Konferenz Strategien gegen Verschwörungsideologien und Desinformation
- Gesellschaftliche Krisen und Zeiten der Unsicherheit, wie sie die Corona-Pandemie oder der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine mit sich bringen, sind immer ein Nährboden für bewusst lancierte Desinformationen und krude Verschwörungsideologien.
- Um über diese Phänomene zu diskutieren und Gegenstrategien zu entwickeln, lud die grüne Bundestagsfraktion zu einer Konferenz in den Deutschen Bundestag, an der am 18. November 2022 etwa 300 Menschen teilgenommen haben.
- Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Desinformation eine ernste Gefahr für unsere Demokratie darstellt. Denn Rechtsextremismus, Antisemitismus und teils krude Verschwörungsideologien haben sich bis tief in die Mitte unserer Gesellschaft verbreitet. Dem müssen wir auf allen Ebenen und mit aller rechtsstaatlichen Entschlossenheit begegnen.
Impressionen der Konferenz
In seiner Eröffnungsrede begrüßte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Dr. Konstantin von Notz MdB die Anwesenden. Er unterstrich die reale Bedrohung, die Verschwörungsideologien und intransparente Einflussnahme auf gesellschaftliche Diskurse darstellen mit dem Ziel Spaltung der Gesellschaft. Das vor kurzem noch Unsagbare werde nach und nach sagbar. Zwar hätte es Propaganda und Desinformation immer gegeben, aber nicht in dieser Qualität und Quantität wie jetzt. Anschließend stellte er selbstkritisch fest, dass die politisch Verantwortlichen die Dimension des Problems klar verkennt hatten. Bis heute haben ist es beispielsweise nicht gelungen, die Social-Media-Plattformen angemessen mit rechtsstaatlichen Mitteln zu regulieren. Und das betrifft sowohl die lückenhafte Gesetzgebung als auch Probleme bei der Rechtsdurchsetzung. Zudem betonte er die internationale Dimension dieser Problematik. Der Krieg Putins gegen die Ukraine zeige deutlich, dass Desinformation eine moderne Form der Kriegsführung geworden sei. Abschließend zeigte sich von Notz dennoch hoffnungsvoll. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, starke Wissenschaft und lebhafte Zivilgesellschaft könnten sich wirksam gegen Verschwörungsideologien und Desinformation entgegenstellen. Noch sei es nicht zu spät.
Marina Weisband, Netzexpertin, Politikerin und Publizistin warnte in ihrer Keynote, dass Verschwörungserzählungen Demokratie untergraben und zu Gewalt führen können. Desinformation solle eine Atmosphäre der Verwirrung schaffen. Ihr Ziel ist es nicht, dass Menschen etwas glauben, sondern, dass sie an nichts glauben. Das Fehlen eines Minimalkonsenses sei aber für eine Demokratie tödlich. Kern fast jeder Verschwörungserzählung seien zudem antisemitische Mythen, was sich seit Jahrhunderte nicht geändert hätte. Sie analysierte anschließend die politischen Akteur*innen, die sie verbreiten, sowie die Mechanismen, wie sie verbreitet werden. In einer Welt mit multiplen Krisen, die immer komplexer werde, fühlten viele Menschen Kontrollverlust und Abstiegsängste. Einfache Geschichten würden ihnen helfen, die Welt zu „verstehen“. Angesichts „erlernter Hilfslosigkeit“ und erlebter Frustration suchten Menschen nach Gemeinschaft und Verschwörungserzählungen erfüllten dieses Bedürfnis.
Darauf aufbauend stellte Weisband eine Reihe von Handlungsempfehlung vor An staatliche Stelle appellierte sie, bestimmte Verschwörungscodes zu erkennen, Subkulturen zu beobachten, Aussteiger*innen schützen und nicht zuletzt Opfern zu glauben. Niemand wisse mehr über diese Phänomene als marginalisierte Gruppen, die damit tagtäglich konfrontiert seien. Zudem bräuchte es eine verstärkte Regulierung der Social-Media-Plattformen. Dabei müssten Inhalte besser moderiert werden, müsse es Online-Anlaufstellen für Betroffene geben, das NetzDG vernünftig umgesetzt und das geltende Recht besser durchgesetzt werden. Schließlich brauchten wir mehr öffentliche Digitalräume, jenseits kommerzieller Unternehmen sowie Interoperabilität zwischen den beiden Plattformarten.
Der US-amerikanische Aktivist und Executive Director von Reset, Dr. Ben Scott warnte vor digitaler Desinformation, die sich vom Tag zu Tag verschärft. Dies führe dazu, dass wir von einem gemeinsamen Verständnis der Realität abgekoppelt seien. Immer mehr Menschen hätten kein Vertrauen in die Wissenschaft und - was besonders besorgniserregend sei - nähmen Gewalt als akzeptable Lösung für politische Probleme hin. Das sei aber keine natürliche Entwicklung, sondern stelle einen Paradigmenwechsel in den Massenmedien dar. Zum einen stünden uns immer mehr Informationsquellen zur Verfügung. Zum anderen entschieden immer öfter die Big-Tech-Plattformen, woher wir Informationen bekämen. Sie verursachten zwar die sozialen und wirtschaftlichen Konflikte nicht, aber sie verschärften sie. Schuld daran sei ihr Geschäftsmodell. Die Aufmerksamkeitsökonomie dominiert, wofür sich Hetze, Verschwörungsideologien und andere extreme Inhalte am besten eigneten. Scott wies außerdem auf die Desinformationskampagnen aus dem Ausland, insbesondere aus Russland und China hin. Autokratische Staaten nutzten digitale Manipulation als Instrument der Staatsmacht. Dagegen müssten wir Regeln und Standards für Technologieunternehmen setzen, da auch sie Verantwortung gegenüber Gesellschaft hätten. In diesem Kontext lobte er deutsche und europäische Gesetzgebung, betonte aber zugleich die Wichtigkeit deren wirksamer Durchsetzung.
Im danach folgenden Zwiegespräch diskutierte Lamya Kaddor MdB, die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, mit Pia Lamberty, Co-Geschäftsführerin von CeMAS, darüber, was die Anziehungskraft von Verschwörungsideologien überhaupt ausmacht, ob es wirklich einen Peak von Verschwörungsideolog*innen gibt, oder ob die Forschung nur endlich genauer hinschaut. Eine wichtige Frage war auch, wie wir von politischer Seite reagieren können und müssen, um nicht nur extremistische Bestrebungen und Verschwörungsideologien zu bekämpfen, sondern auch, um ein sicheres Gerüst für die Menschen zu schaffen, die demokratische Arbeit leisten, beraten und unterstützen. Zwar werde es immer Menschen geben, die gegen andere hetzen und versuchen, sich so zu profilieren. Die Politik könne aber insbesondere mittel- und langfristig aufklären und reagieren, die politische Bildung stärken, Medienkompetenz fördern, stärker gegen Hatespeech im Netz vorzugehen und die wichtige Arbeit zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung nachhaltig absichern und fördern. Dafür wird demnächst das seit langem geforderte Demokratiefördergesetz auf dem Weg gebracht.
In seinem kurzen Statement wies der Pianist, Igor Levit auf die Ambivalenz der sozialen Medien hin. Sie seien einerseits eine große Chance, andererseits stellten sie enorme Risiken und Gefahren dar. Alles sei dort möglich. Mit einem Klick könnte man Leben von Menschen gefährden. Auf der individuellen Seite müssten wir dann helfen. Schweigen sei keine Option. Aber es gebe auch die strukturelle Dimension dieses Problems. Dass so viel Macht bei wenigen Individuen oder Unternehmen liege, sei eine Gefahr für nationale und internationale Sicherheit. Am Ende seiner Videobotschaft wandte sich Levit an die Politiker*innen mit der entscheidenden Frage, was sie dagegen unternehmen möchten.
Katharina Nocun, Autorin, Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin betonte in ihrem Impulsvortrag , Verschwörungsideologien dockten geschickt an psychische Bedürfnisse an. Zudem spalteten sie Familien und Freund*innen, weil sie in Zeiten der Krisen ein attraktives Angebot seien. Sie verliehen das Gefühl der Einzigartigkeit. Daher sei es entscheidend, wie die Gesellschaft auf Krisen reagiert. Nocun kritisierte, dass Esoterik, als möglicher Einstieg in Verschwörungsideologien unterschätzt werde, und das gerade beim Thema Gesundheit. Dazu seien diese Ideologien ein Radikalisierungsbeschleuniger. Mit solchen Narrativen werde u.a. Gewalt legitimiert. Sie griffen auch die Meinungsfreiheit ein, da manche angesichts verschiedener Bedrohungen immer mehr Angst haben sich zu äußern oder für öffentliche Ämter zu kandidieren.
Verschwörungsideologien seien zudem ein Instrument politischer Destabilisierung. Es gebe Akteur*innen, die subtil arbeiten, um Misstrauen gegenüber Institutionen aber auch der Wissenschaft zu verbreiten. Ziel dabei sei es, die Gesellschaft zu spalten und sie damit zu schwächen. Deshalb müssten wir mehr Geld in Bildung stecken, damit Menschen diese Mechanismen erkennen. Technik hingegen werde das Problem alleine nicht lösen, weil sie nicht allein die Ursache sei. Wir bräuchten vielmehr gesellschaftliche rote Linien und müssten unsere Werte und Normen gegenüber ihrer Gegner*innen verteidigen.
Danach fand das zweite Zwiegespräch zwischen Konstantin von Notz und Thomas Haldenwang statt. Beide Diskutanten beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem breiten Themenfeld. Haldenwang als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutzes (BfV), des deutschen Nachrichtendienstes, der u.a. für den Schutz unserer Verfassung im Inland und die Spionageabwehr zuständig ist und Konstantin von Notz als grüner Innenpolitiker und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), das die Arbeit der Nachrichtendienste kontrolliert. Während des Gesprächs waren sie sich darin einig, dass es dringend notwendig sei, die „wehrhafte Demokratie“ angesichts neuer sicherheitspolitischen Bedrohungen entschlossen aufzustellen. Selbstkritisch, so Thomas Haldenwang, hätten die Sicherheitsbehörden die Gefahren nicht immer frühzeitig genug im Blick gehabt. Heute sei man sich der Dimension der Problematik aber bewusst und vergleichsweise gut aufgestellt. Diesen Eindruck bestätigte Konstantin von Notz: Während man über Jahre vergebens, auch auf höchster politischer Ebene versucht habe, das Thema als solches zu adressieren und auf die Notwendigkeit politischer Handlungen zum Schutz von Individuen und Demokratie aufmerksam zu machen, gäbe es heute eine spürbar andere Sensibilität. Ein solches Umdenken sei jedoch angesichts der ernsthaften Bedrohungslagen auch dringend notwendig gewesen. Weiterhin bedürfe es unter anderem besserer Strukturen zur Erkennung und Abwehr hybrider Bedrohungen und ein deutliches Vorgehen gegenüber den Staaten, die derart unverhohlen agieren. Gleichzeitig dürften Dinge wie die rechtsstaatliche Regulierung großer digitaler Plattform nicht aus dem Blick geraten, die immer wieder als bewusst eingesetzter „Brandbeschleuniger“ wirkten.
Nach der Mittagspause trat Hanna Veiler, Vizepräsidentin der Jüdischen Studierenden-Union mit einem sehr persönlichen Poetry Slam auf, in dem sie ihre Geschichte als Jüdin in Deutschland thematisierte. Danach folgten sechs parallele Workshops zu verschieden Aspekten rund um Verschwörungsideologien.
Workshop 1: „Antisemitismus als verbindendes Narrativ von Verschwörungsideologien“
Zusammen mit Tom Uhlig, Mitherausgeber Freie Assoziation - Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie und freiem Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank, hat sich Marlene Schönberger MdB der Frage angenähert, warum es sich bei Verschwörungsideologien um eine antisemitische Denkform handelt. Die Verschwörungsideologien, die wir in der Gegenwart beobachten, seien keineswegs ein neues Phänomen. Viele Narrative stammten bereits aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit. Spätestens seit der Französischen Revolution lasse sich ihre antidemokratische und menschenfeindliche Wirkung beobachten.
Antisemitismus sei die älteste Verschwörungsideologie der Welt. Und vice versa seien fast alle Verschwörungsideologien, auch die zeitgenössischen, zumindest ihrer Struktur nach antisemitisch: Egal wer als die verschwörerische Gruppe benannt werde, über kurz oder lang landete man dabei, dass angeblich Jüdinnen*Juden hinter allem steckten. Diese würden mittels altbekannter, austauschbarer Chiffren benannt. Chiffrierter, latenter und codierter Antisemitismus sei dabei eine Form der Umwegkommunikation nach der Shoa. Bilder und Stereotype aus dem klassischen Antisemitismus, wie in den sog. „Protokollen der Weisen von Zion“ tauchten auch in zeitgenössischen Verschwörungsideologien immer wieder auf: So würden zum Beispiel internationale Organisationen als nahezu allmächtig, habgierig, kosmopolitisch, abgrundtief böse und abstrakt beschrieben. Doch schon im Grundnarrativ von Verschwörungsideologien steckte der strukturelle Antisemitismus: Eine kleine, mächtige Clique lenke angeblich das Weltgeschehen zu ihrem eigenen Vorteil. Komplexe abstrakte Phänomene, wie z.B. der Kapitalismus oder eine Pandemie, würden durch diese Struktur personalisiert und konkretisiert.
Workshop 2: „Verschwörungsideologien als Strategie der Rechtsextremen im Netz"
Misbah Khans MdB Workshop „Verschwörungsideologien als Strategie der Rechtsextremen im Netz“ startete mit einer Einführung von Miro Dittrich, Senior Researcher am „CeMAS - Center für Monitoring, Analyse und Strategie“, der die Allgegenwärtigkeit verschwörungsideologischer Elemente innerhalb rechtsextremer Weltbilder darstellte. Wenn es um Verschwörungsgläubige und Rechtsextremisten gehe, sollten gerade auch die Sicherheitsbehörden die bestehenden Schnittmengen deutlich stärker in den Blick nehmen. Denn die Aufladung des politischen Gegners in Verschwörungsideologien als das ultimativ Böse könne sehr schnell zur Grundlage werden, um Gewalt zu legitimieren. Laut Miro Dittrich lasse sich beobachten, wie rechtsextreme Akteure verschwörungsideologische Narrative gezielt nutzen, um breite Teile der Bevölkerung zu erreichen – und diese Strategie sei durchaus erfolgreich, denn laut aktueller Studien sei der Glaube an Verschwörungsideologien deutlich verbreiteter als ein geschlossen-rechtsextremes Weltbild.
Wie anschlussfähig ein verschwörerisches Raunen um eine konkrete Person des öffentlichen Lebens gerade auch im digitalen Raum sein könne, stellte im Anschluss Josephine Ballon, Head of Legal der Beratungsstelle bei digitaler Gewalt „Hate Aid“, dar. Anhand der Beispielfälle von Annalena Baerbock und Luisa Neubauer wurde deutlich, dass es häufig die Falschbehauptungen und nicht die Gegendarstellungen sind, die bei vielen Menschen im Kopf bleiben – und damit seien beispielsweise Falschzitate durchaus dazu geeignet, Zweifel an der Kompetenz oder der Glaubwürdigkeit des politischen Gegners zu säen. Und dies zählte explizit zu den Strategien der so genannten Neuen Rechten. Somit konnte der Workshop den Kreis hier wieder schließen.
In der Diskussion ging es anschließend unter anderem um die Rolle des Antisemitismus als verbindendes Element vieler Verschwörungsideologien, um divers besetzte Plattformräte für Social Media-Plattformen wie auch darum, welche Chancen Gespräche im privaten statt im öffentlichen Raum bieten, um Menschen Alternativen zu Verschwörungsideologien aufzuzeigen.
Workshop 3: „Rassismus und Verschwörungsideologien"
Prof. Dr. María do Mar Castro Varela (Alice Salomon Hochschule) wies darauf hin, dass rassistische Narrative kein neues Phänomen seien, sondern weit zurückreichten. Als Beispiel nannte sie anti-asiatische, rassistische Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert. Zudem könne man in Zeiten allgemeiner Unsicherheit – gerade auch im Kontext von Pandemien - eine Zunahme rassistischer Erzählungen beobachten.
Simone Rafael (Amadeu Antonio Stiftung) betonte, dass Verschwörungsideologien die Triebkraft seien, die rassistische Narrative so gefährlich machten. Sie schafften vermeintliche Bedrohungsszenarien und Feindbilder, um „Notwehr“ zu legitimieren. Eine zentrale Erzählung sei dabei die angeblich von Eliten gesteuerte Migration, mit dem Ziel des „großen Austauschs“ der „Völker“ Europas. Halle und Hanau, aber auch andere rechtsterroristische Taten bezögen sich hierauf.
Im Laufe der von Schahina Gambir MdB moderierte Diskussion wurde damit klar, dass Rassismus zentraler Bestandteil von Verschwörungsideologien ist. Er sei bis in die Mitte unserer Gesellschaft verbreitet und deshalb anschlussfähig. Viel zu oft bleibe bei rassistischen Taten der große gesellschaftliche Aufschrei aus. Das bestärke Menschen, die an Verschwörungen glauben, darin, sie stünden für eine schweigende Mehrheit. Bei der Entwicklung von Gegenstrategien sei es daher hilfreich, gezielte Maßnahmen gegen Rassismus in den Blick zu nehmen. Die von rassistischer und rechtsterroristischer Gewalt Betroffenen und Bedrohten müssten wir unterstützen und besser schützen.
Workshop 4: „Ein schmaler Grat: Der Diskurs im Netz zwischen Desinformation und Meinungsfreiheit“
Die Bedeutung der sozialen Netzwerke für den Meinungsbildungsprozess war das Thema des nächsten Workshops. Mit dem Digital Services Act (DSA) - verbunden mit dem Verhaltenskodex zu Desinformation - ist kürzlich ein EU-weites Gesetz in Kraft getreten, dessen Auswirkungen auf den Meinungsbildungsprozess es zu diskutieren galt. Der Einladung von Tabea Rößner MdB, Vorsitzende des Digitalausschusses, folgten Sabine Frank (Head of Governmental Affairs and Public Policy YouTube), Christian Mihr (Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen) und Prof. Dr. Christoph Fiedler (Professor für Medienrecht Universität Leipzig und Geschäftsführer des Medienverbandes MVFP und Chairman Legal Affairs des EMMA).
Einig war sich die Runde darin, dass gegen illegale Inhalte konsequent vorgegangen werden muss. Bedenken wurden hinsichtlich rechtmäßiger Inhalte im Netz, die von den Plattformen gelöscht werden, geäußert. Die Gefahr des Overblockings auf Grundlage des DSA genauso wie nach den Community Standards der Plattformen sei gegeben. Die Diskussion erinnerte an die Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in Deutschland, das größtenteils vom DSA abgelöst wird. Dem wurde entgegnet, dass der DSA und der Entwurf des European Media Freedom Acts eine Reihe prozeduraler Sicherungsmaßnahmen einführten. Offen zeigte sich die Runde für Maßnahmen zum Hervorheben journalistischer Inhalte auf den Plattformen.
Beispielsweise erarbeitete die Journalist Trust Initiative Transparenzkriterien bezüglich redaktioneller Arbeitsweisen, an denen Medien sich freiwillig messen lassen können. Zur Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit dürften solche Standards aber nicht von staatlichen Institutionen festgelegt werden. Die rege Beteiligung an dem Workshop und die Diskussion mit dem sehr kenntnisreichen Publikum zeigte auf, dass der schmale Grat einer Regulierung zur Wahrung eines freiheitlichen Meinungsbildungsprozesses noch weiterer Vertiefung und Debatten bedarf.
Workshop 5: „Religiös begründeter Extremismus: Die islamistischen Narrative“
Im weiteren Workshops mit Herrn Dr. Walkenhorst, wissenschaftlicher Leiter von modus|zad und Leiter vom Fachbereich Wissenschaft beim Violence Prevention Network, tauschte sich Lamya Kaddor MdB darüber aus, auf welche Narrative der Islamismus aufbaut, wie islamistische und salafistische Akteure YouTube erfolgreich für ihre Zwecke instrumentalisieren und wie Extremist*innen und Islamist*innen am besten von gesellschaftlicher und politischer Seite her begegnet werden sollte. Interessant war zu erfahren, wie sich Islamist*innen von anderen Phänomenbereichen abgrenzen – aktuelle politische Themen, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder die Corona-Pandemie, würden eher selten aufgegriffen, übergeordnetes Narrativ sei häufig „der Staat“ gegen „den Islam“ – und wie Islamismus Muslimfeindlichkeit in der Gesellschaft beeinflusste und förderte. Wichtig sei jedoch, immer zu unterscheiden: denn es gebe nicht den oder die Islamist*in und genau wie in allen anderen Religionen, ließen sich Muslim*innen nicht einfach über einen Kamm scheren, denn es gebe immer Religiöse und Fanatiker*innen.
Workshop 6: „Queerfeindlichkeit und Anti-Gender Narrative in Verschwörungsideologien“
Zusammen mit der Soziologin und politischer Bildnerin Rebekka Blum hat Ulle Schauws MdB im Workshop über die Queerfeindlichkeit und Anti-Gender Narrative in Verschwörungsideologien diskutiert. Blum hat in ihrem Input zu Beginn der Veranstaltung den Antifeminismus als ein vielfältiges Phänomen definiert, das als Gegenbewegung zu feministischen, emanzipatorischen und gleichstellungspolitischen Errungenschaften, Forderungen und Liberalisierungen im Bereich von Geschlecht und Sexualität zu verstehen sei. Die Verschwörungserzählungen zeichneten sich dadurch aus, dass im Denken ihrer Anhänger*innen nichts durch Zufall geschieht, und alle medizinischen, politischen und gesellschaftlich bedeutsamen Entwicklungen würden als sinnhaft miteinander verbunden gesehen. Dabei werde oft einer Gruppe personalisierend gesellschaftliche Macht unterstellt und behauptet, sie sei für gesellschaftliche Prozesse verantwortlich.
Konkret bedeutet das, dass Überschneidungen zwischen Antifeminismus und Verschwörungsdenken im Ablehnen pluralistischer Lebensverhältnisse, der Komplexitätsreduktion, dem Sündenbock-Denken sowie breiten Bündnisfähigkeiten lagen. Man könne ebenfalls postulieren, dass antifeministisches Weltbild (Denken in Binaritäten) als Nährboden für Verschwörungsdenken agierte.
In der lebhaften Diskussion hat man sich abschließend über die Lösungsansätze wie Aufklärungsarbeit, Engagement im Bildungsbereich sowie persönliche Begegnungen ausgetauscht.
Am Ende unserer Tagung diskutierte Marcel Emmerich, Obmann im Innenausschuss, mit Stephan Kramer, Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen, und Timo Reinfrank, Vorstand der Amadeu-Antonio-Stiftung, über Gefahren von Verschwörungsideologie für innere Sicherheit und Zivilgesellschaft. Zentrales Thema hierbei war die neue Kategorie der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates, mit der der Verfassungsschutz die Querdenker*innen und ähnliche Phänomene zu erfassen versucht. Gemeinsam konnte dabei herausgearbeitet werden, dass es sich um eine komplexe, heterogene Szene handelt, die jedoch viele und sich verstärkende Schnittmengen mit dem Rechtsextremismus habe.
In ihrem Schlusswort fasste Lamya Kaddor die diskutierten Themen kurz zusammen und betonte, dass antidemokratische, extremistische und verschwörungsideologische Tendenzen nichts Neues seien. Zurzeit würden sie aber sichtbarer, weil Medien und unsere Gesellschaft sensibler geworden seien. Wichtig dabei sei es, sie global und nicht nur national zu denken. Islamismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, Antifeminismus seien Muster, die global funktionieren. Sie setzten zudem die Suche nach Orientierung und Wahrheit voraus. Das Klima für Verschwörungsideologien hätte letztendlich mit unserem Sicherheitsempfinden zu tun. Je unsicherer wir uns fühlten, desto anfälliger dafür sind wir. Hier stehe der Staat in der Verantwortung. Beendet hat Kaddor ihre Rede mit einem chinesischen Sprichwort: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ und sie plädierte dafür, sich für das Zweite zu entscheiden.
09.00 | Einlass |
09.30 | Begrüßung und politische Eröffnungsrede Dr. Konstantin von Notz MdB |
09.45 | Keynote Marina Weisband |
10.10 | Impulsvortrag Dr. Ben Scott |
10.20 | Zwiegespräch „Desinformationen, Hasskriminalität und Verschwörungsideologien - Was können wir dagegen tun?“ Lamya Kaddor MdB Pia Lamberty |
10.50 | Videobotschaft Igor Levit |
11.00 | Kaffeepause |
11.30 | Impulsvorträge Katharina Nocun Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel |
12.00 | Zwiegespräch Dr. Konstantin von Notz MdB Thomas Haldenwang |
12.30 | Mittagessen |
13.45 | Poetry Slam Hanna Veiler |
14.00 | Workshops
Workshop 1: „Antisemitismus als verbindendes Narrativ von Verschwörungsideologien“ Marlene Schönberger MdB Tom David Uhlig
Workshop 2: „Verschwörungsideologien als Strategie der Rechtsextremen im Netz" Misbah Khan MdB Miro Dittrich Josephine Ballon
Workshop 3: „Rassismus und Verschwörungsideologien" Schahina Gambir MdB Prof. Dr. María do Mar Castro Varela Simone Rafael
Workshop 4: „Ein schmaler Grat: Der Diskurs im Netz zwischen Desinformation und Meinungsfreiheit“ Tabea Rößner MdB Sabine Frank Christian Mihr Prof. Dr. Christoph Fiedler
Workshop 5: „Religiös begründeter Extremismus: Die islamistischen Narrative“ Lamya Kaddor MdB Dr. Dennis Walkenhorst
Workshop 6: „Queerfeindlichkeit und Anti-Gender Narrative in Verschwörungsideologien“ Ulle Schauws MdB Bruno Hönel MdB Rebekka Blum |
15.15 | Kaffeepause |
15.45 | Zusammenfassung der Workshop-Ergebnisse |
16.00 | Podiumsdiskussion "Brandbeschleuniger für Hass und Gewalt – Verschwörungsideologie und innere Sicherheit" Marcel Emmerich MdB Timo Reinfrank Stephan J. Kramer |
16.45 | Verabschiedung: Lamya Kaddor MdB |
17.00 | Ende der Veranstaltung |
Moderation der Konferenz: Thembi Wolf Journalistin |
Anreise
Zum Paul-Löbe-Haus gelangen Sie mit der U-Bahn bis Haltestelle „Bundestag" oder der U- oder S-Bahn bis Haltestelle „Hauptbahnhof“ oder „Brandenburger Tor“ oder mit dem Bus 100 bis zur Haltestelle „Reichstag/Bundestag“. Über den Eingang West, Konrad-Adenauer-Str. 1 gelangen Sie zum Veranstaltungsort. Um in das Paul-Löbe-Haus zu gelangen, benötigen Sie ein amtliches Personaldokument. Eine namentliche Anmeldung mit Angabe des Geburtsdatums ist im Vorfeld erforderlich.