17 Apr 2023

Online-Fachgespräch Nach dem Abschalten: Jahrhundertaufgabe AKW-Rückbau

  • Am 15.04.2023 ist Deutschland aus der Nutzung der Atomkraft zur Stromproduktion endgültig ausgestiegen. Damit konnte der zwischen allen demokratischen Parteien, mehreren Bundesregierungen und den Betreibern der Anlagen hart errungenen politischen Konsens umgesetzt werden.
  • Das Abschalten der letzten am Netz befindlichen Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 ist ein Sicherheitsgewinn für unser Land.
  • Doch mit dem Ausstieg endet nicht unsere Verantwortung. Neben dem Mammutprojekt der Endlagersuche für die rund 1.900 Castoren hochradioaktiven Atommülls steht uns auch noch die Jahrhundertaufgabe des Rückbaus der Anlagen bevor.

Nach dem Abschalten von Atomkraftwerken ist unverzüglich mit deren Stilllegung und Rückbau zu beginnen. So definiert es der §7 Abs 3 des Atomgesetzes und folgt damit Erfahrungswerten, laut denen der direkte Abbau der Atomkraftwerke aus sicherheitstechnischer, verwaltungstechnischer und wirtschaftlicher Perspektive das einzig verantwortbare Konzept ist. Weltweit sind aktuell mehr als 200 Reaktoren stillgelegt, allerdings wurden davon bisher nur 22 vollständig zurückgebaut. Das einzige kommerzielle AKW, das bislang in Deutschland technisch zurückgebaut wurde, ist das AKW Würgassen.

Die Atomindustrie ist dementsprechend im Rückbau weitgehend unerfahren und es gibt viele offene Fragen und Unsicherheiten hinsichtlich der komplexen Prozesse: Wie lange dauert der Rückbau, was kostet er und wie bereiten sich die Betreiber darauf vor? Welche Risiken bringt der Rückbau mit sich und sind alternative Vorgehensweisen zumutbar?

Um diese Fragen mit Experten aus der Energieindustrie und politischen Akteuren im Detail zu diskutieren, veranstaltete die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 17. April 2023 ein öffentliches Fachgespräch. 

Zu Beginn der Veranstaltung stellte Jörg Michels, Geschäftsführer der EnBW Kernkraft GmbH, den aktuellen Stand der Rückbaustrategie von EnBW vor. Das Unternehmen ist für den Rückbau von fünf Reaktoren in Deutschland verantwortlich. Neben den einzelnen technischen Schritten des Rückbaus sowie deren zeitliche Abläufe, beschrieb er auch den Planungshorizont des Unternehmens, was Kosten und Dauer des Rückbaus angeht: pro Anlage rechnet EnBW mit 20 Jahren und insgesamt 9 Milliarden Euro für die fünf Reaktoren. Anders als manch andere Betreiber hat sich EnBW noch während des Betriebs, also vor der vollständigen Abschaltung der Anlagen, um die Rückbaugenehmigungen gekümmert, sodass mittlerweile für alle fünf Reaktoren die Genehmigungen vorliegen und entsprechend zurückgebaut werden (können).

Im Anschluss an den Impulsvortrag diskutierten der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Christian Kühn, der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, und Jörg Michels über Nachfragen des Moderators Harald Ebner, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, und beantworteten Fragen aus dem Publikum.

Alle drei Experten betonten, dass durch die Atomgesetznovelle im Jahr 2017 der Rückbau der Anlagen für alle Anlagenbetreiber nunmehr unmittelbare Pflicht sei und Alternativen wie der sichere Einschluss nicht mehr erlaubt sind.  

Der Sorge aus dem Publikum, dass versucht werden könnte, Grenzwerte durch das Zerschneiden von Materialien zu unterschreiten, erteilten sowohl König als auch Michels eine Absage. Rechtlich sei eine Art „Beimischung“ von unterschiedlich stark strahlenden Materialien nicht zulässig und die Freimessungen des Bauschutts werde streng überwacht. Beide betonten aber auch, dass es gemäß Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz verpflichtend sei, freigemessene Stoffe wieder in den Kreislauf zu überführen. Michels führte zudem aus, dass während des Rückbau-Prozesses, die schwach- und mittelradioaktiven Materialien an den Standorten von EnBW selbst gelagert werden würden.

Gefragt nach einer möglichen AKW-Reserve machte Kühn für das Ministerium deutlich, dass nach dem Ende der Betriebsgenehmigung die Anlagen faktisch wie eine Neugenehmigung zu behandeln seien und eine entsprechende Neugenehmigung rechtlich so ohne Weiteres nicht möglich sei.

König betonte, angesprochen auf die verlängerte Zwischenlagerung im Zuge der verzögerten Endlagersuche für den hochradioaktiven Atommüll, dass über die Sicherheitsfragen angesichts von Stand Wissenschaft und Technik aber auch aktueller Situationen wie der Krieg in der Ukraine neu debattiert werden müsse. Zugleich unterstrich Kühn, dass es bei einem Prozess, wie ihn das Standortauswahlgesetz zur Suche nach einem tiefengeologischen Endlager vorsieht, vollkommen normal sei, immer wieder nachjustieren zu müssen.

Als Schlusspunkt appellierte Wolfram König eindringlich an alle, im konstruktiven Diskurs zu bleiben und den Konsens zur Endlagersuche durch Wissenserhalt aber auch durch Engagement junger Menschen für das Thema sicherzustellen.  

Uhrzeit Programm
14.00

Begrüßung und politische Einführung

Dr. Julia Verlinden MdB
Stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

14.10

Impulsvortrag

Jörg Michels 
Geschäftsführer der EnBW Kernkraft GmbH (EnKK)

14.30

Podiumsdiskussion "Nach dem Abschalten: Jahrhundertaufgabe AKW-Rückbau"

Christian Kühn MdB
Parlamentarischer Staatssekretär
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV)

Jörg Michels
Geschäftsführer der EnBW Kernkraft GmbH (EnKK)

Wolfram König
Präsident
Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE)

Moderation: Harald Ebner MdB
Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag
Berichterstatter für Atompolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

15.30 Fragerunde
16.00 Schlusswort
Harald Ebner MdB