Rede von Philip Krämer Zwischenbericht der Enquete-Kommission Afghanistan

Philip Krämer MdB
23.02.2024

Philip Krämer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Wehrbeauftragte! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sachverständige der Kommission auf der Tribüne! Der Afghanistan-Einsatz ist gescheitert. Dennoch gab es persönliche Schicksale, die mir sehr nahegegangen sind, weil sie zeigen, dass es „on the ground“ viel Menschliches gab in Afghanistan.

Zum einen ist das ein Kampfretter der Luftwaffe. Er hat gemeinsam mit fünf weiteren Kameraden im November 2016 die KSK bei der Evakuierungsoperation von deutschen Staatsbürgern beim deutschen Generalkonsulat in Masar-i-Scharif unterstützt. Für diese Mission erhielten sie jahrelang keine angemessene Anerkennung. Erst nach mehrfacher Nachfrage und Prüfung durch das BMVg konnten wir im letzten Jahr gemeinsam eine nachträgliche Auszeichnung erwirken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Bis heute leidet er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und somit immens an den Folgen des Einsatzes.

Zum anderen habe ich mich mit einem afghanischen Local getroffen, der von 2010 bis 2021 für die GIZ und die KfW in Afghanistan gearbeitet hat. Seit 2021 lebt er mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Deutschland und arbeitet hier als Programmmanager bei der PATRIP-Stiftung. Diese unterstützt den Wiederaufbau in Pakistan, Afghanistan und Tadschikistan. Aufgrund von Reisebeschränkungen für afghanische Staatsbürger und eines bisher fehlenden deutschen Passes ist es ihm nicht möglich, von Deutschland aus dringend notwendige Projektreisen in die afghanischen Nachbarländer zu unternehmen und seine Arbeit in der Region fortzusetzen.

Die beiden Schicksale verdeutlichen zwei wichtige Ergebnisse unseres Zwischenberichts:

Erstens. Das deutsche Engagement in Afghanistan war nicht nachhaltig. Teilerfolge in den Bereichen Gesundheit und Infrastruktur sowie die Arbeit von Organisationen wie der PATRIP-Stiftung konnten wichtige Beiträge zum Wiederaufbau leisten. Wenn allerdings ein etablierter afghanischer Mitarbeiter einer deutschen Stiftung keine Projektreisen in die Region mehr antreten darf, dann zeigt es ein Kernproblem des Engagements in Afghanistan: zu kurz gedacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Einsatz ist somit nicht im Kleinen, sondern auf politischer strategischer Ebene gescheitert.

Zweitens. Der Einsatz von Soldatinnen und Soldaten wurde nicht ausreichend wertgeschätzt. Das gilt für die deutsche Öffentlichkeit, aber auch für uns Abgeordnete. Im Rahmen der ISAF-Mission stand die Bundeswehr in Afghanistan erstmals in einem umfassenden Krieg. Im politischen Diskurs wurde dieser Begriff aber lange gemieden. Aus den Köpfen der Öffentlichkeit ist Afghanistan mit der Zeit verschwunden. In den Köpfen vieler hallen die traumatischen Erlebnisse in Afghanistan weiterhin umso schwerer nach.

Ich möchte alle Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, zivilen Einsatzkräfte und Ortskräfte, die in Afghanistan waren und heute zusehen, direkt ansprechen. Sie haben die Ihnen gestellten Aufgaben verlässlich erfüllt. Es ist nicht Ihr Scheitern. Das Scheitern liegt in den Hauptstädten des Westens.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zum ersten Mal haben wir einen deutschen Auslandseinsatz parlamentarisch aufgearbeitet. Bereits während des Einsatzes hat unter anderem Winnie Nachtwei, MdB a. D. und Sachverständiger unserer Kommission, eine offene und selbstkritische Analyse gefordert. Dieses Hohe Haus hat das damals aber wiederholt abgelehnt.

Deutschlands Parlament ist weltweit wie kaum ein zweites mit umfangreichen Kompetenzen in Bezug auf seine Streitkräfte ausgestattet. Der Bundestag mit seiner Parlamentsarmee ist seiner Kontrollpflicht in Afghanistan aber in großen Teilen nicht nachgekommen. Hier müssen wir uns als Abgeordnete auch den Spiegel vorhalten. Der Bundestag hatte sich auf die militärische Ebene versteift. Statt eine proaktive Politik in Afghanistan zu verfolgen, wurde sich ständig gerechtfertigt. Mandate wurden nur abgenickt. Es gab kein seriöses Lagebild.

Die nun vorliegende Selbstkritik verliert allerdings ihren Wert, wenn wir daraus nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Drei Forderungen sind aus meiner Sicht für die zweite Phase essenziell:

Erstens. Das deutsche strategische Interesse und Anpassungen der Einsatzstrategie müssen zukünftig transparent und konkret in Mandaten der Bundeswehr und im politischen Raum kommuniziert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zweitens. Wir müssen die Legislative stärken. Damals war der Bundestag schlichtweg überfordert mit der Situation in Afghanistan. Um uns für künftige Krisen und Konflikte besser aufzustellen, brauchen wir ein parlamentarisches Gremium zur Kontrolle der einzelnen Bundeswehrmandate.

Drittens. Zukünftige Mandate müssen auf überprüfbare Zwischenziele heruntergebrochen werden. Welche Ziele gibt es, und wie können diese erreicht werden? Welche politischen sowie zivilen Aspekte, welche Szenarien müssen mitgedacht werden? Welche Erfolgsmarker müssen gesetzt werden? Diese gesteckten Zwischenziele müssen regelmäßig wissenschaftlich evaluiert und die Maßnahmen entsprechend angepasst werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, zwei Jahre nach Ende der europäischen Friedensarchitektur, wie ich sie noch kennengelernt habe, ist es wichtig, dass wir uns selbst vergewissern und uns für die Herausforderungen der Zeit aufstellen. Afghanistan dient dabei als mahnendes Beispiel.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächste hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Serap Güler.

(Beifall bei der CDU/CSU)