus aus der Komfortzone der Selbstzufriedenheit!“, das muss das Motto unserer Zeit sein. Wenn wir unseren Wohlstand verteidigen, wenn wir unseren Wohlstand erneuern wollen, dann heißt das, dass wir aktiv handeln müssen und uns nicht Vorträge halten, wie man wohl in der Vergangenheit besser gehandelt hätte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zur Wirtschaftspolitik! Sprechen Sie heute noch dazu?)

Bedrückend ist rückblickend die zukunftsblinde Selbstzufriedenheit, mit der wir in diese Situation hineingegangen sind. Noch bedrückender ist aber, wie das teilweise überkompensiert wird durch ein defätistisches Schlechtreden des Standorts Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben – ich habe es gerade hergeleitet – Probleme,

(Beatrix von Storch [AfD]: Putin, ja, Putin!)

Probleme, die ursächlich mit der geopolitischen Situation und mit hausgemachten Problemen zusammenhängen. Das heißt aber nicht, dass alles schlecht ist. Wir sind ein starker Standort. Wir sind als Standort hochinteressant für ausländische Investoren; 80 Milliarden Euro für Investitionen in Deutschland – wir haben es vom Bundeskanzler gestern gehört – stehen in der Pipeline. Gemeint sind Investitionen von jeweils über 100 Millionen Euro; die anderen messen wir gar nicht. Wir haben eine große finanzpolitische Feuerkraft. Wir haben den Geist der Zusammenarbeit, des Korporatismus zwischen Sozialpartnern, Bund und Ländern. Und wir haben natürlich die Möglichkeit – siehe letztes Jahr im Vergleich zu diesem Jahr –, Dinge besser zu machen.

Lassen Sie mich kurz auf den Bürokratieabbau – Stichwort „Deutschlandpakt“ – zu sprechen kommen. Wir sind ja längst gemeinsam dabei, es zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen führen wir gerade Praxischecks zur Entbürokratisierung bei Unternehmensgründungen durch. Mit dem Bundesland Bayern treffen wir uns morgen, um Praxischecks hinsichtlich Nachhaltigkeitsberichterstattung und Verschlankung durchzuführen. Mit dem Bundesland Baden-Württemberg sind wir dabei, die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien von der Praxis her zu überprüfen und zu entbürokratisieren. Wir sind doch schon längst dabei, das zu tun, und Bund und Länder arbeiten gut zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das heißt doch, dass wir die Kraft zur Zusammenarbeit haben können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Und der Bundeskanzler weiß das nicht?)

– Habe ich das gerade richtig gehört? „Reicht das nicht?“ Na ja, ich habe eben angemahnt, vielleicht ein bisschen selbstkritisch zu sein.

Um einmal kurz über „Reicht das nicht?“ zu reden:

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: „Und der Bundeskanzler weiß das nicht?“!)

Die Bilanz der Vergangenheit, die wir vorgefunden haben: Ausbau der Erneuerbaren: politisch verschleppt. Digitalisierung bis hin zum UMTS-Ausbau: schlecht gemacht. Arbeitskräfteeinwanderung: mit Absicht verhindert.

(Zuruf des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])

Integration von Fachkräften in den Arbeitsmarkt: nicht gewollt. Die Erneuerbaren: mutwillig verzögert. Netzausbau: verhindert. – Und dann: „Reicht das nicht?“ Natürlich reicht das alles nicht, sonst wären wir ein Land ohne Probleme.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Mit einer Geschwindigkeit wie nie zuvor löst diese Bundesregierung aber die Probleme.

(Leif-Erik Holm [AfD]: Sie schafft sie erst!)

Sehr geehrte Damen und Herren, der Wille zur Kooperation heißt, politische Gegensätze zu akzeptieren, aber das Gemeinsame zu suchen. Der Wille, den Standort Deutschland zu stärken, heißt, auf die Kraft dieses Landes zu setzen und sie zu entfesseln. Lösen wir uns von dem Schlendrian der Vergangenheit! Entfesseln wir die wirtschaftliche Kraft Deutschlands! Erneuern wir den Wohlstand.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion hat nun das Wort der Kollege Jens Spahn.

(Beifall bei der CDU/CSU)