Rede von Dr. Till Steffen Zu Protokoll: Suizidprävention

06.07.2023

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor einigen Jahren war ich beim Notar, um all das zu regeln, was das Lebensende betrifft. Ich sah mich mit der Frage konfrontiert, wie ich mir mein Lebensende vorstelle und welche Vorkehrungen ich hierzu treffen wolle. Mir war völlig klar: Ich möchte, dass mein Leben so lange erhalten bleibt, wie es medizinisch möglich ist. – Eine Patientenverfügung bräuchte ich dann wohl nicht, meinte der Notar.

Bei diesem Gespräch ist mir klar geworden, wie sehr ich an meinem Leben hänge. Wie ich hängen sicherlich viele an ihrem Leben. Der Wunsch nach einem vorzeitigen und freiwilligen Ausscheiden aus dem Leben widerspricht unseren tiefsten Überzeugungen, sei es aus einem zutiefst menschlichen Lebenswusch oder bei vielen auch aus religiösen Gründen. Aber mir ist bei dieser Gelegenheit auch klargeworden, dass dieser Lebenswusch nicht universell ist. Und wir haben nicht das Recht, unsere eigenen Überzeugungen auf andere zu übertragen.

Das Grundgesetz garantiert ein Recht auf Leben, es begründet aber keine Pflicht zu leben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Recht umfasst, zu entscheiden, wann das Leben zu Ende sein soll.

Daraus ergibt sich für uns als Gesetzgeber die Aufgabe, sicherzustellen, dass ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real gegeben ist. Und mit dieser Aufgabe tun wir uns schwer, da sie auf unsere höchstpersönlichen Erfahrungen, Ansichten und Wertvorstellungen trifft.

Der Gesetzentwurf um den Abgeordneten Castellucci will die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung im Ausgangspunkt wieder unter Strafe stellen. Suizidhilfe soll danach nur ausnahmsweise nicht rechtswidrig sein, wenn bestimmte Rechtfertigungsgründe vorliegen.

Die erneute Einführung der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist mit dem Grundgesetz und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar. Zudem entstünden hierdurch wieder erhebliche Strafbarkeitsrisiken, die es Ärztinnen und Ärzten und anderen Helfern faktisch nahezu unmöglich machen würden, Suizidhilfe anzubieten. Das Recht des Einzelnen auf Selbsttötung würde weiterhin leerlaufen.

Ich frage Sie: Wollen wir dies? Wollen wir ein Gesetz erlassen, das derart dem Geist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts widerspricht? Ein Gesetz, bei dem wir davon ausgehen müssen, dass es das Bundesverfassungsgericht wieder für nichtig erklärt?

Auf der anderen Seite haben wir die Möglichkeit, es beim gegenwärtigen Status quo zu belassen: Es gibt keine gesetzliche Regelung zur Suizidhilfe mit all den Ungewissheiten, die dies für Ärztinnen und Ärzte, Helferinnen und Helfer und insbesondere Menschen mit einem Sterbewunsch mit sich bringt. Aber wollen wir weiterhin Menschen in dieser schwierigen Lebenssituation ohne irgendwelche Leitplanken alleine lassen?

Oder gehen wir den Mittelweg und verabschieden hier heute ein Gesetz, welches auf der Grundlage der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist? Genau dies bietet unser Gesetzentwurf: Er gewährleistet vollumfänglich das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und schützt durch ein umfassendes Beratungskonzept und ärztliche Aufklärung die Autonomie des Einzelnen.

Wir möchten mit unserem Entwurf sicherstellen, dass der Mensch – bei aller notwendigen Unterstützung – seinen nachhaltig und autonom gebildeten freien Willen, nicht mehr leben zu wollen, umsetzen kann.