14.12.2023

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie rühmen sich, die Meinungsfreiheit hochzuhalten, und wollen gleichzeitig den Digital Services Act abschaffen. Widersprüchlicher kann es kaum sein!

Der DSA ist doch gerade der erforderliche Schritt, Meinungsfreiheit und -vielfalt im digitalen Raum zu gewährleisten. Vermutlich befinden Sie sich bereits in einer der befürchteten Filterblasen. Anders ist es kaum zu erklären, warum Sie die existierenden Gefahren für den freiheitlichen Meinungsbildungsprozess durch illegale Inhalte, Manipulation und Desinformation, Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken unterschlagen. Dazu gibt es etliche wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass mit solchen Inhalten die gesellschaftliche Spaltung vorangetrieben wird. Desinformationskampagnen rund um Kriege oder politische Wahlen, entkontextualisierte oder manipulierte Bilder oder Texte, Videos grausamer Morde oder Leichenschändungen, die live gestreamt werden: Wer kann hier tatsächlich fordern, nichts zu tun!

Ihre Forderung der kompletten Abschaffung des DSA – also jeglicher Regulierungsansätze – hält auch Ihrer eigenen Begründung nicht stand. Sich an dem Brief von Breton abzuarbeiten, der nur, wenn auch mit harschen Worten, bei den Plattformen auf die Einhaltung der Regeln und Aufnahme eines offiziellen Verfahrens pocht, ist sehr dünn. Fakt ist: Sie wollen den sozialen digitalen Raum weiterhin großen, kommerziellen Plattformen überlassen, die ein Informationsökosystem geschaffen haben, das im Wesentlichen der Logik der Gewinnmaximierung folgt – sprich: den Interessen der Daten- und Werbeindustrie –, und die hat mit Meinungsfreiheit und -vielfalt wenig am Hut. Vielmehr machen das Rennen besonders sensationelle, besonders polarisierende, besonders emotionale Inhalte, um die Menschen zu ködern und auf den Plattformen zu halten.

Um das noch mal klarzustellen: Die EU-Kommission hat kein Mandat, die Sperrung oder Löschung einzelner Posts oder Inhalte auf X anzuordnen. Aus guten Gründen! Denn die Regulierung von digitalen Öffentlichkeiten muss staatsfern organisiert sein. Darauf muss auch im weiteren Verfahren geachtet werden. Gleichzeitig ist die Kommission dafür zuständig, die Einhaltung der Regeln des DSA für sehr große Plattformen zu überwachen und systemische Probleme bei der Verbreitung von illegalen Inhalten, die seit Langem bekannt sind, in den Blick zu nehmen. Welche einzelnen Inhalte auf sozialen Netzwerken legitim sind, ist dagegen in Gesetzen klar definiert und kann gerichtlich überprüft werden.

Was wir haben, ist ein Durchsetzungsdefizit. Der DSA wird nun mit klaren Regeln und einer durchsetzungsstarken Aufsicht hoffentlich dazu beitragen, Gesetzesverstöße online konsequent zu ahnden.

Law and Order: Das ist doch eigentlich im Sinne der AfD. Aber ihr geht es ja nicht um einen demokratischen Diskurs. Diesen zu ermöglichen, Manipulation zu verhindern: Das ist Aufgabe von Politik. Und das bedeutet eine Regulierung, die die positiven Seiten der digitalen Medien, wie Teilhabe, Informations- und Wissensbeschaffung, bewahrt und fördert und gleichzeitig schädliche Einflüsse eindämmt. Das ist auch deshalb wichtig, weil sich immer mehr Menschen nur noch im Netz informieren. Laut einer Bitkom-Umfrage bestätigte jede und jeder zweite unter 30-Jährige, ohne soziale Netzwerke nicht zu wissen, was in der Welt geschieht.

Der DSA hat viele Ansätze, die Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer zu stärken. Dazu gehören unter anderem eine Kontaktstelle, Pflicht für faire AGB und Transparenzberichte, ein geregelter Umgang mit illegalen Inhalten, Begründung und Dokumentation von Moderationsentscheidungen, Schutz gegen Missbrauch, ein internes Beschwerdemanagement, außergerichtliche Streitbeilegung, mehr Verbraucherschutz durch Transparenz bei Empfehlungssystemen und Onlinewerbung, Verbot von Dark Patterns, zudem unabhängige Prüfungen, Risikobewertung und -minderungspflichten und der dringend erforderliche Datenzugang für Forscher und Behörden, um die Black Box zu öffnen. Das sind wertvolle Errungenschaften.

Und dann sollten wir die wirklich wichtigen Debatten zur Demokratisierung der digitalen Medienwelt führen, etwa zu Monopolstellungen von Plattformen, die unsere Öffentlichkeit nach ihrem Gusto gestalten. Dazu kein Wort im Antrag! Ich verbuche das mal zu Ihren Gunsten unter Endjahresverwirrung.