Rede von Canan Bayram Zu Protokoll: Schöff*innen

29.09.2022

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Funktion von Schöffinnen und Schöffen und anderen ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern ist die Repräsentation der Gesellschaft und ihres Rechtsempfindens bei der Urteilsfindung. Verhaltensweisen, die vor 50 Jahren noch als besonders verwerflich galten, werden heute in einem großen Teil der Gesellschaft vielleicht als normal angesehen. Handelsgebräuche ändern sich ebenfalls im Laufe der Zeit und mit dem Technologiewandel. Die ehrenamtlichen Richter/-innen sollen ein Korrektiv darstellen für Berufsrichter/-innen, die primär mit der juristischen Brille auf Sachverhalte blicken, und auch für eine Rechtslage, die an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht. Und in die andere Richtung soll durch sie das Verständnis in der Bevölkerung für richterliche Entscheidungen gestärkt werden.

Deswegen ist es besonders wichtig, dass die gesamte Vielfalt der Gesellschaft auch bei den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern abgebildet wird. Leider ist dies derzeit noch nicht der Fall. Angeklagte sitzen in der Regel buchstäblich einer „weißen Wand“ auf der Richterbank gegenüber. Berufs- und ehrenamtliche Richter/-innen sind zudem meist über 50 Jahre alt.

Der Vorstoß der Union, die Altershöchstgrenze nach oben zu verschieben, sodass Personen bis zum 80. Lebensjahr ehrenamtliche Richter/-innen werden können, ist vor diesem Hintergrund befremdlich.

Begrüßenswert ist hingegen der Vorschlag, die Berufung zu Schöffinnen und Schöffen an das Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu koppeln. Eine entsprechende Gesetzesänderung bereiten wir als Ampel bereits vor. Denn der Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern in den vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass rechtsextreme Gruppen und Parteien ihre Anhänger/-innen dazu aufgerufen haben, sich als Schöffinnen und Schöffen zu bewerben, um so politischen Einfluss auf Entscheidungen nehmen zu können. Das ist nicht weniger als ein Angriff auf unseren Rechtsstaat.

Doch auch ganz praktische Erwägungen sollten in eine Änderung des Schöffenrechts einfließen: Für Selbstständige, die dieses wichtige Ehrenamt übernehmen, sind Anpassungen bei der Berechnung des Verdienstausfalls sowie hinsichtlich der Planbarkeit und des zeitlichen Umfangs erforderlich. Dasselbe gilt für Personen, die Pflege- oder Betreuungsaufgaben übernehmen.

Daneben war es richtig und wichtig, den Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter mit Haushaltsmitteln zu unterstützen, um für die Schöffenwahl 2023 eine Öffentlichkeitskampagne für die Gewinnung neuer Schöffinnen und Schöffen aus der Breite der Gesellschaft zu starten und Einführungs- und Informationsschulungen für neue Schöffinnen und Schöffen anzubieten. Als nächster Schritt sollte die Einrichtung einer Geschäftsstelle in den Blick genommen werden. Eine finanzielle Anschubhilfe für die Länder aus Haushaltsmitteln des Bundes sollten wir im Sinne des Schutzes des Rechtsstaats erwägen.