Rede von Dr. Till Steffen Zu Protokoll: Unternehmensumwandlungen

20.10.2022

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der letzten Legislatur wurde in manchen Ministerien damit begonnen, die Bewertung von Gesetzentwürfen gleich mitzuliefern. Franziska Giffey legte das Gute-KiTa-Gesetz vor, es folgte ein Starke-Familien-Gesetz. Aus dem Arbeitsministerium von Hubertus Heil kam zum Beispiel das Arbeit-von-morgen-Gesetz. Wenn wir diesem Stil treu bleiben wollen, würde ich für dieses Gesetz vielleicht die Bezeichnung „Gesetz zur Umsetzung der schwierigen Umwandlungsrichtlinie“ vorschlagen.

Vieles wurde bereits durch den europäischen Richtliniengeber und insbesondere die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit vorweggenommen, womit wir nicht zufrieden sein können. Dabei ist der Grundgedanke ja richtig: In einem gemeinsamen Europäischen Binnenmarkt muss es für Unternehmen rechtssicher möglich sein, grenzüberschreitende Umwandlungen in eine andere Rechtsform vorzunehmen. – Wir wollen doch, dass Europa auch wirtschaftlich weiter zusammenwächst und dass das unternehmerische Handeln nicht in Flensburg, Passau oder Trier endet. Wir müssen aber ganz nüchtern feststellen: Es gibt längst keine einheitlichen Standards für Arbeiternehmer/-innenrechte in der EU, und das ermöglicht Unternehmen leider auch die Umgehung dieser Rechte.

In der letzten Woche haben wir uns bereits mit den Herein-Umwandlungen auseinandergesetzt, heute sprechen wird über den umgekehrten Fall. Inländische Unternehmen wandeln sich in eine ausländische Rechtsform um. In diesen Fällen besteht immer die Gefahr, dass die Umwandlung dazu dient, der deutschen Rechtsordnung teilweise zu entgehen, obwohl die Unternehmen de facto hier in Deutschland tätig bleiben.

Besonders deutlich wird das bei den Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; denn leider gibt es immer wieder Unternehmen, die eine Umwandlung nur aus einem einzigen Grund vornehmen: Sie wollen sich den Mitbestimmungsrechten, die wir in Deutschland aus guten Gründen haben, entziehen.

Grenzüberschreitende Umwandlungen sind das zentrale Vehikel, wenn es darum geht, unterschiedliche Regelungen in verschiedenen europäischen Ländern systematisch zum eigenen Vorteil auszunutzen. Kurz bevor die deutschen Mitbestimmungsrechte greifen, wird eine Umwandlung in eine ausländische Rechtsform vorgenommen, damit die deutschen Gesetze nicht mehr anwendbar sind. Diese Rosinenpickerei schadet den Beschäftigten, aber sie setzt auch die ehrlichen, fairen Unternehmen unter Druck, mit diesen Praktiken zu konkurrieren.

Wir stehen also bei der Umsetzung der Richtlinie vor der Herausforderung, legitime, vielleicht sogar gewünschte Umwandlungen von missbräuchlichen Gestaltungen, die die Niederlassungsfreiheit ausnutzten, zu unterscheiden. Denn die Mitbestimmungsrechte haben die Gewerkschaften in Deutschland hart erkämpft, und sie haben sich in Deutschland bewährt. Und es stimmt auch nicht, dass es sich dabei um eine deutsche Eigenart handelt. Die Hans-Böckler-Stiftung hat sich die Rechtslage in der EU vor zwei Jahren angeschaut. In 18 EU-Ländern haben Arbeitnehmer/-innen ein Recht auf Beteiligung in Aufsichtsgremien von Unternehmen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Ausgestaltung.

In der letzten Woche haben wir bereits über den Fall der Herein-Umwandlung gesprochen. Sogar die Kollegen von der CDU haben betont, dass die Mitbestimmung ein wichtiges Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist. Sie ist – und das übersehen manche Unternehmen und auch manche Parteien leider – sogar ein echter Standortvorteil. Sie erweitert die Sicht der Aufsichtsräte um eine wichtige und wertvolle Perspektive, die in Zeiten des Fachkräftemangels einen echten Mehrwert für die Unternehmen bedeutet. Sie gibt den Beschäftigten die Möglichkeit, aktiv und auf höchster Ebene in ihrem Betrieb mitzubestimmen, und nicht selten bringen die Vertreter/-innen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die langfristige Perspektive ein, die bei der Entscheidungsfindung zugunsten kurzfristiger Erfolge manchmal zu kurz kommt.

Mitbestimmung stärkt also die Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes, und das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch eine Analyse des Europäischen Gewerkschaftsinstituts. Länder mit höherer Mitbestimmung schneiden in vielen Bereichen besser ab: bei der Erwerbstätigenquote, der Quote der Ausbildungsabbrecher/-innen, der Hochschulbildung und dem Armutsrisiko, aber auch beim Anteil erneuerbarer Energien.

Bei der Umsetzung der Richtlinie wird es also darauf ankommen, dass dies nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht. Es muss rechtlich klar geregelt sein, wann eine Umwandlung missbräuchlich ist. Das erreichen wir, indem wir den Registergerichten klare Anhaltspunkte für die Missbräuchlichkeit an die Hand geben: Wie nah ist das Unternehmen an einem Schwellenwert, durch den Mitbestimmungsrechte eingeführt werden? Wird zum Beispiel im Zielland der Umwandlung überhaupt eine Wertschöpfung erbracht, oder ist die Umwandlung nur eine Formalität? Soll der Verwaltungssitz des Unternehmens tatsächlich verlegt werden, oder bleibt das Unternehmen in Wirklichkeit in Deutschland? Hier ist das Gesetz noch zu unkonkret und muss es dringend nachgeschärft werden.

Das liegt auch im Interesse der Unternehmen; denn natürlich gibt es legitime Zwecke für eine grenzüberschreitende Umwandlung. Dies zu ermitteln, ist eine anspruchsvolle rechtliche Prüfung, die auch für ehrliche Unternehmen mit Risiken verbunden sein kann. Diese Unternehmen verdienen es, dass wir mit klaren Kriterien und Verfahren Rechtssicherheit schaffen.

Und nicht zuletzt liegt eine größere Rechtssicherheit bei der Prüfung der Missbräuchlichkeit auch im Interesse unserer Registergerichte. Wir sollten es uns hier nicht zu einfach machen und die Arbeit bei den Richterinnen und Richtern, bei den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern abladen, indem wir sie mit dem unbestimmten Begriff der Missbräuchlichkeit allein lassen.

Wir brauchen in diesem Gesetz klar benannte Anhaltspunkte, wann eine Umwandlung missbräuchlich ist. Für diese Prüfung müssen die Gerichte die Hintergründe der Umwandlung kennen; denn bei missbräuchlichen Umwandlungen werden Unternehmen immer Gründe vorschieben, warum es sich um eine legitime Umwandlung handelt. Das erreichen wir, indem wir die Beteiligung der Gewerkschaften am Verfahren sicherstellen. Sie kennen die Unternehmen gut und können einschätzen, welche Motivation hinter einem Umwandlungsvorhaben steckt. So können sie im Verfahren einen Gegenpol bilden, damit Umstände, die für einen Missbrauch sprechen, auch tatsächlich vorgetragen werden.

Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Niederlassungsfreiheit nicht von Unternehmen missbraucht werden darf, die sich trickreich ihrer Verantwortung entziehen wollen! Denn Niederlassungsfreiheit bedeutet nicht, dass die Unternehmen am Ende die Nase vorne haben, die mit den meisten Beratern auch noch die letzten Schlupflöcher finden. Das Gesetz muss die ehrlichen Unternehmen und vor allem die vielen Beschäftigten vor solchen Praktiken schützen.

Ich habe eingangs gesagt, unternehmerische Tätigkeiten sollen in Europa nicht in Flensburg, Passau oder Trier enden. Aber grenzüberschreitendes Wirtschaften muss immer das Ziel haben, für mehr Wohlstand zu sorgen. Dass erreichen wir nicht, wenn wir die Mitgliedstaaten in einen Wettkampf treiben, wer die niedrigsten Standards etabliert.

Grenzüberschreitende Umwandlungen dürfen nicht zu einem Race to the Bottom führen. Das wäre nicht im Sinne der Niederlassungsfreiheit. Daher müssen wir die Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen bei den kommenden Beratungen zur Priorität machen. Ich freue mich darauf.