08 Feb 2023

Online-Fachgespräch Solide Brücken – die starken Schultern unserer Gesellschaft

  • In Deutschland gibt es rund 40.000 Straßenbrücken für die der Bund zuständig ist. Ein Großteil von ihnen ist älter als 50 Jahre und braucht dringend eine Generalüberholung.
  • Expert*innen haben ermittelt, dass 4000 Brücken in einem so schlechten Zustand sind, dass sie bis spätestens 2030 erneuert sein müssen. Wie können wir vorhandene Mittel und Kräfte da einsetzen, wo sie unserer Volkswirtschaft den größten Nutzen bringen? Wie können wir also bestehende Infrastruktur fit für die Zukunft machen, ohne Umwelt und Klima gleichzeitig weiter zu zerstören?
  • Dazu diskutierten wir in einem Fachgespräch mit Expert*innen.

Gleich zu Beginn machte Katharina Dröge deutlich, dass die beschleunigte Sanierung von Brücken ein zentrales Anliegen der aktuellen politischen Arbeit der grünen Bundestagsfraktion ist. Marode Brücken sind eine Belastung für die Menschen vor Ort, die Wirtschaft und das Klima. Dröge betonte, dass immer neue Aus- und Neubauten von Straßen aus der Zeit gefallen sind, weil das mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung nicht vereinbar ist. Viel wichtiger ist, dass die vorhandene Infrastruktur funktionstüchtig wird und bleibt – eine Aufgabe, die im Bundesverkehrsministerium jahrzehntelang vernachlässigt wurde und jetzt dringend nachgeholt werden muss.   

Brückensanierung 2022 — eine Bestandsaufnahme

Das Thema Brückensanierung ist eine Mammutaufgabe, bei der es keine Zeit zu verlieren gibt, machte auch der Oliver Luksic, Parlamentarischer Staatssekretär  im Bundesverkehrsministerium, klar. Er räumte ein, dass das Ziel jährlich 400 Brücken zu sanieren, damit in den 2030er Jahren die 4000 marodesten davon fit für die Zukunft sind, noch nicht erreicht ist. Von der Planung bis zum Bau lägen viele Jahre und Auftragsschritte, die sich nur schwerlich beschleunigen ließen. Da aus seiner Sicht bei den Planungs- und Bauschritten kaum etwas an Beschleunigung rauszuholen sei, müsse eben bei der Genehmigung Zeit eingespart werden. So soll in bestimmten Fällen gänzlich auf die Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden können. Nach Ansicht Luksics scheitert die Beschleunigung von Brückensanierungen nicht an zu wenigen Planern, die die Autobahn GmbH händeringend sucht, sondern am Widerstand vor Ort. Von grüner Seite wird dagegen eingewandt, dass sich regionaler Widerstand oftmals vor allem da formiere, wo überdimensionierte oder nicht mehr zeitgemäße Ausbaumaßnahmen geplant sind.

Vor Ort: Der „Tausendfüßler“ in Bonn

Ein solches umstrittenes Projekt ist der „Tausendfüßler“ in Bonn. Den im Bundesverkehrswegeplan verankerten Ausbau der Autobahnbrücke 565 von vier auf sechs Spuren lehnt die Stadt ab. Bonn will bis 2035 klimaneutral sein. Statt die Brücke zu verbreitern und im Zuge der Sanierung noch eine Fahrspur für Autos hinzuzufügen,  möchte Bonn einen zusätzlichen Radweg für Pendler*innen aus dem Umland realisieren. Unterstützt wird die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner in ihren Plänen vom nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Oliver Krischer. Beide waren dazu bereits mit dem  Bundesverkehrsministerium in Kontakt, bislang aber erfolglos. 30 Prozent mehr CO2 wären nach Berechnungen der Planfeststellungsbehörde mit dem Straßenausbau verbunden. Dörner und Krischer wollen erreichen, dass eine Brücke realisiert wird, die deutlich besser in die Stadt und in die Zeit passe. Bisher hält die Autobahn GmbH, die dem Bundesverkehrsministerium unterstellt ist, aber den ursprünglichen Ausbauplänen fest. Das Beispiel zeigt: Eine Neubewertung längst aus der Zeit gefallener Planungen und Projekte ist dringend notwendig.

Planungsbeschleunigung: Eine juristische Einordnung

Umweltjuristin Ursula Philipp-Gerlach ordnete die Vorschläge zur Planungsbeschleunigung juristisch ein und machte klar, dass ein Planfeststellungsverfahren wichtig sei, weil hier alle bisherigen Planungsschritte und Entscheidungen zusammengeführt und überprüft werden. Alle Themen, die bei komplexen Infrastrukturprojekten ausgeklammert werden, wie z. B. die Umweltverträglichkeitsprüfung, würden deshalb zu einer Entschleunigung und nicht zu einer Beschleunigung des Projektes führen, spätestens im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung.

Eine volkswirtschaftliche Einordnung

Im Anschluss erklärte Prof. Dr. Kai Nagel von der TU Berlin, dass die Priorisierung von Brückensanierungen wichtig sei, da volkswirtschaftlich betrachtet Menschen den Verlust des Status Quo als negativer wahrnähmen als sie einen Zugewinn positiv bewerteten. Das heißt: Die Sperrung einer Brücke wird als größere Einschränkung der eigenen Mobilität empfunden als die Eröffnung einer neuen Straße als Plus für die Mobilität betrachtet wird. Im Diskussionsverlauf prangerte er an, dass Zeitgewinne durch Straßenaus- und Neubau wesentlich stärker in die Kosten-Nutzen-Analyse von Bauvorhaben einfließen würden als die Klima und Umwelt-Belastung, die Straßenbauprojekte mit sich bringen. Auch gäbe es keine echte Vergleichbarkeit zwischen den Kosten-Nutzen-Analysen von Straße und Schiene, weshalb eine echte Alternativenprüfung von Projekten im aktuellen Bundesverkehrswegeplan nicht möglich sei.

Die Situation aus Ingenieurssicht

Sascha Steuer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der beratenden Ingenieure, zeigte auf, wie prekär die Fachkräftesituation bei den Ingenieuren ist. 60 Prozent seiner Mitgliedsunternehmen geben an, dass fehlende Ingenieure ihr Hauptproblem sind. Zwar sind durch den Einbruch im Wohnungsbau Planungskapazitäten frei geworden, aber für den Bau von Straßen oder Schienen sei einschlägiges Fachwissen notwendig, weshalb freie Kapazitäten nicht einfach verschoben werden könnten. In Bezug auf die Sanierung von Brücken bemängelte Steuer, dass die Autobahn GmbH als Auftraggeberin ihre Kapazitäten bisher nicht ausschöpfe. Einerseits sei die Anzahl der Ausschreibungen niedrig, andererseits seien die Anforderungen in den Ausschreibungen oft zu komplex oder zu unkonkret, was Firmen von einer Bewerbung abhielte. Durch vereinheitlichte Ausschreibungen sowie den Abbau bürokratischer Vorschriften könne Zeit eingespart werden, was einen beschleunigenden Effekt auf Bauvorhaben hätte.

Die Situation aus Sicht der Bauindustrie

„Auch wir brauchen funktionsfähige Brücken, um unsere Materialien zu transportieren“, konzertierte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Bauindustrie Tim Oliver Müller, zu Beginn seines Beitrags. Preissteigerungen hätten der Branche in der letzten Zeit zu schaffen gemacht,  allein der Preis für Beton sei um 25 Prozent gestiegen, alles in allem die Kosten für den Brückenbau um rund 30 Prozent. Weitere Preissteigerungen zwischen 6 und 8 Prozent erwarte die Branche in den kommenden Jahren. Das heißt, auch wenn im aktuellen Bundeshaushalt die Mittel für die Brückensanierung erhöht wurden, würden weitere Preissteigerungen die zusätzlichen Mittel aufzehren. Am Ende könnten nicht mehr Brücken in Stand gesetzt werden, sondern müssten höhere Rechnungen bezahlt werden. Nachvollziehbarerweise spricht sich die Bauindustrie nicht für eine reine Priorisierung der Brückensanierung aus. Auf dem Bau seien genug Arbeitskräfte vorhanden, um neben Brücken auch weiter Straßen zu bauen. Ob die Sanierung von Brücken aber noch schneller gehen würde, wenn man alle Kräfte darauf bündeln würde, blieb offen.

In der anschließenden Paneldiskussion mit den externen Fachexpert*innen und der grünen Bundestagsabgeordneten Susanne Menge, fragte Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Moderator der gesamten Veranstaltung, nach dem größten Beschleunigungspotenzial bei der Brückensanierung. Alle unterstrichen die Notwendigkeit besserer Abstimmung zwischen Vorhabenträger und den Genehmigungsbehörden und eine Digitalisierung der Verfahren. Hier gäbe es einige Bündelungsmöglichkeiten, die das mehrfache und langwierige Verschicken von Unterlagen überflüssig machen könnten. Die Planung von Ingenieurs- und Bau-Seite könnte an manchen Stellen besser aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt werden. Auch könnten an manchen Orten mehrere Brücken auf einem Streckenabschnitt als Genehmigungspaket gebündelt werden, wurde in der Runde vorgeschlagen.

In ihrem Schlusswort fasste die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden die wichtigsten Aspekte in einer eindrücklichen Analogie noch einmal zusammen: Niemand würde auf die Idee kommen, einen Anbau an seinem Haus zu machen, wenn das Dach ein Loch hätte und zuerst repariert werden müsste. Zusätzlich bedeute weiterer Aus- und Neubau von Straßen auch immer größeren Erhaltungsaufwand. Diesen steigenden Bedarf abzuarbeiten unter der Voraussetzung von steigenden Baukosten und Fachkräftemangel sowie eines fortschreitenden Klimawandels sei eine riesige Herausforderung.

Uhrzeit Programm
17.00

Begrüßung und politische Einführung

Katharina Dröge MdB
Fraktionsvorsitzende
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

Brückensanierung 2022: Eine Bestandsaufnahme

Oliver Luksic MdB

Parlamentarischer Staatssekretär
Bundesministerium für Digitales und Verkehr

Vor Ort: Der „Tausendfüßler“ in Bonn
Katja Dörner
Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn

Planungsbeschleunigung: Eine juristische Einordnung
Ursula Philipp-Gerlach
Rechtsanwältin
Philipp-Gerlach & Teßmer Rechtsanwälte

Brückensanierung zur Priorität machen: Eine volkswirtschaftliche Einordnung

Prof. Dr. Kai Nagel
Lehrstuhl Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik
Technische Universität Berlin

Planungskapazitäten: Die Situation aus Ingenieurssicht

Sascha Steuer
Hauptgeschäftsführer
Verband Beratender Ingenieure VBI

Baukostensteigerung: Die Situation aus Sicht der Bauindustrie

Tim Oliver Müller
Hauptgeschäftsführer
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

Paneldiskussion mit

Susanne Menge, MdB
Berichterstatterin BVWP
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

Moderation: Stefan Gelbhaar MdB
Sprecher für Verkehr
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

Schlusswort: Dr. Julia Verlinden MdB
Stellv. Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

18.30 Ende der Veranstaltung