Dauerbaustelle Bahn? Wie eine verlässliche Finanzierung gelingt
Veranstaltungsdetails
Über die Veranstaltung
Über Jahrzehnte wurden Straßen massiv ausgebaut, während das Schienennetz geschrumpft wurde. Zahlreiche Strecken wurden stillgelegt und vielfach entwidmet. Das verbliebene Netz wurde in seiner Leistungsfähigkeit zusätzlich geschwächt, indem Weichen entfernt und Überholgleise zurückgebaut wurden. Gleichzeitig fahren heute so viele Züge wie nie zuvor auf diesem Netz. Hinzu kommt ein enormer Sanierungsbedarf.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Sanierung, Aus- und Neubau der Schieneninfrastruktur künftig finanziert werden können. Welche Alternativen gibt es zu den jährlichen Haushaltsplanungen, die weder Finanzierungssicherheit bieten noch ausreichend Flexibilität beim Mitteleinsatz ermöglichen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des digitalen Fachgesprächs. Über 80 Gäste waren zugeschaltet und beteiligten sich aktiv an der Diskussion.
Andreas Geißler (Allianz pro Schiene) machte deutlich, dass das Schienennetz über Jahrzehnte unterfinanziert worden sei, während die Nachfrage stark gestiegen sei. Die Folgen seien Überlastung und ein zunehmend unzuverlässiger Betrieb. Zwar sei der Investitionsanstieg der letzten Jahre ein großer politischer Erfolg, er reiche jedoch nicht aus. Neben zusätzlichen Mitteln brauche es klare politische Ziele und eine Leitstrategie des Bundes. Der Deutschlandtakt sei ein wichtiger Bestandteil einer solchen Strategie, es fehle jedoch an einer verbindlichen Umsetzung und an einer schrittweisen Konkretisierung der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen. Zentrale Frage sei, welches Netz langfristig entwickelt werden solle.
Für die Finanzierung sprach sich Geißler für einen Fünfjahreshorizont aus, bei dem das letzte Jahr rollierend angepasst wird. Erhalt und Ausbau müssten gemeinsam betrachtet werden. Effizienz könne nur erreicht werden, wenn klar definiert sei, welche Projekte in welchem Zeitraum umgesetzt werden sollen.
Philipp Kosok (Agora Verkehrswende) stellte Ergebnisse einer aktuellen Studie seines Thinktanks zur klimaneutralen Mobilität vor. Diese zeige, dass das Sondervermögen allein nicht ausreiche, um den Investitionsbedarf der Schiene zu decken. Sowohl für den Erhalt als auch für den Ausbau würden deutlich mehr Mittel benötigt. Allein bis 2030 belaufe sich der zusätzliche Bedarf auf rund 37 Milliarden Euro. Vorgeschlagen wurden verschiedene Finanzierungsinstrumente, darunter Einnahmen aus der Lkw-Maut, Mittel aus dem Bundeshaushalt – auch aus dem Verteidigungshaushalt –, Kredite sowie umweltbezogene Anteile einer mittelfristig einzuführenden Pkw-Maut. Privates Kapital sei aufgrund hoher Finanzierungskosten nur eingeschränkt geeignet. Kosok plädierte für die Einrichtung eines Schienenfonds.
Zudem sei es notwendig, die Infrastruktur konsequent am Deutschlandtakt auszurichten, die Schiene gegenüber der Straße zu priorisieren und eine klare Eigentümerstrategie des Bundes für die Deutsche Bahn zu entwickeln.
Dr. Frank Schley (unabhängiger Berater für Bahnfinanzierung und Regulierung) verglich die deutsche Situation mit den Finanzierungsmodellen in Österreich und der Schweiz. Beide Länder verfügten über deutlich verlässlichere Systeme. In der Schweiz werde die Schieneninfrastruktur über einen Fonds finanziert und durch staatliche Garantien abgesichert. Sowohl Österreich als auch die Schweiz setzten auf kapitalbasierte Infrastrukturfinanzierungen und aktivierten die Infrastruktur über Abschreibungen in der Bilanz. Die Trassenpreise orientierten sich dort an den Grenzkosten mit Aufschlägen. Den deutschen Anspruch auf Vollkostendeckung hielt Schley für ungeeignet. Er sprach sich für eine grundlegende Reform des Trassenpreissystems aus und betonte, dass Regulierung und Finanzierung zusammen gedacht werden müssten. Entscheidend sei dabei vor allem der rechtliche Rahmen, weniger die konkrete Finanzierungsform.
Dr. Paula Piechotta MdB, Mitglied des Haushaltsausschusses, betonte, dass auch andere Finanzierungsformen als Fonds denkbar seien, um eine verlässliche Finanzierung sicherzustellen. Kritisch bewertete sie, dass das Sondervermögen nicht konsequent in voller Höhe für die Infrastruktur eingesetzt werde. Da jedoch ein großer Teil noch nicht verplant sei, bestünden weiterhin Spielräume für ein Umsteuern zugunsten der Schiene. Das Sondervermögen könne bis 2035 stabile Finanzierungsperspektiven eröffnen. Voraussetzung dafür sei jedoch ein möglichst breiter politischer Konsens über die Rolle der Schiene und über die Prioritäten bei der Mittelverwendung. Eine solche Einigkeit fehle bislang, anders als etwa in Österreich und der Schweiz. Zudem bestehe ein erhebliches Vertrauensdefizit zwischen Bundestag und Deutscher Bahn. Die Holdingstruktur der DB erschwere Transparenz, und Großprojekte wie Stuttgart 21 hätten zusätzlich Vertrauen beschädigt. Notwendig seien wirksamere Aufsichtsräte und eine klarere Steuerungslogik.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum spielte der Deutschlandtakt eine zentrale Rolle. Er wurde als wesentliches Instrument zur Kapazitätssteigerung beschrieben und ausdrücklich nicht nur als Mittel zur Fahrzeitverkürzung. Mit dem Deutschlandtakt werde erstmals das Gesamtnetz systematisch betrachtet, statt einzelne Aus- oder Neubauprojekte isoliert zu planen.
Matthias Gastel MdB, Mitglied im Verkehrsausschuss, zog im Schlusswort ein Fazit der Diskussion. Er betonte, dass der Deutschlandtakt der Schlüssel sei, um Infrastruktur und Fahrplan gemeinsam zu denken und systematisch ein leistungsfähiges Schienennetz zu entwickeln. Angesichts des hohen Sanierungsbedarfs und der steigenden Nachfrage sei es dringend notwendig, die Umsteigequalität und die Zuverlässigkeit zu erhöhen und langfristig verlässliche, attraktive Angebote zu schaffen. Ziel bleibe eine Bahn, auf die sich die Menschen wieder verlassen können und auf die sie stolz sein können.
Veranstaltung war der letzte Teil der dreiteiligen Reihe „Bahn“
04.11. “Entspannt ankommen: Wie die Bahn wieder verlässlich wird” Zum ersten Termin stehen die Fahrgäste im Mittelpunkt.
20.11. “Liefern statt stehen: Zukunft des Schienengüterverkehrs”
Güterverkehr und Industrie sind Inhalt des zweiten Fachgesprächs.
02.12. “Dauerbaustelle Bahn? Wie eine verlässliche Finanzierung gelingt”
Um die Finanzierung der Schieneninfrastruktur wird es beim dritten Termin gehen.
- Veranstalter
FB 2-Koordinationsbüro (Ökologie)
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
TEL 030/227 59406
fachbereich2@gruene-bundestag.de
Programm
Begrüßung
Matthias Gastel MdB
Sprecher für Bahnpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Kurzinputs
Dr. Andreas Geißler
Leiter Verkehrspolitik
Allianz pro Schiene
Philipp Kosok
Projektleiter Öffentlicher Verkehr
Agora Verkehrswende
Dr. Frank Schley
Unabhängiger Consultant
Schley Consult GmbH
Dr. Paula Piechotta
Mitglied im Haushaltsausschuss
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Offene Diskussion und Fragerunde
Moderation: Matthias Gastel MdB
Zusammenfassung und Abschluss
Ende der Veranstaltung