Leon Eckert
21.03.2024

Leon Eckert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kameradinnen und Kameraden bei der Feuerwehr, beim Technischem Hilfswerk und bei den Hilfsorganisationen! Die Sicherheitslage in Europa hat sich in den letzten zwei Jahren radikal verändert. Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, und auch wir werden jeden Tag hybrid angegriffen.

Cyberangriffe, Desinformationskampagnen oder Sabotageakte – alles Angriffsmethoden, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verbündeten richten. Wir können heute nicht sagen, welche Formen von Angriffen noch gegen uns gerichtet werden. Deswegen ist es wichtig, sich auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Vergangenheit lehrt uns, was alles kommen kann, woran man nie gedacht hat. 1,7 Millionen aktive zivile Einsatzkräfte gibt es in der Bundesrepublik Deutschland – ein unglaublicher Schatz. Es sind hauptsächlich ehrenamtliche Einsatzkräfte. Sie alle treibt an, im Einsatz zu sein – für den Schutz der Nächsten, für den Schutz ihrer Lieben. Das ist auch unsere Motivation, wenn wir uns darum kümmern, wie wir das Land vorbereiten, wie wir Vorsorge treffen für mögliche Szenarien.

Der Bericht zur Risikoanalyse 2023 zeigt schon etwas auf, und zwar wie umfänglich sie sein muss, wenn wir die Zeitenwende ernst nehmen. Die Stärkung der zivilen Verteidigung im Einklang mit der militärischen Verteidigung wird dort dringend angemahnt. Und um dieses Ziel im Zivilschutz zu erreichen, braucht es aus meiner Sicht drei ganz grundsätzliche Änderungen in unserer Bevölkerungsschutzpolitik.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Lieber Kollege Eckert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hahn?

Leon Eckert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Dr. André Hahn (Die Linke):

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Eckert, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben immer wieder von der Risikoanalyse gesprochen, die jetzt vorliegt. Mir ist aufgefallen, dass darin das größte Risiko nicht aufgelistet und analysiert worden ist, nämlich die Finanzierung des Zivilschutzes, die knapp bemessenen Finanzmittel für die anerkannten Hilfsorganisationen, die Sie eben gelobt haben in Ihrer Rede.

Aber Projekte wie der Wiederaufbau des Sirenennetzes oder die mobilen Unterkünfte „Labor Betreuung 5.000“, die noch nach Jahren hinter den Zusagen und Erwartungen zurückbleiben, wecken bei mir jedenfalls keinen Optimismus, dass im Zivilschutz Aufgaben wie beispielsweise Evakuierung und Betreuung derzeit auch nur halbwegs umsetzbar sein würden.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Kommen Sie jetzt bitte zu Ihrer Frage.

Dr. André Hahn (Die Linke):

Mache ich, Frau Präsidentin. – Der Bericht legt in meinen Augen auch offen, dass im Bereich CBRN-Schutz, also dem Schutz vor chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Waffen, aktuell nur Planspiele betrieben werden.

Meine Frage ist deshalb: Wann werden Sie die konkreten finanziellen Untersetzungen dafür vorlegen, damit den vielfältigen Ankündigungen im Zivilschutz, auch von Ihnen, endlich konkrete Taten folgen?

(Beifall bei der Linken)

Leon Eckert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich möchte darauf mit zwei grundsätzlichen Überlegungen antworten. Sie haben zum einen Warnung und Betreuung angesprochen. Das sind Aufgaben, die der Bund nicht alleine übernimmt, sondern das sind Aufgaben, die auch in die Zuständigkeit der Länder fallen – IMK-Beschluss: Betreuungsunterbringung im Krisenfall von 1 Prozent der Bevölkerung. Das heißt, wir brauchen einen Modus, wo Bund und Länder sich verbindlich darauf einigen, wie Investitionen in den Zivil- und Katastrophenschutz in Zukunft getätigt werden müssen.

Dass die Innenministerkonferenz es nicht geschafft hat, eine verbindliche Sirenenfinanzierungsvereinbarung zu treffen, ist das Zeichen dafür, dass wir hier noch gegeneinander arbeiten und nicht miteinander.

Zweitens. Es ist richtig, dass wir auch im Haushalt eine Stärkung des Zivilschutzes brauchen. Wir haben militärische und zivile Verteidigung in der Vergangenheit leider nicht richtig zusammen gedacht.

(Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen ist im Sondervermögen der Zivilschutz auch von der CDU/CSU rausverhandelt worden.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Dieser Fehler darf uns in Zukunft nicht noch mal passieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte mit meinen drei grundsätzlichen Punkten zum Zivilschutz fortfahren: Wir brauchen in erster Linie eine neue Vereinbarung mit den Menschen in diesem Land, dass der Staat nur mit allen gemeinsam die Krisen der Zukunft bewältigen kann. Das heißt, wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die in jeder Situation anpacken können, die wissen, was zu tun ist, wenn der Strom ausfällt.

(Mike Moncsek [AfD]: Die Sirene drehen! – Zuruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Dazu muss die Kommune ihre Aufgabe in der Selbstschutzbildung stärker wahrnehmen. Auch die Exekutive muss lernen, klar zu benennen, wo sie helfen kann, wie weit ihre Hilfe reicht und wo sie erwartet, dass die Bürgerinnen und Bürger zusammen mit ihr die Krisen lösen. Dazu gehört auch die Verankerung von Krisenbildung für unsere Kinder in den Schulen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zweiter Punkt. Wir müssen im Zivilschutz von der Freiwilligkeit in die Verbindlichkeit wechseln. Da gehört zum Beispiel dazu, dass die Kommunen beim Warntag mitmachen müssen. Derzeit machen die, die keine Sirenen haben, nicht mit und tauchen dann auch nicht in der Statistik auf. Wir haben einen Bevölkerungsschutztag, der rein lokal stattfindet. Daraus sollte ein nationaler Übungstag werden, wo alle mitmachen und wo allen das Verhalten in Szenarien von Hochwasser oder Stromausfall beigebracht wird. Auch die Landrätinnen und Landräte und die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sind gefragt, ihre Verantwortung wahrzunehmen und Schulungen durchzuführen, um Krisenfähigkeit im Amt zu erlernen.

Drittens. Wir selbst müssen die Schranke in unserem Kopf aufbrechen, in Silos zu denken, also im Verteidigungsausschuss nur über militärische Verteidigung und im Innenausschuss nur über Zivilverteidigung zu sprechen. Dieses Silodenken hat uns in die Situation beim Sondervermögen gebracht. Nur wenn wir umfassend denken, können wir Gefahren auch umfassend begegnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere an Sie alle, die Zivilverteidigung als wichtige Aufgabe zur Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes nicht noch mal – wie in den letzten 20 Jahren – aus den Augen zu verlieren und die jährliche Unterrichtung zum Anlass zu nehmen, über dieses wichtige Thema hier im Plenum zu diskutieren.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Um 21.01 Uhr!)

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Einen wunderschönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Ich grüße Sie alle ganz herzlich zu dieser Abendschicht.

Wir fahren fort in der Debatte, und das Wort erhält Steffen Janich für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)