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Abgesetzte Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen
Anlässlich der abgesetzten Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen nachfolgend Statements der Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge.
Britta Haßelmann:
Der heutige Tag ist ein Desaster für das Parlament. Er ist vor allen Dingen ein Desaster für Jens Spahn und Friedrich Merz und mit ihnen für die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD.
Das Bundesverfassungsgericht – das höchste Gericht – ist von größter Bedeutung für unsere Demokratie. Für dieses höchste Gericht hat der Richterwahlausschuss in dieser Woche mit Zweidrittelmehrheit drei Kandidierende gewählt. Diese Wahlvorschläge – Herr Spinner, Frau Brosius-Gersdorf und Frau Kaufhold – liegen dem Deutschen Bundestag heute zur Abstimmung vor. Und plötzlich ist klar, dass die größte Fraktion im Deutschen Bundestag – die Regierungsfraktion von CDU und CSU – einer der drei Kandidatinnen die Unterstützung entzieht.
Das ist ein Vorgang, den wir im Deutschen Bundestag bei der Wahl von Richterinnen und Richtern zum Bundesverfassungsgericht noch nie erlebt haben.Und dafür trägt allen voran Jens Spahn die Verantwortung und mit ihm die SPD-Spitze, aber vor allen Dingen Jens Spahn. Denn es war auch sein Vorschlag, alle drei Kandidierenden zu wählen. Katharina Dröge und ich haben Gespräche geführt mit den Vorsitzenden der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, sprich mit Jens Spahn und mit Matthias Miersch. Und beide haben uns diesen Vorschlag, diese drei Menschen zu Richter*innen am Bundesverfassungsgericht zu wählen, gemeinsam gemacht.
Ich finde, die Vorgänge heute zeugen von einem absoluten Versagen.Wir wussten von Anfang an, dass eine Zweidrittelmehrheit für die Unterstützung der zu wählenden Kandidierenden notwendig ist. Und wir beide haben von Anfang an darauf hingewiesen: Diese Mehrheit muss ohne die AfD hergestellt werden. Wir haben etliche Male auch Jens Spahn dazu aufgefordert, auch mit der Fraktion der Linken zu sprechen. Das ist ja kein unmöglicher Vorgang. Sie alle erinnern sich wahrscheinlich an die Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit für einen zweiten Wahlgang für den Kanzler. Dass die Fraktion von CDU/CSU und ihr Vorsitzender sich ausgerechnet jetzt nicht in der Lage gesehen haben und sich verweigert haben, mit den Linken zu sprechen, halten wir für einen gravierenden Fehler.
Auch die Tatsache, dass eine der in Rede stehenden Kandidatinnen, die im Richterwahlausschuss bereits mit Zweidrittelmehrheit gewählt ist, in dieser Art und Weise öffentlich diffamiert und in den Schmutz gezogen wird, ist beschämend.
Ich frage mich, wie sich Jens Spahn eigentlich auf die Wahlen zum Bundesverfassungsgericht mit seinen drei Wahlvorschlägen vorbereitet hat. Hier scheint jemand die Ernsthaftigkeit der Lage nicht richtig eingeschätzt und erkannt zu haben. Das ist kein Roulette, was man hier spielt. Es ist kein Spiel.Es geht um das Ansehen des höchsten Gerichts, und es geht um die Menschen, die dort zur Wahl stehen und künftig Richterinnen und Richter am höchsten Gericht sein sollen. Katharina Dröge und ich sind entsetzt, wie so viel Dilettantismus und unverantwortliches Handeln hier Raum nehmen durch Jens Spahn und die Koalitionsspitzen insgesamt. Ich bezweifle, dass jemand wie Jens Spahn in der Lage ist, seine Funktion als Fraktionsvorsitzender wahrzunehmen, wenn er mit Situationen wie heute konfrontiert ist.
Und zur Linken: Auch hier können wir nicht verstehen, dass die Fraktion nicht von vornherein allen drei Kandidierenden ihre Unterstützung signalisiert hat, denn sie sind gute Kandidatinnen und Kandidaten für das Verfassungsgericht.
Katharina Dröge:
Ich möchte zunächst etwas zum Umgang mit Prof. Frauke Brosius-Gersdorf sagen. Wenn CDU/CSU und SPD Personalvorschläge machen für Richter*innen am Bundesverfassungsgericht, dann muss man muss sich das so vorstellen, dass sie zusammensitzen und sich überlegen, wer die Personen sind, die in Zukunft am Bundesverfassungsgericht Recht sprechen sollen. Und dann wählen sie diese Personen sorgfältig aus. Ich gehe zumindest davon aus, dass CDU/CSU und SPD sich sorgfältig Gedanken gemacht haben, insbesondere die juristische Expertise der Personen beurteilt haben und dann gesagt haben: Das sind die drei Menschen, denen trauen wir das zu. Das sind die besten Personen in Deutschland, die wir für das Bundesverfassungsgericht finden konnten. So würde es zumindest die Grüne Bundestagsfraktion machen. Wenn wir ein Vorschlagsrecht haben für das Bundesverfassungsgericht, dann gehen wir nach juristischer Expertise, nach persönlicher Eignung und daraufhin machen wir einen Vorschlag.
Ich möchte jetzt CDU/CSU und SPD nicht unterstellen, dass sie sich keine Gedanken gemacht haben, sich gar nicht eingelesen haben, wen sie da vorschlagen. Vielmehr hoffe ich, dass zumindest Jens Spahn bei den Vorschlägen der SPD und umgekehrt Matthias Miersch beim Vorschlag der CDU einmal hingeguckt hat, wer die Personen sind, die sie da vorschlagen.Und – Britta Haßelmann hat es gesagt – dann sind die beiden gemeinsam auf uns zugegangen, und zwar mehrfach, und haben gesagt: Das sind unsere Vorschläge, für die werben wir. Grüne, könnt ihr euch vorstellen, das zu unterstützen? Wir haben uns die Personen und ihre Lebensläufe natürlich dann auch angeschaut und haben gesagt: Ja, wir können uns vorstellen, sie zu unterstützen.
Und wenn dann so etwas passiert wie in den letzten Tagen, dass immer weiter versucht wurde, mit Halbwahrheiten und Falschbehauptungen eine angesehene Juristin zu diskreditieren, dann erwarte ich von beiden Fraktionen, dass sie sich vor die Person stellen, die sie vorschlagen. Dass sie nicht das Gegenteil machen und sich auch noch daran beteiligen daran, die fachliche Qualifikation einer Kandidatin infrage zu stellen. Und wer sich fragt, ob es wirklich Zufall ist, dass ausgerechnet heute Plagiatsvorwürfe von Herrn Weber auftauchen, den mittlerweile jeder in Deutschland kennt und dessen vermeintliche Qualität jeder einschätzen kann, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.
Es ist natürlich kein Zufall. Und wenn CDU und CSU das jetzt als einfachen Ausweg nutzen wollen, um die Zusage, die sie der Kandidatin gegenüber gemacht haben, der SPD gegenüber gemacht haben, uns gegenüber gemacht haben, zurückzuziehen, dann ist das sehr offensichtlich nur ein Ausweichmanöver, weil Jens Spahn seine Zusage nicht mehr einhalten kann. Britta Haßelmann hat es gesagt: Wenn ein Fraktionsvorsitzender die Zusage, die er gemacht hat, nicht einhalten kann, dann ist er nicht geeignet, sein Amt wahrzunehmen. Denn das ist der Job, den er als Fraktionsvorsitzender hat. Wir kennen das aus Regierungszeiten: Gerade in Regierungsfraktionen muss man Mehrheiten sichern, sonst funktionieren Koalitionen nicht. Und Jens Spahn ist jetzt zum wiederholten Male nicht in der Lage, Mehrheiten zu sichern.
Wir halten das für einen völlig inakzeptablen Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht. Wir sind der Überzeugung, dass heute keine Wahlen stattfinden können – überhaupt keine Wahlen. Man kann jetzt nicht eine Kandidatin nicht wählen, die anderen beiden aber schon. Das wäre aus unserer Sicht ein respektloser Vorgang. Deswegen werden wir gegenüber CDU/CSU und SPD dafür plädieren, dass alle drei Wahlen abgesetzt und verschoben werden. Sie müssen zeitnah nachgeholt werden, denn der Deutsche Bundestag muss in der Lage sein, Richter*innen für das Bundesverfassungsgericht zu wählen. Es wäre eine Peinlichkeit für dieses Parlament, wenn der Deutsche Bundestag das nicht schafft. Es braucht demokratische Mehrheiten. Wir Grünen sind dazu bereit. Und diese Krise, in die sich CDU/CSU und SPD selbst manövriert haben, die müssen sie jetzt lösen. Sonst ist diese Koalition an dieser Stelle schon gescheitert.