28 Apr 2023

Hybrides Fachgespräch Wirksamer Schutz vor normangleichenden Eingriffen an Kindern

  • Die geschlechtliche Selbstbestimmung ist ein wichtiger Bestandteil der eigenen Persönlichkeit, die insbesondere im Kindesalter besonderen Schutz bedarf. Der wirksame Schutz vor normangleichenden Eingriffen ist uns deshalb ein wichtiges Anliegen.
  • Das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung wurde 2021 mit erheblichen Defiziten verabschiedet, die sich nun auch in seiner praktischen Umsetzung niederschlagen.
  • Wir möchten die Umgehungsmöglichkeiten im Gesetz dem Koalitionsvertrag entsprechend möglichst bald schließen und den Schutz der betroffenen Kinder gewährleisten.

Medizinische Eingriffe an Kindern, die lediglich mit dem Ziel der Angleichung an binäre Geschlechtsnormen erfolgen, beschneiden das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung empfindlich. Deshalb setzen wir Grüne im Bundestag uns schon seit vielen Jahren für einen wirksamen Schutz von Kindern vor normangleichenden Behandlungen ein. 2021 trat das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung in Kraft. Dies war ein erster richtungsweisender Schritt zum Schutz vor normangleichenden Eingriffen, wurde allerdings in seiner konkreten Ausgestaltung von umfassender Kritik begleitet.

Umgehungsmöglichkeiten entfernen

Als Ampel-Koalition haben wir vereinbart, auf diese Kritik aus der vergangenen Wahlperiode zu reagieren und Umgehungsmöglichkeiten im Gesetz zu beseitigen. Deshalb wollten wir uns zunächst ein Bild davon machen, wie sich die Situation seit Inkrafttreten des Gesetzes in der Praxis entwickelt hat. Hierfür haben wir Expert*innen aus verschiedenen Bereichen eingeladen: Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive berichtete Prof. Katharina Lugani von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, weiterhin gewährte Prof. Olaf Hiort vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Einblick in die medizinische Situation und Anjo Kumst von Intergeschlechtliche Menschen e.V. berichtete aus der Beratungspraxis.

Durch die Expert*innen wurde die im Gesetzgebungsverfahren schon vielfältig geäußerte Kritik untermauert. Hier sind beispielhaft zu nennen der Anwendungsbereich der Schutznorm aufgrund medizinischer Diagnose, welcher ein missbräuchliches oder versehentliches „Herausdiagnostizieren“ ermöglicht, die insgesamt komplizierte Systematik der Norm, die fehlenden Vorgaben für den Fall der Einwilligungsfähigkeit des Kindes sowie diverse Unklarheiten im Zusammenhang mit der Entscheidung der im Gesetz vorgesehenen interdisziplinären Kommissionen.

Austausch der Expert*innen

Vertieft wurde über die Arbeit dieser Kommissionen gesprochen. Hier wurde von den Erfahrungen in den für entsprechende Fälle entwickelten Kompetenzzentren berichtet, in denen ein großer Teil der Kommissionsbildungen stattfindet und die fachliche Arbeit der Kommissionen eng begleitet wird. Die Kompetenzzentren böten demnach Gewähr für die Expertise der eingesetzten Fachpersonen. In diesem Zusammenhang wurde aber auch bemängelt, dass das Gesetz mit dem Einsatz von interdisziplinären Kommissionen bei Inkrafttreten nicht existente Strukturen voraussetzte, die nunmehr erst langsam entwickelt würden.

Kritik an Gesetzeslücken

Außerdem wurde beanstandet, dass das Gesetz keine Regelung hinsichtlich der Kostentragung der interdisziplinären Kommission vorsehe. Weiterhin bestünden verschiedene Unsicherheiten hinsichtlich der Entscheidungen in der Kommission: So sei unklar, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Mehrheitsmodus eine Stellungnahme befürwortend sei. Als neues Problem wurde der Umgang mit konkurrierenden Stellungnahmen identifiziert sowie die Tatsache, dass das Gesetz für diese Situation keine Regelung vorsehe. Demnach könnten mehrere Stellungnahmen verschiedenen Inhalts eingeholt werden und insofern das gewünschte Ergebnis erzielt werden, was den Schutz der davon betroffenen Kinder aushöhle.

Ein weiteres Thema war die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des betroffenen Kindes. Hier wurden einerseits Probleme angesichts der teilweise unsicheren Kriterien identifiziert. Weiterhin wurde die Schwierigkeit angesprochen, dass bei Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit keine Begleitung des Kindes mehr vorgesehen sei – auch hier könnte eine Peer-Beratung die informierte Entscheidung unterstützen.

Insgesamt zeigt die erfreuliche große Teilnahme an dem Fachgespräch, dass dieses Thema inzwischen eine gewisse Sichtbarkeit erlangt hat. Wir werden nun im Austausch mit den Verbänden bleiben und innerhalb der Ampel-Koalition auf die Reform des Gesetzes pochen.

Uhrzeit Programm
15.00

Begrüßung

Tessa Ganserer MdB
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

Helge Limburg MdB
Sprecher für Rechtspolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion


Grußwort

Ulle Schauws MdB
Sprecherin für Queerpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

15.20

Input 

Prof. Dr. Katharina Lugani
Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Privat- und Verfahrensrecht
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Olaf Hiort
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Anjo Kumst
Intergeschlechtliche Menschen e.V.

16.15 Pause
16.45

Podiumsdiskussion

Prof. Dr. Katharina Lugani
Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Privat- und Verfahrensrecht
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Olaf Hiort
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Anjo Kumst
Intergeschlechtliche Menschen e.V.

18.00 Ende