Rede von Dr. Till Steffen Ziviljustiz

Dr. Till Steffen
02.03.2023

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Du raffst meine Welt nicht, und trotzdem dringst du in sie ein. Du bringst mir nix als Probleme und willst’n Teil von mir sein.“ Das ist ein Zitat, natürlich im Original doppelt so schnell, aus dem Lied „Nur mir“ von Moses Pelham und Sabrina Setlur. Das passt in dreierlei Hinsicht.

Es passt inhaltlich zu den naseweisen Ausführungen vonseiten der AfD, wie wir sie ja hier regelmäßig hören.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Aber es passt natürlich auch, weil dieser Fall ja Rechtsgeschichte geschrieben hat. Der Rechtsstreit über dieses Lied ging ja bis zum Europäischen Gerichtshof. Da ging es um die Frage, ob das ein zulässiges Sampling ist. Und es passt insoweit, als dass das, was die Union hier vorgelegt hat, ein Sampling – „Plagiat“ würde ich es nicht nennen – von dem ist, was der Deutsche Richterbund vorgelegt hat.

(Stephan Brandner [AfD]: Meine Worte, Herr Steffen! Meine Worte! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir stehen zum Richterbund!)

Auch wenn jetzt die Schöpfungshöhe nicht ganz so hoch war. Gleichwohl kann man das hier an der Stelle sagen.

Es ging ja um ein Sampling zu dem Lied von Kraftwerk. Kraftwerk, das ist die Band mit dem Lieblingslied von Volker Wissing. Sie kennen es vielleicht: „Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Tolles Lied! Tolles Lied! – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ein exzellentes Lied!)

Das ist auch deswegen besonders passend – das ist dann der dritte Grund –, weil ja Moses Pelham als Musiker bekannt geworden ist, in Wahrheit aber als Rechtsanwalt reich wurde, und zwar mit Massenverfahren.

Er hat ja diese Filesharing-Abmahnverfahren populär gemacht und daraus für sich ein wirklich sehr gutes Geschäftsmodell entwickelt, und das haben andere dann entsprechend kopiert. Das hat die Gerichte seinerzeit sehr belastet. Ich erinnere tatsächlich diesen Fall als einen der ersten Fälle. Ich war damals in einer ähnlichen Rolle wie Herr Poseck jetzt. Wir haben uns damals gefragt: Wie sollen die Gerichte dem denn Herr werden, wenn so viele Verfahren auf sie einprasseln?

Da hat sich mittlerweile die Technik zulasten der Musikerinnen und Musiker geändert; deswegen ist das kein Thema mehr. Aber wir haben natürlich andere Fälle von Massenverfahren, die uns beschäftigen und die natürlich ein Thema sind. Insoweit ist es total in Ordnung, das hier zum Gegenstand eines Antrags zu machen.

Wir haben die Situation – da bin ich dann aber im Dissens zu Ihrer Grundlage –, dass Legal-Tech-Anwendungen auch für viele Verfahren bei Gericht sorgen können. Das wichtigste Beispiel sind in der Tat die Fluggastrechteverfahren. Da sagen Sie, das sei ein Problem. Ich finde: Nein, das ist kein Problem, sondern es ist gut, dass hier ein Zugang zum Recht geschaffen wird in einem Bereich, wo Bürgerinnen und Bürger bis dato ihre Rechte nicht effektiv wahrnehmen konnten, mit der Konsequenz, dass Fluggesellschaften quasi die Rechte von Fluggästen konsequent ignorieren konnten. Das ist nicht mehr der Fall, und das ist auch gut so, dass das Recht mehr Beachtung findet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. René Bochmann [AfD])

Darauf muss sich die Justiz natürlich einstellen. Das ist ja auch gesagt worden – Herr Karaahmetoğlu hat es ja erwähnt –, dass wir seitens der Gerichte darauf reagieren müssen. Ich weiß nicht, ob das schon künstliche Intelligenz ist, was jetzt zur Anwendung kommt, aber in der Tat brauchen die Richterinnen und Richter Verfahren, die es ihnen ermöglichen, auf elektronischem Wege Schriftsätze zu analysieren. Das müssen natürlich erst mal die Dienstherren, die Länder, entsprechend zur Verfügung stellen. Aber da kommen wir zu der Frage, die sich auch beim Pakt für den Rechtsstaat stellt: Warum muss etwas in 16 Bundesländern einzeln erfunden werden, was man auch einheitlich voranbringen könnte? Deswegen ist das auch ein weiterer Beleg dafür, dass das Engagement des Bundes meiner Überzeugung nach hier höher sein müsste; ich habe es oft genug hier vorgetragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben diesen Antrag vorgelegt. Ich glaube, dass man über viele Punkte reden kann. Aber über manche Punkte muss man auch sehr kritisch nachdenken. Schauen wir uns das Beispiel an, das auch schon von Herrn Poseck genannt wurde: Es soll die Möglichkeit geben, dass Parteien gezwungen werden, einen Rechtsstreit fortzusetzen, obwohl sie bereit sind, sich vergleichsweise zu einigen. Das ist natürlich ein ganz massiver Eingriff in einen Grundsatz des Zivilprozesses. Im Zivilprozess geht nichts über die Parteimaxime: Die Parteien des Rechtsstreits entscheiden. Es entscheidet nicht der Richter; es entscheidet nicht der Staat; es gibt kein öffentliches Interesse. Das aber wollen Sie hier einführen. Sie sagen: Im Interesse der geordneten Rechtspflege oder wie auch immer soll es möglich sein, Parteien zu zwingen, diesen Rechtsstreit fortzusetzen, obwohl sie sagen: Hier könnten wir uns prima auf einen Vergleich einigen.

Das ist natürlich eine Sache, die man sehr sorgfältig abwägen muss, weswegen ich das Vorgehen, das wir in der Koalition hier gewählt haben – es ist ja eben dargestellt worden –, sehr vernünftig finde. Es ist eben nicht alles sinnvoll.

Ein Bereich, in dem wir Massenverfahren erlebt haben, ist genannt worden; das waren die Dieselklagen, weil Autohersteller, allen voran VW und Audi, aber andere auch, tatsächlich massenhaft Motoren eingebaut haben, die nicht die Eigenschaften aufgewiesen haben, die sie hätten haben sollen. Das heißt, die Kundinnen und Kunden wurden beim Verkauf betrogen und sagen zu Recht – zu Recht! –: Das kann doch nicht sein, dass VW damit durchkommt. – Deswegen geht es auch hier um einen effektiven Zugang zum Recht.

Da haben wir gesagt: „Ja, die Musterfeststellungsklage soll da irgendwie helfen“, haben aber festgestellt: Tut sie nicht. Sie bringt nicht die Entlastung für die Justiz, und sie bringt auch nicht die Durchsetzung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher. Deswegen ist es so entscheidend, dass die Verbandsklage, die wir jetzt gerade diskutieren, eine Klage ist, die für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv ist, ein attraktiver Weg, ihre Rechte durchzusetzen, damit sie nicht leer ausgehen. Und deswegen ist es richtig, dass wir momentan diesen Streit so engagiert führen und sagen: Es muss für Verbraucherinnen und Verbraucher interessant sein, von diesem Instrument Gebrauch zu machen. Und ja, wir wollen, dass das Gesetz die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher sichert und hier einen Zugang zum Recht schafft und das dann natürlich in effizienter Weise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre ein Beitrag zur Entlastung der Justiz.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Clara Bünger.

(Beifall bei der LINKEN)