26 Jun 2023

Online-Fachgespräch Der Digital Services Coordinator zwischen Bund, Ländern und Europa: Wie gelingt die Zusammenarbeit?

  • Deutschland muss zum 24. Februar 2024 einen „Digital Services Coordinator“ benennen, der die Regeln gegenüber Plattformen nach der EU-Verordnung über digitale Dienste (DSA) durchsetzt.
  • In einem digitalen Fachgespräch diskutierte Tabea Rößner am 26. Juni 2023 mit Vertreter*innen aus Aufsichtsbehörden, Wissenschaft und Institutionen wichtige Umsetzungsfragen für Deutschland und Europa.
  • Wir Grüne im Bundestag setzen uns dafür ein, mithilfe schlagkräftiger Aufsichtsbehörden die Nutzer*innenrechte sowie den demokratischen Diskurs im digitalen Raum zu stärken.

Die Vorsitzende des Ausschusses für Digitales im Deutschen Bundestag, Tabea Rößner MdB, begrüßte das Publikum zum digitalen Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion und betonte in ihren einleitenden Worten die herausgehobene Stellung großer Plattformen und Online-Marktplätze für den demokratischen Meinungsbildungsprozess und Verbraucher*innenalltag. Der Digital Services Act sei daher eine notwendige regulatorische Antwort auf die Herausforderungen im Machtgefälle zwischen großen Online-Plattformen bzw. -Suchmaschinen und ihren Nutzenden.

In seiner fachlichen Einführung gab Dr. Julian Jaursch (Projektleiter „Stärkung digitaler Öffentlichkeit“, Stiftung Neue Verantwortung) einen Überblick über die EU-Verordnung über digitale Dienste ("Digital Services Act", kurz DSA). Aufbauend auf seinen bisherigen Recherchen und Handlungsempfehlungen für eine effektive Plattformaufsicht wertete er den Rechtsakt als progressiv: Mit den neuen Regelungen werde großen Online-Plattformen ein hoher Maßstab an Transparenz und Beschwerdemanagement im Umgang mit Grundrechtsverletzungen auferlegt. Nun sei Deutschland am Zug, mit einer starken Plattformaufsicht die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen – insbesondere durch die institutionelle Einrichtung eines nationalen DSC. Sein Vorschlag war stets, eine eigenständige, unabhängige Behörde neu einzurichten, das habe sich im Diskurs nicht durchgesetzt. Nun plädierte er dafür, die nach derzeitigem Stand für den DSC auserwählte Bundesnetzagentur als starke Fachbehörde auszugestalten – und nicht als „schwachen DSC“, der gleichsam nur als Poststelle für andere Fachbehörden agiere.

Prof. Dr. Jürgen Kühling (Lehrstuhl für u.a. Öffentliches Recht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht Universität Regensburg) thematisierte in seiner anschließenden Keynote die Anforderungen an die EU-rechtlich vorgeschriebene Unabhängigkeit des DSC. Näher ging Prof. Kühling auf die innen- sowie außenkoordinatorischen Funktionen des DSC ein. Als besondere Herausforderungen hob er die Ausgestaltung einer effektiven Plattformaufsicht sowie die konstruktive Zusammenarbeit zwischen den in der Zusammenschau verschiedenen Kompetenzen auf föderaler und Bundesebene hervor. Wie in seinem Gutachten betonte er die Bedeutung der Unabhängigkeit des DSC, um den rechtlichen Kriterien aus Brüssel gerecht zu werden. Dafür sei es jedoch auch möglich, einen „unabhängigen Strang“ in eine bestehende Regulierungsbehörde – wie die Bundesnetzagentur – einzugliedern. Die Zusammenarbeit mit anderen Fachbehörden müsse klar geregelt werden, damit es nicht zu Reibungsverlusten komme.

Anschließend wurde die konkrete Zusammenarbeit des DSC mit anderen nationalen Behörden erörtert. Dabei erläuterten Klaus Müller (Präsident der Bundesnetzagentur, BNetzA), Lina Ehrig (Leiterin Team Digitales und Medien der Verbraucherzentrale Bundesverband), Dr. Tobias Schmid (Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Medienanstalten), Sebastian Gutknecht (Direktor Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz), Prof. Ulrich Kelber (Bundesdatenschutzbeauftragter), Veronika Keller-Engels (Präsidentin Bundesamt für Justiz) und Sandro Dicker (Bundeskriminalamt) ihre jeweilige Perspektive zur Verortung des DSC in der föderalen Landschaft an Fachbehörden.

Um eine einheitliche Aufsicht zu gewährleisten, so Prof. Ulrich Kelber, sei die Perspektive der Datenschutzaufsicht gesetzlich einzubinden. Nur so ließen sich unabhängige datenschutzrechtliche Einschätzungen in die Plattformregulierung integrieren. Mit Blick auf das mehrschichtige europäische und mitgliedstaatliche Zuständigkeitssystem begrüße er zwar die Ausgestaltung des DSC als Zentralstelle, regte hierbei jedoch zweckmäßige Datenaustauschprozesse zwischen den fachlich betroffenen Behörden an. Zudem bedürfe es klarer Verwaltungsvereinbarungen, um die Zusammenarbeit zu strukturieren.

Aus der Sicht der Landesmedienanstalten betonte Dr. Tobias Schmid, dass die breit angelegte Regulierungsstruktur des DSA begrüßenswert und auch eine Verortung der Rolle des DSC bei der Bundesnetzagentur nachvollziehbar sei. Zugleich betonte er, dass der Föderalismus zur Demokratiesicherung bei der Inhaltregulierung gerade heute sinnvoll sei und wies auf die Vorreiterrolle der Länder bei der Medienaufsicht hin. Hier gebe es bereits viel Erfahrung mit großen – auch grenzüberschreitenden – Verfahren gegen Plattformanbieter, etwa im Bereich pornographischer Inhalte, und funktionierende, vertrauensvolle Strukturen, die unbedingt erhalten bleiben müssten. Entscheidend sei daher, die Landesmedienanstalten als „zuständige Behörde“ gemäß Artikel 49 DSA auch in dem zukünftigen Digitale Dienste Gesetz zu benennen, damit diese Verfahren fortführen und die inhaltliche Bewertung weiter übernehmen könnten. Zudem sei so auch eine kongruente Bewertung und Umsetzung verschiedener, sich inhaltlich aber überschneidender Regelwerke gewährleistet.

Veronika Keller-Engels (Bundesamt für Justiz) zeigte sich ebenfalls erfreut über die neuen Anforderungen an die Transparenz und Verantwortung für Plattformbetreiber. Eine breite Beteiligung der fachlich betroffenen Behörden müsse dabei auch nicht notwendigerweise zu einer schwachen Ausgestaltung des DSC beitragen. Entscheidend sei insofern aber die effektive Koordinierung behördlicher Abstimmungsprozesse. Mit der Durchsetzung des NetzDG gegenüber sozialen Netzwerken habe ihre Behörde bereits gute Erfahrungen gesammelt.

Sebastian Gutknecht wies eingangs auf die besondere Herausforderung der Bundesnetzagentur hin, als perspektivischer DSC verschiedene Fachsphären vereinen zu müssen. Mithilfe der Einbindung relevanter Stakeholder in einem strukturierten Diskurs könne eine moderne Plattformregulierung gelingen. Zugleich stellte er klar, dass die – erst 2021 eingerichtete – Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz im Gesamtgefüge nicht die Aufgabe habe, einzelne Inhalte zu kontrollieren. Vielmehr blicke sie auf die strukturellen Prozesse und systemischen Risiken bei Medienanbietenden. Hier finde bereits ein Austausch statt, eine Phase des Aufbaus, um gerade im Jugendmedienschutz die Möglichkeiten einer kinderfreundlichen Mediennutzung sicherzustellen.

Klaus Müller sah die BNetzA als möglichen DSC auch in Bezug auf die Unabhängigkeit gut aufgestellt, da sie hier auf Erfahrungen – etwa in der Frequenzvergabe – aufbauen könne. Die BNetzA sei sich des zu erwartenden Fallaufkommens auf EU-, Bundes- und Landesebene mit Blick auf ihre Funktion als zentrale Anlaufstelle durchaus bewusst und wolle – vor allem im Hinblick auf die Kompetenzen der fachlich zuständigen Behörden – respektvoll, andererseits ihre Rolle selbstbewusst nach außen ausüben wollen. Die BNetzA bereite sich bereits vor, vernetze sich und tausche Best Practice-Beispiele aus. Zudem seien sie gewappnet, bereits 2023 einen Aufbaustab gründen und die ersten Schritte hin zu einer nationalen Umsetzung des DSA gehen zu können. Die BNetzA verfüge bereits heute über wissenschaftliche Kompetenz und ein solides Netzwerk. Im künftigen Beirat des DSC, so Müller, müsse bei der Besetzung unbedingt auf Vielfalt geachtet werden und Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft repräsentiert sein.

Mit Blick auf die breite Anwendbarkeit des DSC für soziale Netzwerke und Online-Marktplätze sprach sich Lina Ehrig (Leiterin Team Digitales und Medien Verbraucherzentrale Bundesverband) für eine starke Perspektive der Nutzer*innen bei der Umsetzung des DSA aus. Nur mit einer effektiven Rechtsdurchsetzung und Marktaufsicht könne ein sicheres Online-Umfeld geschaffen werden. Hierfür seien ein zentraler Ansprechpartner und eine engmaschige Zusammenarbeit des DSC mit den nationalen Behörden entscheidend. Fachliche Spiegelreferate der Fachbehörden beim DSC könnten ein guter Ansatz sein, wenn sie nicht nur eine reine Doppelung der Aufgaben bedeuteten, sondern auch eine „Treiberfunktion“ hätten. Für eine effektive, zentrale Aufsicht solle der DSC einerseits die im DSA verankerten neuen Aufgaben übernehmen. Zudem solle keine künstliche Zersplitterung der Zuständigkeiten nach Funktionalitäten erfolgen, da sich diese – etwa zwischen sozialen Netzwerken und Online-Marktplätzen – zunehmend vermischten.

Sandro Dicker (Kriminaldirektor und Leiter Projektgruppe "Digitale Eingangsstelle" beim Bundeskriminalamt, BKA) beleuchtete die sicherheitsbehördliche Dimension der DSA-Umsetzung. Das Bundeskriminalamt verfüge – nicht zuletzt durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) – bereits über eingehende Expertise im Umgang mit strafbaren Inhalten im Netz, auch Zentralstellen seien im Rahmen der Länderzuständigkeit Polizei bereits eingerichtet worden. Der DSA bringe nun eine neue Dimension hinein, die Aufgaben würden viel breiter. Hier würde man das bestehende funktionale Gefüge weiterentwickeln und das BKA mithilfe geeigneter technischer Formate zunehmend als digitale Eingangsstelle ausrichten: Das werde als Ende-zu-Ende-Prozess bis hin zur Justiz gedacht.

In ihrer Keynote unterstrich Renate Nikolay (Deputy Director, General European Commission DG CNECT) den besonderen Charakter des DSA. Erstmals etabliere eine EU-Verordnung ein umfassendes Schutzprogramm, das einen sicheren digitalen Raum für alle Nutzer*innen schaffe. Um dem Pioniercharakter des Rechtsaktes Rechnung zu tragen, richte ihre Generaldirektion bei der Europäischen Kommission bereits ein eigenes Plattformdirektorat ein. Aber auch die Mitgliedstaaten müssten nun tätig werden: Für eine wirksame Plattformregulierung sei eine enge Zusammenarbeit zwischen Behörden – unter anderem Verbraucherschutz- und Sicherheitsbehörden wie EUROPOL – unumgänglich. Die Kooperationen mit der deutschen Aufsicht werde – mit Blick auf die mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz geleistete Vorarbeit – besonders geschätzt. Für die Koordination unionaler und mitgliedstaatlicher Behörden sei die konkrete Benennung der zuständigen Ansprechpersonen von hoher Relevanz. Hinsichtlich der sehr großen Plattformen und Suchmaschinen sei die derzeitige Anzahl nicht abschließend zu verstehen, sie würden die Nutzer*innendaten auch von Plattformen (wie etwa zahlreiche pornografische, die keine Angaben gemacht hatten) nach einem eigenen System überprüfen. Entscheidend sei, dass man 2024 direkt mit der Arbeit loslegen könne, um die Regeln schnellstmöglich durchzusetzen, hier gäbe es auch eine klare Erwartung der Nutzer*innen. Außerdem sei die Unterstützung der Zivilgesellschaft als „watch dogs“ entscheidend und finanzpolitisch in den Mitgliedstaaten die Ausstattung des DSC (Expertise, Ressource, Datenanalysten etc.) unbedingt zu berücksichtigen.

In der darauffolgenden Diskussionsrunde debattierte Tabea Rößner mit den Panelist*innen und Teilnehmenden die Perspektiven der Zusammenarbeit des DSC mit der EU. Klaus Müller betonte hierbei, dass die Bundesnetzagentur als Vermittlungsinstanz und zentraler Ansprechpartner der EU-Kommission fungieren könne. Allein auf EU-Ebene verankert sei aber die Aufsicht über sehr große Online-Plattformen (insbesondere solche mit über 45 Millionen monatlich aktiven Nutzern EU-weit). Als primäre Anlauf- und Beratungsstelle hätten sich jedoch auch die DSC der Mitgliedstaaten mit den besonders großen Online-Plattformen auseinanderzusetzen. Ein Vertreter des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr teilte mit, dass der DSC künftig die Aufsicht über voraussichtlich mehr als 4000 Plattformen, darunter auch kleinere Access Provider (Anbieter für den Zugang zum Internet), obliegen werde. Für eine stärkere Synchronisierung der gesetzgeberischen Regulierungsvorgaben auf EU-Ebene machte sich Dr. Tobias Schmid stark – soweit der DSA als Verordnung unmittelbar Rechtswirkung entfalte, obliege es dem deutschen Gesetzgeber, Abgrenzungsschwierigkeiten im Kompetenzgefüge zu begegnen. Prof. Dr. Kühling wiederum hob die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der EU-behördlichen Aufsicht hervor. Prof. Kelber sprach sich zudem dafür aus, den Europäischen Datenschutzausschuss (European Data Protection Board) in die organisatorische Ausrichtung des DSC auf EU-Ebene einzubeziehen, um eine kohärente Arbeitsweise zu gewährleisten. Eine einheitliche Umsetzung des DSA, insbesondere mithilfe zwischenbehördlicher Koordination, so Dicker, setze zweckmäßige Austauschformate voraus.

An die Diskussionsrunden anknüpfend erhielt das digital zugeschaltete Publikum jeweils die Möglichkeit, eigene Fragen an die Panelist*innen zu richten. Zuletzt verabschiedete Tabea Rößner die Panelist*innen und Teilnehmer*innen mit einem Ausblick auf die Funktion eines starken DSC und einer guten Zusammenarbeit der fachlich zuständigen Behörden in der Plattformregulierung. Sie bedankte sich bei allen für den anregenden Austausch und rief dazu auf, das parlamentarische Verfahren weiterhin aufmerksam zu begleiten.

 

Uhrzeit Programm
9.00

Begrüßung & Politische Einführung

Tabea Rößner MdB
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

9.10

Fachliche Einführung

Dr. Julian Jaursch
Projektleiter „Stärkung digitaler Öffentlichkeit“, Stiftung Neue Verantwortung

9.15

DISKUSSION I: DSC und die Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden 

Keynote:

Prof. Dr. Jürgen Kühling
LLM Inhaber des Lehrstuhls für u.a. Öffentliches Recht
Infrastrukturrecht und Informationsrecht Universität Regensburg 

Diskussionsrunde:

Klaus Müller
Präsident Bundesnetzagentur

Lina Ehrig
Leiterin Team Digitales und Medien
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)

Dr. Tobias Schmid
Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und
Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Medienanstalten (DLM)

Sebastian Gutknecht
Direktor Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz

Prof. Ulrich Kelber
Bundesdatenschutzbeauftragter

Veronika Keller-Engels
Präsidentin Bundesamt für Justiz

Lutz Kattge und Sandro Dicker
Bundeskriminalamt, Kriminaldirektoren und Leiter Projektgruppe "Digitale Eingangsstelle"

 

Moderation: Tabea Rößner MdB

10.20

Pause

10.35

DISKUSSION II: DSC und die Zusammenarbeit mit der EU

Keynote:

Renate Nikolay
Deputy Director
General European Commission DG CNECT 

Diskussionsrunde mit den oben genannten Vertretern von Behörden und Institutionen

11.50

Schlussworte 

Tabea Rößner MdB

12.00 Ende der Veranstaltung