Rede von Helge Limburg Zu Protokoll: Gewalt unter Kindern

30.03.2023

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die brutale Tötung einer 12-jährigen aus Freudenberg durch zwei gleichaltrige Mädchen hat, denke ich, bei uns allen Entsetzen hervorgerufen. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden des Mädchens, insbesondere den Eltern und der Schwester. Ihnen wurde das Liebste genommen, was sie hatten, und damit eine Lücke gerissen, die nie wieder geschlossen werden kann. Der Wunsch nach Vergeltung, nach Bestrafung der Täterinnen ist verständlich, insbesondere was die Angehörigen angeht.

Gleichzeitig sind wir aufgefordert, als Gesetzgeber stets das Ganze im Blick zu behalten. Wenn Altersgrenzen verändert werden, gilt das dann immer für alle Fallkonstellationen und alle Personen. Sicherlich gibt es einzelne 13-Jährige, die von Verstand und Reife her vielen 15-Jährigen überlegen sind. Aber eine allgemeine Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze hätte Auswirkungen für alle, nicht für Einzelne.

Wichtig ist mir, zu betonen, dass die Tat für die beiden Kinder nicht folgenlos bleibt. Sie haben ihren Wohnort und damit ihre persönlichen Bezüge verlassen müssen. Ihre Familien haben Freudenberg verlassen. Das Jugendamt betreut die Kinder, es kann sie gegebenenfalls auch in geschlossenen Einrichtungen unterbringen. Und zivilrechtlich sind die Kinder voll haftbar. Nein, diese Tat bleibt für die Täterinnen nicht folgenlos. Auch wenn natürlich keine dieser Folgen das Leid für die Angehörigen lindern kann.

Wer die Strafmündigkeit herabsetzen will, will damit letztlich ermöglichen, dass Kinder ins Gefängnis gesperrt werden – so klar und deutlich muss das gesagt werden –, und das lehnen wir ab. Zu Recht geht unser Strafrecht und unser Kinder- und Jugendhilferecht von dem Grundsatz aus, dass alle Kinder und Jugendlichen Chancen und Hilfen und Unterstützung bedürfen und nicht in erster Linie Strafen. Und wir müssen doch auch sehen, dass – so schrecklich diese und vergleichbare Taten sind – solch brutale Taten von Kindern weiterhin die absolute Ausnahme sind. Daran ändert auch der Anstieg von Straftaten von Kindern nichts. Diese gehen überwiegend auf Diebstahlsdelikte und ähnliche – vergleichsweise geringfügige -Delikte zurück.

Anstatt reflexartig nach härteren und mehr Strafen zu rufen, müssen wir uns doch fragen, wie es dazu kommen konnte, dass zwei Kinder eine solche Tat begehen, dass sie sie offenbar planen und vorbereiten konnten, ohne dass jemandem etwas auffällt. Wir sollten uns fragen, was wir tun können im Bereich der Schule, der Kinder- und Jugendsozialarbeit und Ähnlichem, um zu verhindern, dass Kinder sich in solche Gewaltfantasien hineinsteigern und diese schließlich in die Tat umsetzen. Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass unsere Kinder solche Taten begehen. Und wenn sie begangen werden, sollten wir uns fragen, was wir tun können, um weitere Taten und damit weiteres Leid zu verhindern, anstatt immer nur in Strafen zu denken. Jenseits von Strafen gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten der Einwirkung auf Kinder. Solche Taten bleiben nicht folgenlos, auch ohne Strafrecht.

Wie wollen wir als Gesellschaft mit unseren Kindern umgehen, nicht nur mit denen, die brav und folgsam sind, sondern gerade mit denen, die Regeln brechen, die Diebstähle begehen oder auch schreckliche Taten wie die in Freudenberg begehen? Diese Tat führt uns an die Grenzen unserer Erklärungsmöglichkeiten und über die Grenzen des Erträglichen hinaus. Aber wir sollten sie nicht zum Anlass nehmen, die Grenzen der Strafbarkeit für alle Kinder in diesem Land abzusenken und damit Kinder ins Strafrecht bringen, die Pädagogik und Unterstützung brauchen.