Rede von Nyke Slawik Zu Protokoll: Genehmigungsbeschleunigung im Verkehrsbereich

20.10.2023

Nyke Slawik (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das vorgelegte Genehmigungsbeschleunigungsgesetz enthält positive Aspekte. Insbesondere die Beschleunigung der Sanierung maroder (Autobahn-)Brücken, von denen es in Deutschland Tausende gibt, sowie die massive Beschleunigung Hunderter Schienenprojekte, die der Verkehrswende, der Sanierung und Verbesserung des Schienennetzes und einem besseren Klimaschutz dienen wird.

Problematisch ist für mich jedoch die Beschleunigung von über hundert Autobahnprojekten, die auch von Umweltschützenden kritisiert wird. Als Leverkusenerin kritisiere ich diese Planungen. Leverkusen ist eine Stadt, die von drei Autobahnen (A 1, A 3, A 59) zerschnitten wird, von denen A 1, A 3 sowie das Leverkusener Autobahnkreuz in den kommenden Jahren erweitert werden sollen. Die Auswirkungen für die Anwohnenden sind gravierend: Mehr Flächenversiegelung in einem bereits hoch verdichteten Raum. Mehr Lärm. Mehr Feinstaub. Mehr schlechte Luft. Eine vermutlich über Jahre andauernde Megabaustelle. In der Stadt Leverkusen gibt es ein parteiübergreifendes Ratsbündnis „Keinen Meter mehr“, das die oberirdische Ausweitung der Autobahn ablehnt. In mehreren Gesprächen mit dem Bundesverkehrsministerium haben wir als Vertreter/-innen der Stadt Leverkusen – egal ob aus Stadt, Land oder Bund – unsere Ablehnung der Erweiterung der A 1, A 3 und des Autobahnkreuzes in der derzeitig anvisierten Planung kommuniziert.

Dass diese Leverkusener Projekte hier in diesem Gesetz im Rahmen von 138 zu beschleunigenden Ausbauprojekten gelistet werden, widerspricht dem ausdrücklichen Wunsch der Stadt Leverkusen und ihren Vertreterinnen und Vertretern auf allen Ebenen der politischen Repräsentation. Als Abgeordnete aus Leverkusen halte ich das Gesetz daher in dieser Form für nicht zustimmungsfähig.

Das Gesetz geht zwar in einigen Punkten im Bereich der Schiene in die richtige Richtung. Auch die anderen heute von der Koalition angegangenen Gesetzentwürfe wie die LKW-Maut und die Reform des Straßenverkehrsgesetzes sind im Sinne der Verkehrswende und des Klimaschutzes äußerst positiv zu bewerten. Bei der Straßeninfrastruktur verpasst die Koalition aber eine Chance, hier die eigentlich nötige Klarheit zu schaffen, dass es in der bisherigen Form mit Hunderten Ausbauprojekten nicht weitergehen kann und es eigentlich ein Moratorium für Neu- und Ausbau von Autobahnen braucht. Aus einer Klimaschutzperspektive bleibt das Gesetz hinter meinen und den Erwartungen der Bürger/-innen aus meiner Heimatstadt Leverkusen, die sich seit Jahren gegen die Autobahnausbaupläne der A 1 und A 3 vor Ort stellen, zurück.

Für den weiteren Hintergrund möchte ich noch darauf eingehen, warum ich in Zeiten der Klimakrise Autobahnerweiterungen grundsätzlich für problematisch halte und die Bundesregierung von diesen absehen sollte:

Flächenversiegelung: In Deutschland werden täglich 76 Fußballfelder an Fläche versiegelt, pro Minute die Fläche eines Familienhauses (Quelle BMUV). Der Ausbau und Neubau von Straßen tragen dazu wesentlich bei.

Laut Umweltbundesamt (Veröffentlichung von 2017) werden täglich bis zu 3 Hektar durch den Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen versiegelt. Zum Vergleich: Der Ausbau von Bahntrassen nimmt hingegen nur 0,5 Hektar in Anspruch. Die Straße verbraucht also sechsmal mehr Fläche als die Schiene täglich.

Klimaschädlicher Bau: „Der Bau von Asphaltstraßen verursacht große Mengen an CO2-Emissionen – für 100 Meter einer leicht befahrenen Fahrbahn von 16 Zentimetern Asphaltstärke bereits gute 11 500 Kilogramm des Gases.“ (s. ). Pro Jahr emittieren der Straßenbau und -erhalt mehrere Millionen Tonnen CO2 in Deutschland laut einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2013. Im Beispieljahr 2008 waren es stolze 14,43 Millionen Tonnen.

Autobahnen sind teuer: Zwischen 2015 bis 2030 fallen circa 120 Milliarden Euro an für Neubau und Erhalt von Bundesstraßen. Allein der Ausbau der A 3 zwischen Leverkusen und Oberhausen ist mit 861 Millionen Euro veranschlagt.

Der Autobahnausbau ist sozial ungerecht: Circa 13 Millionen Erwachsene in Deutschland haben keinen Führerschein. Und ärmere Menschen haben meist kein Auto. Sie profitieren nicht vom Straßenbau, müssen aber Umweltfolgen mittragen (Abgase, Lärm, versiegelte Flächen).

Stau bei Sanierung: Bereits jetzt hat Deutschland eins der dichtesten Fernstraßennetze der Welt. Eins, das an vielen Stellen marode ist, weil der Bund angesichts vieler Ausbauprojekte nicht hinterherkommt, den Bestand zu sanieren.

Das Brückenproblem: Die Hälfte aller Brückenbauwerke auf Bundesautobahnen muss dringend saniert werden. Das sind über 13 000 Brücken in ganz Deutschland (Quelle: BMDV). Wer da noch zusätzlich über hundert Ausbauprojekte vorantreiben will, handelt unverantwortlich.

Für eine beschleunigte Sanierung von Brücken im Bestand bräuchte es zudem eigentlich keine Gesetzesänderung. Die braucht es nämlich nur, wenn die Brücken verbreitert und die Autobahn davor und dahinter ausgebaut werden soll. (Das ist das, was die nun vorliegende Gesetzesnovelle vereinfachen soll).

Autobahnbeschleunigung geht zulasten anderer Infrastruktur (beispielsweise Schiene und Erneuerbare): Wir haben einen eklatanten Arbeitskräftemangel in Deutschland bei Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie im Baugewerbe. Wer die Ressourcen im Autobahnausbau bindet, kappt dafür an anderer Stelle.

Egal ob es um die CO2-Bilanz beim Bau, den Flächenverbrauch oder Notwendigkeit der Brückensanierung geht: Autobahnen zu verbreitern, ist derzeit einfach unverantwortlich.

Zur Erinnerung: In Deutschland sind gemäß geltendem Bundesverkehrswegeplan 2030 aktuell noch Hunderte Kilometer Neu- und Ausbau von Autobahnen geplant.

In Österreich gibt es einen Klimacheck für Straßenbau. Da werden nur noch wenige Ausbauten vollendet. Dann ist gemäß CO2-Budget Ende. Eigentlich sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen. Deutschland braucht den Ausstieg vom Ausbau der Straße. Erst dann kann Verkehrswende richtig gelingen.

Das freiwerdende Geld könnten wir beispielsweise in guten und günstigen ÖPNV für alle investieren (s. Finanzierungsstreit beim 49-Euro-Ticket und den Bedarf nach mehr ÖPNV-Angebot). Und mehr Flächen könnten im Sinne des Naturschutzes erhalten bleiben, statt von immer breiteren Straßen versiegelt zu werden. So könnte Deutschland seine Klimaziele im Verkehr viel schneller schaffen.