Rede von Dr. Sebastian Schäfer Zu Protokoll: Schuldenbremse

21.03.2024

Dr. Sebastian Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ein durchaus interessanter Antrag, den die Gruppe Die Linke hier vorlegt. Dass wir hier im Hohen Haus über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und die haushalts- und finanzpolitischen Voraussetzungen dafür sprechen, das ist gut. Allerdings, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken: Sie ordnen den russischen Angriffskrieg, die brutale russische Aggression, die sich erst in der vergangenen Nacht wieder in ihrem ganzen terroristischen Ausmaß gezeigt hat, ein unter „aktuelle Krisen“. Sie machen nicht explizit, dass der imperiale Krieg, den Wladimir Putin und seine Schergen begonnen haben, viele Probleme auch in unserem Land verursacht hat. Machen Sie sich ehrlich!

Ich will heute aber vor allem ein paar grundlegendere Fragen hier betrachten. Werfen wir einen Blick in die Daten, angefangen bei der Staatsschuldenquote. Hier bildet Deutschland das Schlusslicht, wenn wir uns die G7-Länder anschauen. Deutschland verzeichnet 2022 eine Schuldenquote von 66,1 Prozent, Frankreich von 111,8 Prozent, die USA von 101,9 Prozent. Die Staatsverschuldung gehört in Deutschland nicht zu den primären ökonomischen Problemen, mit denen wir konfrontiert sind.

Erst jüngst hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zwei Szenarien berechnet, wie sich die Staatsverschuldung in Deutschland weiterentwickeln würde: einmal basierend auf einer jährlichen Neuverschuldung von 1,5 Prozent und einmal basierend auf einer jährlichen Neuverschuldung von 0,35 Prozent. Das zweite Szenario entspricht bekanntlich der jetzigen Schuldenbremsen-Regelung. Die Ökonomen und Ökonominnen kamen zu dem Ergebnis, dass selbst mit einer jährlichen Neuverschuldung von 1,5 Prozent des BIP die Schuldenstandsquote in Deutschland weiter sinken würde.

Bei der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen insgesamt haben wir natürlich Baustellen, die demografische Entwicklung schlägt auf alle Sozialkassen durch. Da bin ich völlig einig mit dem Bundesfinanzminister: Das Fundament für einen zukunftsfesten Sozialstaat ist eine starke Wirtschaft. Wir brauchen weniger Bürokratie, mehr Investitionen – private wie öffentliche – und eine moderne Infrastruktur.

Beim Thema Wachstum bildet Deutschland leider ebenfalls das Schlusslicht. Laut Wachstumsprognose der EU-Kommission werden wir in diesem Jahr in Deutschland ein Wachstum unseres realen Bruttoinlandsprodukts von +0,3 Prozent sehen. Mit dieser Größenordnung sind wir Schlusslicht in der EU und unter den G20-Staaten. Das hat eine Vielzahl von Gründen, struktureller und konjunktureller Natur, exogen und endogen getrieben. Unsere führenden Wirtschaftsforschungsinstitute nennen da die schlechten Bedingungen in der Weltwirtschaft und eine sehr unsichere geopolitische Lage. Der demografische Wandel und das damit einhergehende geringere Arbeitsangebot und eine geringere Dynamik bei Gründungen spielen eine wichtige Rolle. Die OECD nennt die starke Abhängigkeit vom Außenhandel und die schwache Nachfrage aus China. Wir sehen, die Lage ist komplex und herausfordernd.

Diese Bundesregierung hat in der Energiekrise die Substanz unseres Industriestandortes gerettet. Wir sind ein starkes Land, wir haben große Möglichkeiten. Aber wir müssen anpacken, um diese Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen. Wir können die Technologien, die das klimaneutrale Wirtschaften möglich machen, hier bei uns entwickeln. Das sind die Geschäftsmodelle des 21. Jahrhunderts. Wir bauen eine klimaneutrale Infrastruktur, wir schaffen zukunftsfeste Arbeitsplätze. Wir brauchen Fachkräfte, weniger Bürokratie und demografiefeste soziale Sicherungssysteme. Natürlich müssen wir auch Strukturreformen angehen: Das Erwerbstätigenpotenzial muss stärker ausgeschöpft werden, Zuwanderung für Arbeitskräfte und eine entsprechende Integration in den Arbeitsmarkt müssen erleichtert werden – da haben wir bereits große Fortschritte zu verzeichnen. Die Herausforderungen einer überalternden Gesellschaft und der Altersvorsorge müssen endlich angegangen werden. Die Klimakrise bedarf langfristiger Lösungen.

Auch unsere Wirtschaft ist zwingend auf Investitionsimpulse und mehr Planungssicherheit angewiesen. Wir haben da viel auf den Weg gebracht in dieser Koalition, aber wir müssen weiter handeln. Wir brauchen finanzpolitische Handlungsfähigkeit. Natürlich müssen wir auch die richtigen Prioritäten setzen, um die Wachstumskräfte in unserem Land zu entfesseln. Und gerade deshalb müssen wir über die derzeitige Ausgestaltung der Schuldenbremse sprechen.