Rede von Dr. Manuela Rottmann Zivilprozessordnung

07.06.2018

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Fechner, ich freue mich sehr, dass Sie, nachdem Sie so zerknirscht und unglücklich geguckt haben, als wir gesagt haben: „Nein, wir lassen das Thema nicht schon wieder wie in der letzten Sitzungswoche ohne Debatte durchlaufen“, und „Nein, wir wollen sogar eine Anhörung dazu durchsetzen“, heute wieder fröhlich sind. Warum haben wir das gemacht? Der Rechtsstaat wurde wieder beschworen; das ist der Slogan dieser Legislaturperiode.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Man kann dem Rechtsstaat auf zweierlei Art und Weise schaden. Man kann ihn immer nur dann im Mund führen, wenn man ihn eigentlich missbraucht, um Bürgerrechte abzuräumen; so macht es die CSU. Oder man kann ihn verlottern lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Unsachliches Argument!)

Das kann man machen, indem man den Rechtsanwendern undurchdachte Last-Minute-Gesetze vor die Füße wirft, die in der Praxis mehr Probleme schaffen als sie lösen, indem man versäumt, das Verfahrensrecht up to date zu halten im Hinblick auf die sich immer stärker ändernden Anforderungen, oder indem man über Jahrzehnte mit Notlösungen arbeitet. Dass der Gesetzgeber sich mit Sorgfalt und mit Engagement und auch um diese Uhrzeit um das Verfahrensrecht kümmert, das ist viel mehr wert als die Werbekampagnen, die Sie geplant haben. Daran erkennen die Bürger, dass dieser Rechtsstaat für sie da ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ewige Provisorium der Wertgrenze soll also wieder verlängert werden. Ich kann sagen: In den vergangenen Jahren hätten Sie genug Zeit und auch Anlass gehabt, über einen modernen Weg der Reform des Zivilverfahrensrechts gründlich nachzudenken; denn, Herr Dr. Ullrich, es ist nicht alles so rosig, wie Sie es beschreiben. Die Eingangszahlen in der ersten Instanz in den Zivilgerichten gehen seit zwanzig Jahren kontinuierlich und drastisch zurück. Wir wissen gar nicht, warum. Wir kennen die Ursachen nicht. Wir wissen nicht, ob es andere Konfliktlösungsmechanismen gibt, die funktionieren, oder ob sich die Menschen tatsächlich von der Justiz abwenden, weil sie ihnen zu teuer, zu aufwendig, zu kompliziert geworden ist. Gleichzeitig ist trotz Ihrer 20 000-Euro-Wertgrenze die Belastung des BGH durch Nichtzulassungsbeschwerden ja hoch geblieben.

Also: Wir hatten eine Anhörung. Wir hatten ein einhelliges Ergebnis in einem Punkt. Wissenschaftler und Praktiker waren sich einig, dass man § 522 Absätze 2 und 3 ZPO streichen sollte. Das heißt, dass es keine Zurückweisung der Berufung mehr gibt ohne mündliche Verhandlung. Da haben wir ein Ergebnis. Das könnten wir jetzt mal umsetzen. Das wollen Sie wieder vertagen, wollen eine Kommission.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben aber auch viele unterschiedliche Lösungsvorschläge, zu denen es noch keinen Konsens gibt und zu denen wir eine Abwägung und Prüfung brauchen.

Die Regierungsfraktionen versprechen uns jetzt wieder eine Kommission – eine Bund-Länder-Kommission. Die gab es bereits zu diesem Thema. Es hat sich aber nichts geändert. Wir sind am selben Punkt wie vor der letzten Verlängerung und vor der vorletzten und vor der vorvorletzten und vor der vorvorvorletzten. Ich wette, dass wir Ende 2019 wieder an genau diesem Punkt sein werden.

(Stephan Brandner [AfD]: Ich wette dagegen!)

Wir begrüßen daher ausdrücklich den Antrag der FDP, ein konkretes Verfahren zu schaffen; wir schließen uns diesem Antrag an. Wenn Sie es mit dem Rechtsstaat ernst meinen, dann unterstützen auch Sie ihn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)