Rede von Erhard Grundl Zu Protokoll: Mediendienste in Europa

01.12.2022

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kürzlich wurde einer der renommiertesten Journalisten Polens, Tomasz Piatek, ohne Gerichtsanhörung zu acht Monaten Arbeitsdienst verurteilt. Er hatte Verbindungen des amtierenden Premierministers Morawiecki nach Russland offengelegt, wie berichtet.

Tatsache ist, seit die PiS regiert, geht es bergab mit der Medienfreiheit in Polen. Heute liegt unser Nachbar auf Platz 66 von 180 Ländern in der Rangliste der Pressefreiheit. Gerade wurde unser Nachbarland zum „„ ernannt, weil die polnische Regierung Klagen begünstigt, die nichts anderes beabsichtigen, als kritische Medien oder kritische Wissenschaft mundtot zu machen. Es ist ein Vorgehen gegen polnische Journalistinnen und Journalisten, gegen einen freien öffentlichen Diskurs und gegen eine kritische polnische Zivilgesellschaft. Da, wo eine freie Presse nicht hinschauen darf, ist der Weg zum Machtmissbrauch bereitet.

In Ungarn stellen wir fest, dass außerhalb von Budapest kein Radio, kein Fernsehen, keine Zeitung existiert, die nicht von Orbans Familie oder seinen Kumpels kontrolliert wird. Auch in Slowenien verschlechtert sich die Lage rapide. Und ganz aktuell sind die Berichte über den Einsatz von Spähsoftware gegen einen griechischen Journalisten.

Das alles darf kein Role Model für unser gemeinsames Europa werden!

Wenn wir also heute über den European Media Freedom Act sprechen, dann geht es genau darum: um Standards für Pressefreiheit in ganz Europa, die nicht unterboten werden dürfen. Denn Presse- und Medienfreiheit sind das Rückgrat der parlamentarischen Demokratien. Und eine informierte wachsame Öffentlichkeit ist der beste Schutz gegen Fake News, Manipulation und Übergriffe auf die freie Presse.

Daher ist es richtig, dass die EU-Kommission nun mit dem European Media Freedom Act ein Instrument vorlegt, mit dem sie diesen Entwicklungen etwas entgegensetzen kann. Das sehen auch Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalisten-Verband so.

Die Kommission legt dabei Grundprinzipien fest für die Absicherung redaktioneller Unabhängigkeit, für transparente Eigentumsverhältnisse, für Fairness bei der Zuweisung staatlicher Werbemittel und gegen das Ausspähen von Journalist*innen. Mitgliedstaaten, die diese Grundprinzipien bereits erfüllen oder übererfüllen, die etwa die Unabhängigkeit von Medienaufsichtsbehörden bereits in ihrer Verfassung verankert haben, werden vom EMFA nicht beeinträchtigt, also auch das funktionierende deutsche Mediensystem. Allerdings sind wir auch in Deutschland nicht frei von Problemen bei der redaktionellen Unabhängigkeit – ich erinnere an die Vorwürfe der Einflussnahme beim NDR.

Für uns als Ampel ist klar: Unser Standard heißt: Unabhängigkeit und Staatsferne der Medienaufsicht, der ÖRR agiert weiter nach dem Amsterdamer Protokoll, Verleger-/innen legen die publizistische Linie für ihr Medium vor. Daher fordern wir als Ampel in unserem Antrag die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen im Rat auf eine Nachbesserung an diesen Punkten hinzuwirken.

Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, den European Media Freedom Act an manchen Stellen nachzuschärfen. Ich bin aber auch überzeugt, dass es falsch ist, ihn von vornherein durch eine Subsidiaritätsrüge zu torpedieren. Schließlich geht es um nichts Geringeres als um europaweite Qualitätsstandards für Pressefreiheit und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten – einen Schutz, für den es zu kämpfen gilt!

Hintergrund: Polen 30.11.2022, Journalist ohne Gerichtsanhörung verurteilt – der polnische Enthüllungsjournalist Tomasz Piatek – ©picture alliance/dpa/Jan Woitas

Einer der renommiertesten Journalisten Polens, Tomasz Piatek, ist zu acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden – und hat davon erst aus den regierungsnahen Medien erfahren. Piatek wurde bereits am 27. Oktober verurteilt, ohne vom Gericht angehört zu werden. Reporter ohne Grenzen (RSF) unterstützt den Journalisten in seinen Bemühungen um eine Revision des Urteils und steht zugleich in einem weiteren Verfahren, das heute, 30. November, verhandelt wird, an seiner Seite. Beide Prozesse wurden vom Lager der polnischen Regierungspartei PiS angestrengt.

„Tomasz Piatek ist ein herausragender Journalist, den Reporter ohne Grenzen nicht ohne Grund 2017 als ‚‘ ausgezeichnet hat“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die gegen ihn laufenden Klagen sollen ihn mundtot machen. Das dürfen wir nicht zulassen!“

Stein des Anstoßes ist die investigative Arbeit des Journalisten. 2019 hatte Piatek in seinem Sachbuch „Morawiecki und seine Geheimnisse“ die Verbindungen des amtierenden Premierministers Mateusz Morawiecki nach Russland offengelegt. Ein Morawiecki nahestehender Milliardär hatte Piatek daraufhin wegen übler Nachrede verklagt. Ende Oktober 2022 schließlich wurde er zu den genannten acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt, pro Monat jeweils 20 Stunden. Piatek erfuhr von diesem Urteil erst, als regierungsnahe Medien nach Ablauf der Revisionsfrist darüber berichteten.

Die Klage stützte sich auf Artikel 212 des Strafgesetzbuches. In diesem ist unter anderem aufgeführt, dass das Gericht verpflichtet ist, dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Tomasz Piatek erhielt jedoch nie eine Vorladung an seine aktuelle Adresse. Der offizielle Grund: Die Justizbehörden schickten die Post an seine alte Adresse, wo er offiziell gemeldet war und wohin ihm auch die Anklageschrift zugesendet worden war. 

Man kann argumentieren, dass Piatek dem Gericht seine neue Adresse hätte mitteilen müssen. Allerdings drückte der Journalist sich nicht bewusst vor einem Prozess, sondern glaubte, dass er über seine den Justizbehörden bekannten Anwälte oder über seinen Verleger erreicht werden kann. Piatek ist wegen seiner Recherchen häufig angeklagt.

RSF ist der Ansicht, dass der Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Recht auf ein faires Verfahren ernsthaftere Versuche des Gerichts erforderlich gemacht hätten, Piatek ordnungsgemäß vorzuladen. Es hätte zum Beispiel ausgereicht, die Vorladung erneut an Piateks Verleger zu senden. Solange ein Angeklagter sich nicht zu den strafrechtlichen Vorwürfen äußern kann, muss ein Prozess verschoben werden.

2017 hatte Piatek in einer Kolumne für die „Gazeta Wyborcza“ und dem Sachbuch „Macierewicz und seine Geheimnisse“ die Verbindungen des ehemaligen polnischen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz , zum russischen Geheimdienst und zu kriminellen Gruppen in Russland aufgedeckt. Daraufhin hatte Oberst Krzysztof Gaj, ein ehemaliger Berater des Ministerpräsidenten und ehemaliger Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, gegen den Journalisten geklagt. Im Juni 2022 wurde Piatek zu einer Geldstrafe von 1 000 Euro und einer über die Medien zu verbreitenden Entschuldigung verurteilt. Piateks Berufung wird am 30. November 2022 vor einem Warschauer Bezirksgericht verhandelt. . 

Der Europäische Gerichtshof hat Polen im vergangenen Jahr . Am 20. Oktober 2022 wurde Polen im Rahmen des europäischen SLAPP-Wettbewerbs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) zum „„ erklärt. Laut einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen, denen auch RSF angehört, bot Polen in den Jahren 2021 und 2022 „die günstigsten Bedingungen“ für solche Knebelklagen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt Polen auf Platz 66 von 180 Ländern. Seit die PiS in Polen regiert, hat das Land so viele Plätze verloren wie kein anderer Staat der EU –  – Statement: Erhard Grundl zur Demonstration für Frieden und Pressefreiheit: DJV, am 3. Mai 2022.

Wenn Krieg nicht Krieg heißen darf, wenn das Wort „Invasion“ in Bezug auf den brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine bei Androhung von bis zu 15 Jahren Haft verboten ist, dann ist das das Ende von Meinungsfreiheit, von Pressefreiheit. Das ist es, was wir im Krieg gegen die Ukraine gerade erleben. Dieser Krieg ist auch ein Krieg um die Meinungshoheit und damit ein Krieg gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen einen freien öffentlichen Diskurs und gegen eine kritische Zivilgesellschaft. Aber wo eine freie Presse nicht hinschauen darf, ist der Weg zum Machtmissbrauch bereitet. Das gilt in Kriegszeiten umso mehr. Darum fürchten totalitäre Regime sie so sehr. 27 Journalistinnen und Journalisten wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine getötet. In Russland haben der Angriff und Ermordung eine lange düstere Tradition: Der Name der Anna Politkowskaja steht hierfür – als Mahnung und Erinnerung an viele andere.

Das Rückgrat parlamentarischer Demokratien ist eine freie, unabhängige und diverse Presse. Denn nur ein informierter Souverän und nur informierte Bürger/-innen sind gefeit gegen Fake News und Manipulation und können ihr Wahlrecht souverän ausüben.

Journalistinnen und Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs zu schützen, ist entscheidend für unsere Demokratie und relevant für den Frieden. Ja, es geht auch darum, vor der eigenen Haustür zu kehren. Deutschland wurde von Reportern ohne Grenzen auf Rang 16 herabgestuft. Dieses Alarmsignal ist ein unaufhörliches Klingeln in unseren Ohren. Es muss auch in Deutschland darum gehen, Rechte, die sich aus der im Grundgesetz verbrieften Pressefreiheit ergeben, zu sichern, das Presseauskunftsrecht zu stärken, Pressevertreter/-innen vor einschüchternden, rechtsmissbräuchlichen Formen der Klage (SLAPP) und als Personen gegen Diffamierung oder körperliche Angriffe zu schützen. Hierzu gehört auch der Schutz von Whistleblowern, wie Wikileaks-Gründer Julian Assange, dessen investigative Arbeit letztlich zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan geführt hat.