Rede von Dr. Till Steffen Zu Protokoll: Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte

10.11.2022

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Worum es beim größten Steuerskandal der Geschichte geht ist allen bekannt: Banken ließen sich im Zuge von Cum-ex mithilfe von Leerverkäufen mehrfach die Steuern erstatten, obwohl sie nur einmal entrichtet wurde. Bei Cum-cum ließen sich inländische Banken die Steuern für Dividenden erstatten, die eigentlich ausländische Investoren hätten zahlen müssen. Insgesamt 35 Milliarden Euro wurden so hinterzogen. Heute würde man sagen ein Drittel-Wumms.

Das Finanzministerium kannte diese Praktiken offenbar, handelte aber lange Zeit nicht. Dieses Nichtstun erleben wir heute bei der AfD. Seit Wochen kündigt sie einen Antrag an, vorgelegt wurde nichts. Seit gestern ist das große Geheimnis, was denn hier beantragt werden soll, nun endlich gelüftet. Sie haben sich für ihren Antrag hauptsächlich zweier Werkzeuge bedient: Kopieren und Einfügen. Im Wesentlichen haben Sie Erklärungen aus dem Bericht zum 4. Untersuchungsausschuss der 18. Legislaturperiode und verschiedener Wirtschaftsnachrichten, wie Cum-ex und Cum-cum funktionieren, absatzweise in ihrem Antrag zitiert. Im Ergebnis stellen Sie dann messerscharf fest, dass es gut wäre, die verlorenen Steuern zurückzuholen, und fordern die Regierung auf, schnellstens ein entsprechendes Zeichen zu setzen. Problembeschreibungen im Internet zusammenkopieren und Phrasen dreschen, statt Lösungen zu präsentieren, so funktioniert Opposition nicht.

Natürlich muss dieses Geld zurückgefordert werden, und das geschieht ja auch. Erst im August hat die Staatsanwaltschaft Bonn über 190 Millionen Euro von der Warburg Bank zurückgefordert. Es laufen über 100 Verfahren, die juristisch komplexe Lage klart dank Urteilen des BFH und BGH nach und nach auf. Was es jetzt braucht, ist eine gute personelle Ausstattung bei Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Landeskriminalämtern und eine gute Vernetzung dieser Behörden, etwa in eng zusammenarbeitenden Ermittlungsgruppen.

Während die AfD über ihrem Antrag gebrütet hat, ist die Ampelkoalition längst tätig geworden. Denn wir müssen nicht nur alles daransetzen, die Steuermittel zurückzuholen. Mindestens genauso wichtig ist, dass wir alles tun, diese Betrügereien in Zukunft zu verhindern. Das gelingt uns natürlich zunächst mit guter Gesetzgebung und einer leistungsstarken Finanzverwaltung. Das gelingt uns aber auch, indem wir ein resilientes System gegen Wirtschaftskriminalität schaffen. Hier setzen wir mit dem Hinweisgeberschutzgesetz an, das wir zurzeit im Rechtsausschuss beraten. Das ist – natürlich neben guter und vorausschauender Gesetzgebung – ein ganz wichtiger Baustein, um solche Vorfälle in Zukunft aufzuklären. Denn die wichtigsten Hinweise auf illegale Praktiken in Unternehmen, von der Steuerhinterziehung bis zum Verstoß gegen Hygienevorschriften oder Umweltstraftaten, können uns die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben. Diese müssen wir schützen, damit sie nicht am Ende im Regen stehen, weil sie zum Wohle aller auf Missstände aufmerksam gemacht haben.

Wir haben bereits im Oktober über die Vorgänge gesprochen, und mein Kollege Sascha Müller hat es bereits gesagt: Dass der Skandal rund um die Warburg Bank ans Licht gekommen ist, ist maßgeblicher Verdienst von Whistleblowern. Und schon deshalb gehören Menschen, die ihre Karriere und mitunter ihre wirtschaftliche Existenz aufs Spiel setzen, geschützt.

Und genauso wichtig ist der Hinweisgeberschutz aus präventiver Sicht. Denn die besten Skandale sind die, die gar nicht erst entstehen. Hier gilt: Die beste Abschreckung ist immer die Gefahr, erwischt zu werden. Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität gehen die Täterinnen und Täter planvoll vor, und meistens gibt es Mitwisserinnen und Mitwisser, die nur schweigen, weil sie die Konsequenzen fürchten, wenn sie ihr Wissen öffentlich machen. Durch guten Schutz für die Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber entsteht ein Klima, in dem Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger wissen, dass sie nicht damit durchkommen, illegale Dinge zu tun oder Probleme rechtswidrig zu ignorieren. Die damaligen Entscheidungsträger im BMF hätten vielleicht viel eher gehandelt, wenn sie hätten fürchten müssen, dass sich Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen aus den Finanzämtern, den Ministerien oder auch aus den Banken an die Öffentlichkeit wenden. Die Banken und Kanzleien hätten das Risiko, erwischt zu werden, viel höher bewertet, wenn ihre Mitarbeiter durch den Staat geschützt werden, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wenden. Und ich bin mir sicher, es wäre jedenfalls nicht zu einem Skandal dieses Ausmaßes gekommen.

Ein Verständnis, welche Umstände den Cum-ex-Skandal erst möglich gemacht haben und wie wir dafür sorgen, dass er sich nicht wiederholt, fehlt dem vorliegenden Antrag leider komplett. Er beschränkt sich auf eine oberflächliche Problemdarstellung und platte Phrasen statt auf konstruktive Lösungen.

Alles in allem also ein Antrag, der die Kolleginnen und Kollegen bei den Beratungen im Ausschuss vor keine großen Herausforderungen stellen dürfte.