Rede von Stefan Schmidt Zu Protokoll: Suizidprävention

06.07.2023

Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jeder Mensch hat das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem historischen Urteil vor fast dreieinhalb Jahren festgestellt. Damit ist § 217 des Strafgesetzbuches verfassungswidrig, und die geschäftsmäßige Sterbehilfe darf nicht länger unter Strafe gestellt werden. Menschen dürfen Sterbewilligen bei ihrem Suizid helfen.

So klar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts scheint, so schwierig ist die rechtliche Reform von § 217. Wie soll ein neuer rechtlicher Rahmen für Sterbehilfe, wie sollen die Voraussetzungen für Hilfe zum Suizid aussehen? Sterbehilfe ist eine ethische Fragestellung. Einen vermeintlich „richtigen“ Umgang kann es damit nicht geben. Dennoch unterstütze ich nach reiflicher Überlegung den Gesetzentwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Künast zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben.

Der Gesetzentwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Künast bringt Sterbehilfe endlich aus der rechtlichen Grauzone heraus. Er entkriminalisiert Suizidhilfe, schafft Rechtsklarheit und schützt Menschen, die beim Suizid assistieren. Sterbehilfe zeugt von Empathie und Respekt gegenüber der sterbewilligen Person. Wer jemandem beim Sterben hilft, begeht keine Straftat. Im Strafrecht hat Sterbehilfe nichts verloren. Aus genau diesem Grund kann ich den Gesetzentwurf der Gruppe um Castellucci nicht unterstützen: Er regelt Sterbehilfe weiterhin im Strafrecht. Es ist meine tiefe Überzeugung: Statt sich vor einem Gericht rechtfertigen zu müssen, brauchen Sterbehelfer/-innen Sicherheit.

Diese Sicherheit bietet die Gruppe um Helling-Plahr und Künast in ihrem Gesetzentwurf. Sie setzt das Recht auf selbstbestimmtes Sterben im vollen Umfang um. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist an keine Voraussetzung geknüpft – nicht an Krankheiten, nicht an Schmerzen, nicht an sonstige Bedingungen. Was zählt, ist allein der freie Wille und die Selbstverantwortung der Sterbewilligen. Die Entscheidung über den eigenen Tod liegt allein bei der sterbewilligen Person. Sie muss sich dafür nicht rechtfertigen, vor niemandem. Nur so wird das Recht auf selbstbestimmtes Sterben vollumfänglich umgesetzt und der freie Wille respektiert. Diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts setzt der Vorschlag der Gruppe um Helling-Plahr und Künast vollständig um.

Und dennoch bin ich überzeugt: Wir müssen die Menschen dabei unterstützen, ihren Sterbewunsch zu überdenken. Wir müssen die Sterbewilligen schützen. Auch das tut der Gesetzentwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Künast. Er stellt klare Regeln auf und schreibt ein geordnetes Verfahren für die Sterbehilfe vor: erst die Beratung, dann die Verschreibung. Der sterbewillige Mensch muss sich zunächst in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten lassen – auf Augenhöhe.

Zum Kern der Beratung gehört es, über Hilfsangebote und Therapiemöglichkeiten zu informieren, zum Beispiel wie der sterbewillige Mensch in ein Pflegeheim kommt oder Sozialleistungen beantragen kann. Auch Fachleute oder Angehörige können in die Beratung einbezogen werden. Der oder die Sterbewillige soll ausreichend Alternativen erhalten, um seinen oder ihren Sterbewunsch zu hinterfragen und zu überdenken. Beratung bedeutet also Prävention. Die Mindestwartezeit von drei Wochen zwischen Beratung und Verschreibung des Medikaments bietet weiteren Schutz.

Entscheidend ist dabei ein Punkt: Es muss eindeutig und völlig klar sein, dass es der autonom gebildete und freie Wille des sterbewilligen Menschen ist. Gibt es auch nur geringe Zweifel daran, dass der Sterbewunsch dauerhaft ist oder die Entscheidung freiverantwortlich getroffen worden ist, wird kein Medikament verschrieben. Diese strenge Voraussetzung entspricht einer weiteren Schutzfunktion.

Nicht immer aber wird dieser reguläre Weg den Umständen einer sterbewilligen Person gerecht. In einem schweren Leidenszustand ist es gerechtfertigt, die Hürden für diese Menschen zu senken, den Schutz der Person aber nicht zu vernachlässigen. Den Härtefall von zwei unabhängigen Ärztinnen/Ärzten feststellen und den autonom gebildeten, freien Willen dokumentieren zu lassen, ist eine ausgewogene Regelung für genau diese Menschen.

Ich will auch klar sagen: Die strengeren Vorgaben in Bezug auf die Beratung und Fristen fand ich im ursprünglichen Gesetzentwurf der Gruppe „Künast“ besser. Wenn ich die nun vorliegenden Gesetzentwürfe aber abwäge – auch und gerade gegenüber dem aktuellen Zustand – unterstütze ich trotzdem den Gesetzentwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Künast.

Ein umfassendes Schutzkonzept ist bei der Frage, wie wir Sterbehilfe künftig im Gesetz regeln wollen, entscheidend. Gleichzeitig müssen wir auch die Suizidprävention stärken. Deswegen unterstütze ich ausdrücklich den interfraktionellen Antrag. Er soll dafür sorgen, die Angebote der Suizidprävention auszubauen und zu professionalisieren. Das ist ein weiterer wichtiger Baustein eines umfassenden Schutzkonzeptes.