Marlene Schönberger MdB
05.07.2023

Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wenn die AfD einen Antrag zu Pseudowissenschaften ankündigt, werde ich aufmerksam: Wendet man sich jetzt gegen die eigenen Reihen, die pseudowissenschaftlich die Klimakrise leugnen? Leider nein.

Es geht in diesem Antrag nicht um Pseudowissenschaften; der AfD geht es auch nicht um irgendwelche Studienfächer. Sie wissen doch selbst ganz genau: Forschende an Hochschulen genießen die Freiheit, ihre Fragestellungen selbst zu wählen, passende Methoden zu suchen und ihre Ergebnisse zu interpretieren.

(Dr. Marc Jongen [AfD]: Genau! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau! Ohne Cancel Culture gegen Kollegen!)

Es ist also vollkommen offensichtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es bei diesem Antrag um etwas anderes geht. Dieser Antrag wirft ein Schlaglicht auf eine rechte Kampagne.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE])

Weltweit mobilisieren gerade rechte Politiker/-innen gegen Gender Studies, gegen Queerness, Feminismus, Transgeschlechtlichkeit – nicht nur, weil sie Queerfeinde sind.

(Dr. Michael Kaufmann [AfD]: Verschwörungstheorie!)

Es ist Teil einer Strategie. Mit Queerfeindlichkeit gelingt es der extremen Rechten, Bündnisse zu schmieden, die sonst vielleicht nicht möglich gewesen wären. Evangelikale, DeSantis, rechtsextreme Hooligan-Gruppen, Orban, die Nachbarinnen und Nachbarn von nebenan, Aiwanger – sie alle sind Teil dieser menschenverachtenden Allianz oder lassen sich zumindest vor den Karren spannen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE] – Zuruf des Abg. Alexander Föhr [CDU/CSU])

Durch fehlende Berührungsängste und strategisches Geschick der Rechten werden Hass und Hetze nicht nur zu einem verbindenden Element, sondern zum Selbstläufer.

(Maja Wallstein [SPD]: Ja!)

Parteien wie die CSU und die Freien Wähler wollen gerade Stimmen zurückgewinnen. Doch anstatt demokratische Gegennarrative zu entwickeln, plappern sie rechte Erzählungen nach; sie helfen mit, den Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Deshalb noch einmal hier der Appell, den gerade Sozialwissenschaftler/-innen rauf- und runterbeten: Die Lage der Demokratie ist ernst. Wir brauchen klare Kante, Abgrenzung gegen rechts – jetzt!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Es gibt noch einen weiteren Grund für das übertriebene Interesse der AfD am Thema „Gender Studies und Queerness“: die antisemitische, antidemokratische Verschwörungsideologie von der sogenannten neuen Weltordnung, die viele Rechte glauben. In dieser Verschwörungsideologie vereinen sich viele Kernthemen der AfD. Sie nennen sie „Klimahysterie“, „Umvolkung“, raunen von „Coronaplandemie“.

(Dr. Michael Kaufmann [AfD]: Sie tragen hier eine Verschwörungstheorie vor!)

Aber auch die angebliche Genderideologie wird immer wieder beschworen. Wer an die Erzählung der neuen Weltordnung glaubt, denkt, dass das alles Werkzeuge von fiktiven globalen Eliten seien, um die Menschen zu schwächen.

(Nicole Höchst [AfD]: Das steht in den Koalitionsverträgen!)

Dieses Narrativ erinnert nicht nur zufällig an die antisemitische Erzählung der Nazis von der jüdischen Weltverschwörung.

Wenn Sie sich jetzt fragen, wer diesen Unsinn, den ich gerade erzählt habe, verbreitet, dann schauen Sie sich den neuen AfD-Landrat von Sonneberg an,

(Nicole Höchst [AfD]: Ja! Wunderbar!)

oder schauen Sie in die Telegram-Kanäle der AfD-MdB.

(Nicole Höchst [AfD]: Das tun immer mehr Menschen! 20 Prozent, sage ich nur! Vielen Dank für die Hilfe!)

Und das ist leider alles andere als lustig, sondern schäbig, geschichtsvergessen und brandgefährlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE])

Laut Bundesinnenministerium hat die Gewalt gegen queere Menschen im letzten Jahr um mehr als 15 Prozent zugenommen. Letztes Jahr wurde der Transmann Malte beim CSD in Münster totgeprügelt.

(Zurufe von der AfD: Von wem?)

Dieses Jahr gab es bei CSDs in Wiesbaden, Hannover, Reutlingen, Saarbrücken, München und Osnabrück angezeigte gewalttätige Angriffe.

(Nicole Höchst [AfD]: Sagen Sie, wer es ist! – René Bochmann [AfD]: Wer war’s?)

Im letzten Jahr registrierte die Meldestelle für Antisemitismus, RIAS, die höchste Anzahl an potenziell tödlichen antisemitischen Angriffen seit Beginn ihrer Arbeit.

(Zuruf von der AfD: Von wem begangen? Sagen Sie das doch mal!)

Von Rassismus Betroffene, Geflüchtete, Menschen mit Behinderung, Frauen, queere Menschen, Jüdinnen und Juden – für sie alle verschärft sich die eh schon sehr prekäre Sicherheitslage.

Noch können wir das Ruder herumreißen; aber das erfordert von uns zuallererst, dass wir die Situation anerkennen. Was gerade in dieser Gesellschaft passiert, ist außergewöhnlich. Wir befinden uns in einem Abwärtsstrudel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit; sie ist eine Errungenschaft, und sie muss verteidigt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dieser Antrag ist ein antidemokratischer, weil er das Grundrecht der Forschungsfreiheit angreift, weil er an antisemitische Verschwörungsideologien anschließt, weil er Teilen unserer Gesellschaft Rechte abspricht. Wir verteidigen die Demokratie, indem wir uns nicht nur diesem entlarvenden Antrag entgegenstellen, sondern die AfD und ihre Ideologie im Ganzen bekämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schönberger. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)