Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne!

Wir Grüne haben drei Jahre dieses Land regiert. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben: Das Land ist klimafreundlicher, gerechter und fortschrittlicher geworden. 

Gleichzeitig gilt: Es gibt in Deutschland aktuell keine Mehrheit für eine progressive Politik. Und die Regierungszeit hat Vertrauen gekostet. Mit diesem Strategiepapier werfen wir einen Blick zurück. Und einen nach vorne. Denn nur wer kritisch darauf schaut was gut, was aber auch nicht so gut gelaufen ist, kann nach vorne gerichtet Dinge besser machen. 

Die Ideen die wir hier formulieren, wollen wir mit der Grünen Bundestagsfraktion diskutieren. Und mit den Menschen im Land. 

Von Britta Haßelmann und Katharina Dröge

These 1: Jetzt ist keine Zeit für Pessimismus

Wir leben in Zeiten, die von Krisen geprägt sind. Autokraten und Rechtsextreme setzen liberale Gesellschaften unter Druck. Ihr Ziel: Demokratie zu zersetzen, ihre Werte zu zerstören, Gleichberechtigung und Vielfalt zurückzudrängen. 

Wir wollen Antworten geben, wie wir dem entgegentreten. Wie wir Frauenrechte, Selbstbestimmung, Klimaschutz und Demokratie stärken. Gemeinsam mit vielen Menschen in diesem Land. 

Konservative Politiker*innen, auch die aktuelle Bundesregierung, reagieren auf Zeiten der Krise mit Beschwichtigung und in wichtigen Fragen mit Stillstand oder Rückschritt – vom Klimaschutz bis zur Gesellschaftspolitik. Weil sie glauben, dass man den Menschen in einer Krise keine Veränderung zumuten kann. Jemand wie Markus Söder versucht es sogar mit einer Strategie der Angst und Demobilisierung: „Entweder wir, oder der Abgrund“. So muss man es verstehen, wenn er von der aktuellen Regierung als „die letzte Patrone der Demokratie“ spricht. 

Was für ein Unsinn. 

Wir werben für das Gegenteil. Für eine Strategie, die auf Krisen nicht mit Rückschritt reagiert, sondern mit einem entschlossenen Weg nach vorne. Die auf den Versuch eines Rollbacks mit einem neuen gesellschaftlichen Aufbruch antwortet. Und die für einen Wettstreit zwischen Demokrat*innen um die beste Idee und die beste künftige Regierung wirbt. Man sollte eine Partei aus echter Überzeugung wählen können, nicht aus Angst vor der Alternative. 

Es gibt nicht nur Stillstand oder Chaos. Es gibt so viel mehr. Und es ist so viel mehr nötig.

Klimawandel, der Durchbruch neuer Technologien, die geopolitischen Veränderungen dieser Welt, der Druck der Demografie auf die Fundamente unserer Sozialsysteme. Nichts wird besser, wenn wir es einfach nur aussitzen oder geschehen lassen. Im Gegenteil: Wenn man handelt, wird es besser. Es geht darum, Veränderung künftig wieder positiv zu sehen.

Wir wissen, dass Optimismus es derzeit schwer hat in diesem Land. 

Und auch wir waren in der letzten Zeit zu leise. Zu vorsichtig und manchmal zu defensiv. Beeindruckt von den Krisen dieser Zeit und von den heftigen Auseinandersetzungen in der Regierungszeit, haben auch wir manchmal zu sehr gezögert noch über Veränderung und Fortschritt zu sprechen. 

Das wollen wir ändern. Und wir setzen auf die Menschen, die das auch so sehen. Menschen mit Ideen, Mut und Lust auf Zukunft. Unternehmer*innen und Klimaschützer*innen. Wissenschaftler*innen und Gründer*innen. Lehrkräfte und Polizist*innen. Engagierte in Stadt und Land. Sie alle eint, dass sie sich einmischen wollen, nicht nur an sich selbst denken und sich dafür einsetzen, dass diese Gesellschaft zusammenhält. Dass sie dieses Land gestalten wollen. Dass sie das Morgen besser machen wollen als das Heute. Für sich und für andere. 

Für sie und gemeinsam mit ihnen wollen wir Politik machen. Dafür und für sie braucht es einen neuen gesellschaftlichen Aufbruch. Darum geht es in diesem Text.

These 2: Zu dem stehen, wer wir sind

Es mag banal klingen, ist es aber nicht: Wer für etwas kämpft, muss wissen, wer er ist. 

Wer für etwas kämpft, muss auch dann zu sich stehen, wenn es Gegenwind gibt. 

Einen gesellschaftlichen Aufbruch wird es nicht ohne Kontroversen geben. Denn wir erleben derzeit einen Backlash gegen vieles, was wir richtig und wichtig finden. Wir erleben den Versuch mit Scheindebatten und Fake News Stimmung zu machen. Beim Feminismus, beim Klimaschutz und in vielen anderen Fragen. Beispielhaft dafür stehen die Kampagnen der Union gegen einen frei erfundenen „Genderzwang“ oder auch gegen den niemals geplanten „Wärmepumpenzwang“. 

Solche Debatten gewinnt man nicht mit einer defensiven Kommunikation, mit Rechtfertigungen und Entschuldigungen. So wie wir das in der Vergangenheit zu oft gemacht haben. Solche Debatten gewinnt man nicht, indem man sagt, dass Gendern gar nicht so wichtig ist, oder das Gebäude-Energie-Gesetz viele verschiedene Heizungsarten ermöglicht und nicht nur eine. 

Sondern nur, indem man auch offensiv ausspricht, was ist: Männer wie Markus Söder haben keinen Bock auf Frauen, die die gleiche Macht beanspruchen wie sie. Weil wir damit ihre Männerrunden stören. 

Der Union ist Klimaschutz offensichtlich völlig egal. Sie beteiligt sich an Medien-Kampagnen, in denen Unwahrheiten über klimafreundliche Technologie verbreitet werden, die allein den Gewinninteressen von Gas-Unternehmen dienen. 

Zu sich selbst stehen heißt auch, eigene Fehler zu reflektieren und andere Perspektiven zuzulassen. In politischen Auseinandersetzungen um die Grundausrichtung unseres Landes darf man aber nicht so wirken, als wolle man allen gefallen. Denjenigen, die genau das Falsche durchsetzen wollen, denen müssen wir nicht gefallen, sondern widersprechen. Zu sich selbst stehen heißt, sich gerade in harten Auseinandersetzungen nicht zu verstecken.

Bündnis 90/Die Grünen sind die Partei, die immer für Klimaschutz kämpft – auch dann, wenn das gerade nicht in Mode ist. Wir sind die Partei, die offensiv sagt: Vielfalt ist großartig. Die sagt: Einwanderung macht unser Land stärker. Frauen verdienen genauso viel Macht, Einkommen und Sichtbarkeit wie Männer. Wir sind die Partei, die klar gegen Autokratien und Diktaturen steht. Auch, wenn niemand anderes es tut. Wenn CDU und SPD lieber Gasgeschäfte mit Russland machen oder die Linke mit Putin verhandeln will. 

Zu seinen Überzeugungen zu stehen ist übrigens kein Widerspruch dazu, dass wir gleichzeitig bereit sind, um gute Kompromisse zu ringen. Auch in der Opposition. Kein Widerspruch dazu, dass wir weiterhin Brücken bauen wollen. Dass wir Menschen erreichen wollen, die noch nicht überzeugt sind. 

Wir werden eine Regierung, deren Kurs wir falsch finden, dann unterstützen, wenn sie in der Sache etwas richtig macht. Das haben wir in den letzten Wochen gezeigt. Wir sagen ja zu einer Reform der Schuldenbremse, weil das wichtig ist für das Land. Auch wenn Friedrich Merz das als Oppositionsführer niemals für Robert Habeck als Wirtschaftsminister gemacht hätte. Für uns gehört Kompromissbereitschaft und der Einsatz für die eigenen Anliegen zusammen. Die Menschen sind doch zu Recht müde von einer politischen Haltung, die nur aus Prinzip blockiert und Fortschritt verhindert.

Wir wissen, wir sind die einzige Oppositionsfraktion mit dieser Haltung im Bundestag. Dieser Kurs ist weder zu staatstragend noch zu leise. Denn es geht gerade in dieser Zeit darum zu zeigen, was gute Politik ist. Auch gute Oppositionspolitik. Gute Politik ist mehr als die steilste These, die beste Pose. Wir werben für einen anderen Weg. Für uns ist gute Oppositionsarbeit: harte Kontrolle der Regierung. Den Finger in die Wunde legen, wo es wirklich weh tut. Weil diese Regierung ernsthafte Fehler macht. Wir werben dafür, dass gute Oppositionspolitik Antworten gibt, die besser funktionieren, dort wo die Regierung inhaltlich blank ist.

Wir werben für diesen Weg. Er ist vielleicht nicht der leichteste. Aber er ist unserer. 

These 3: Klimaschutz heißt: Es muss sich etwas verändern – und das wird gut

Klimaschutz steht derzeit nicht im Mittelpunkt der Politik. Das wollen und müssen wir ändern – und dafür auch manches anders machen als bisher. 

Die Bekämpfung der Klimakrise gelingt nicht ohne Veränderung. Das ist Fakt. Trotzdem hatten wir in den letzten Jahren einen unentschlossenen Umgang mit der Frage, wie offensiv wir über diese Veränderung sprechen. Wir sind teilweise mit hohem Elan und großer Begeisterung für Veränderung in die Debatten gegangen. Etwa im Kampf für den Kohleausstieg oder das Verbrenner-Aus. 

In anderen Momenten haben wir aus Sorge vor Widerstand gegen Klimaschutz versucht zu beschwichtigen. Den Leuten zu sagen, dass eigentlich alles so bleiben kann, wie es ist. Nur eben mit grünem Anstrich. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall. So machen wir Grünen auch nicht Politik. Und das weiß auch jeder. Wenn man aber das Offensichtliche nicht ausspricht, schürt das Misstrauen. Wir brauchen deswegen Eindeutigkeit und Ehrlichkeit. 

Lasst uns aussprechen, wie es ist: Klimaschutz braucht Veränderung. Denn wer sein Haus klimaneutral machen will, muss umbauen. Wer ein klimaneutrales Auto fahren will, muss umsteigen. Und wer klimaneutral wirtschaften will, muss anders produzieren.

Wer offen über Veränderung spricht, kann auch positiv für Veränderung werben. In vielen anderen Bereichen ist breit akzeptiert, dass Veränderungen das Leben sicherer, leichter und schöner machen. Niemand möchte noch in einer Welt ohne Impfstoffe leben. Niemand wünscht sich ins Zeitalter der Schreibmaschine zurück. Nur beim Klimaschutz zögert das Land, sich über Fortschritt zu freuen. Dabei ist doch klar: Besser gedämmte Häuser senken Heizkosten. Solaranlagen liefern kostengünstigen Strom zuhause. Klimaschutz kann sogar Spaß machen, wie uns Balkonkraftwerke und das 9-Euro-Ticket gezeigt haben. 

Lasst uns außerdem über Klimaschutz nicht nur technisch sprechen: nicht nur über Autos, Heizungen und Industrieanlagen. Klimaschutz ist auch emotional, berührt unsere Leben und unsere Herzen. Weil wir schützen wollen, was in unserer Welt am wertvollsten ist: Gesunde Wälder, saubere Flüsse und Meere, die Vielfalt der Arten in der Tier- und Pflanzenwelt, die Gesundheit der Menschen. Zu erhalten, was uns erhält – darum geht es.

Lasst uns ehrlich aussprechen, was ist – und zeigen, dass es uns wichtig ist, wie es geht. Die Debatten um das Gebäude-Energie-Gesetz haben Vertrauen gekostet. Wir hätten dieses Gesetz anders vorbereiten, anders diskutieren müssen – auch öffentlich. Weil vielen Menschen nicht klar war, worum es eigentlich geht und wie es für sie funktionieren kann. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken zu sagen: Es muss sich was ändern. Sondern immer zeigen, wie es gehen kann. 

Zum ernsthaften Umgang mit Veränderung gehört auch zuzugeben, dass es nicht nur Gewinner gibt. Klimaschutz eröffnet große wirtschaftliche Chancen für den Standort Deutschland: grüner Stahl, energieeffiziente Chemie, Elektromobilität für die Zukunft der Autoindustrie, erneuerbare Energien als Jobmotor. Es müssen aber auch alte Geschäftsmodelle enden. Fossile Konzerne verdienen gerade noch Milliarden, der Import von Erdöl, Gas und Kohle ist mit fast 70 Milliarden Euro in 2024 immer noch lukrativ. Diese Interessen blockieren Klimaschutz. Klimaschutz ist deshalb eine Machtfrage. Er ist eine Auseinandersetzung darüber, welche Wirtschaft wir wollen. Wie das Geld verdient wird, und wer davon profitiert. Das auszusprechen, Konfliktlinien sichtbar zu machen, sehen wir als unsere Aufgabe.

Nur wer Machtfragen ausspricht, kann die Konflikte um Klimaschutz nachvollziehbar und glaubwürdig erklären. Nur wer Machtfragen klar hat, kann sich auf die Auseinandersetzungen vorbereiten, die politisch geführt werden. Bei der Debatte um die Wärmewende ging es doch letztlich nicht wirklich um die Rentnerin im Einfamilienhaus, sondern um die bedrohten Gewinninteressen der fossilen Gasindustrie.

Und: Wer mit Umweltverschmutzung Milliarden verdient hat, muss für die Schäden aufkommen. Wer Akzeptanz für Klimaschutz will, muss Verursacher der Klimakrise in die Verantwortung nehmen. Dafür fordern wir konkrete Schritte hin zu einem Klimaschäden-Hilfsfonds – finanziert durch Übergewinnsteuern oder Abgaben auf fossile Börsengeschäfte. Die internationale Debatte zeigt: Verantwortung der Verursacher ist möglich und notwendig.

These 4: Der Alltag der Menschen ist genauso wichtig wie die Weltlage

Begeisterung für Aufbruch entsteht nicht alleine, wenn man ein besseres Morgen verspricht. Der Alltag im Hier und Jetzt muss besser werden. Doch wenn jemand fragt: Welche Themen verbindest Du mit den Grünen?, dann sind es oft die großen und globalen Zukunftsfragen, wie Klimaschutz, Verteidigung der Demokratie, Krieg und Frieden. Beim Alltag der Menschen aber denkt man weniger an uns. Das müssen wir ändern. Denn miese Schulklos, undichte Turnhallen, der Bus auf dem Dorf, der nicht kommt, die Kita, die wegen Personalmangel geschlossen ist, dass Oma von ihrer Rente nicht leben kann – all das ist Alltag in Deutschland. Und all das ist genauso wichtig wie die Weltlage. 

Wir haben uns in den vergangenen Jahren für soziale Themen eingesetzt: Bürgergeld, höhere Familienleistungen, günstigerer Strom, eine BAföG-Reform, das Deutschlandticket, das Start-Chancen-Programm, der Kulturpass – all das waren Grüne Herzensthemen. Für all das haben wir uns stark gemacht. Und doch verfängt zu oft noch das Zerrbild der alltagsfernen Elite-Partei. Das muss uns zu denken geben.

Wir wollen, dass in Zukunft alle wissen: Der Einsatz für gute Schulklos, für günstige Schwimmbäder in heißen Sommern und für den Bus auf dem Land hat für uns Priorität. Dafür müssen wir über diese Themen genau so laut sprechen wie über Klimaschutz. Der Alltag der Menschen gehört in den Mittelpunkt. Der Politik insgesamt. Und unserer Politik. 

Das heißt konkret: Wir schlagen einen „Pakt für bezahlbares und gutes Leben“ vor. Die Preise müssen runter. Das heißt, wir müssen alle Hebel nutzen: dafür, dass die Mieten bezahlbar werden, dafür dass das Prinzip des Deutschlandtickets so ausgebaut wird, dass Bus und Bahn grundsätzlich gut und günstig sind. Das heißt den Strom günstig machen. Stromsteuern und Netzentgelte müssen runter. Das heißt Lebensmittel günstig machen, und Preistreiberei bei Nahrungsmitteln stoppen.

Wir wollen uns in einem Bündnis mit unseren Ratsfraktionen dafür einsetzen, dass endlich die Kommunen das Geld haben, das sie brauchen. Denn vor Ort wird entschieden, ob das Freibad noch finanziert werden kann oder die Jugendeinrichtung geschlossen wird. Die Entschuldung der Kommunen muss endlich Priorität haben und die Milliarden aus dem Sondervermögen bei den Kommunen ankommen. 

Wir werden dafür kämpfen, dass über Armut nicht ständig nur ausgrenzend gesprochen wird. Zu oft werden Arbeitslose als faul diffamiert und gegen die „Leistungsträger“ des Landes ausgespielt. Dabei geht es um ganz andere Dinge. Fast 40 Prozent aller Alleinerziehenden konnten sich in den letzten Sommerferien nicht mal eine einzige Woche Urlaub mit ihren Kindern leisten. Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Und ältere Menschen schämen sich so sehr für ihre Armut, dass sie nicht einmal Sozialleistungen beantragen. Das bricht das Versprechen auf soziale und kulturelle Teilhabe für alle Menschen. Wir wollen, dass alle ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Wir wollen einen neuen grünen Start im Kampf gegen Kinderarmut. Dazu braucht es nicht nur die großen Reformen, sondern auch kurzfristig Etappenziele. Das haben wir in der Vergangenheit gesehen. Ein konkreter Vorschlag wäre ein Kinderleistungs-Check mit dem alle Kinder erhalten was ihnen zusteht. Und eine gezielte Unterstützung für Alleinerziehende gegen Armut, etwa durch eine Steuergutschriften. 

Die schwarz-rote Regierung hat die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme in Kommissionen verschoben und auf 2027 vertagt. Das dürfen wir ihr nicht durchgehen lassen – und die Menschen in diesem Land sollten es auch nicht tun. Was hindert uns daran, dem endlich mehr Priorität einzuräumen? Es betrifft uns alle. Wir sind bereit.

These 5: Demokratie und Vielfalt gibt es nur mit Sicherheit

In einer unsicheren Zeit hat Friedens- und Sicherheitspolitik eine immense Bedeutung bekommen. Wir sind mit einer harten Realität konfrontiert: Frieden, Sicherheit und Freiheit sind so bedroht wie lange nicht. Darauf haben wir in der Außenpolitik mit hartem Realismus reagiert. Realismus mit Blick auf die Interessen Russlands oder Chinas. Realismus mit Blick auf das, was die Weltlage erfordert. 

Dabei haben wir uns selbst und unsere Positionen verändert. Es wäre vor wenigen Jahren nicht vorstellbar gewesen, dass wir Grünen uns für einen so deutlichen Ausbau der Verteidigungsfähigkeit ausgesprochen hätten, wie er jetzt notwendig ist. Wir selbst wissen, warum wir diesen Weg gegangen sind. Wir haben uns aber nicht immer die ausreichende Zeit genommen, auch in der Öffentlichkeit zu erklären, warum wir das für notwendig halten. 

Gerade als Partei, die so stark mit den Wurzeln der Friedensbewegung verbunden ist, haben wir Grünen hier eine gesellschaftliche Aufgabe, die wir stärker wahrnehmen sollten. Wir alle wünschen uns Frieden. Niemand wünscht sich das mehr als die Menschen in der Ukraine. Gerade deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass Autokraten und Demokratiefeinde das Recht des Stärkeren gegen die Stärke des Rechts setzen.

Wir hätten aber beim Ringen um den besten Weg die Diskussion nicht so sehr auf einzelne Waffensysteme verengen sollen. Wir hätten klar machen müssen, dass es der unbedingte Wille zu Frieden und mehr Sicherheit auf dem Europäischen Kontinent ist, der uns leitet. Und in die Debatte darüber gehen müssen, warum wir davon überzeugt sind, dass dieser Weg am Ende Frieden sichert. Gerade weil wir überzeugt sind, dass es auch in Zukunft auf uns ankommt: Weil CDU, SPD und Linke immer wieder die Tendenz haben die Augen zu schließen, insbesondere mit Blick auf Russland.

Mit derselben Klarheit sollten wir in Debatten über innere Sicherheit gehen. Rechtsextreme, Islamisten, Autokraten und Feinde der Demokratie eint, dass sie zerstören wollen, was uns wichtig ist: Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Frauen, Selbstbestimmung, eine offene und tolerante Gesellschaft. Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr schützen genau das, sie schützen ein Leben in Vielfalt, Freiheit und Demokratie.

Doch sicherheitspolitische Debatten wurden in den letzten Jahren oft genau umgekehrt geführt. Sie wurden zu oft geführt als Wettbewerb der Scharfmacher. Und so, dass Vorurteile gegen Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte geschürt wurden. Um diesem Populismus etwas entgegen setzen zu können, müssen wir die Sicherheit in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Immer, und nicht nur wenn Krise ist. 

Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Wir brauchen eine große Nachrichtendienstreform, die den anhaltenden Bedrohungen der inneren und äußeren Sicherheit Rechnung trägt. Die Polizei darf nicht weiter mit Symbolmaßnahmen wie Grenzschließungen belastet werden – sondern soll sich auf die reale Bekämpfung von Kriminalität konzentrieren können. Und wir brauchen eine Stärkung der Präventionsarbeit und Demokratieförderung – auch wenn das den Scharfmachern in der Debatte immer zu soft klingt. 

Vielfalt, Demokratie, Frieden und Freiheit kann es nur mit Sicherheit geben. Grüne Politik kann es nur mit Sicherheit geben. 

These 6: Was wir aus dem Ende der Ampel lernen können

Unser Ziel ist es, dass es 2029 eine progressive Mehrheit gibt, die eine progressive Regierung trägt – mit Bündnis 90/Die Grünen. Genau deswegen ist es für uns wichtig zu verstehen, woran die letzte progressive Regierung gescheitert ist. 

Fest steht: Die Ampel hatte es nicht leicht. Sie hatte es mit vielen Krisen zu tun, mit Corona, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Wir haben diese tiefgreifenden Krisen, die die ganze Welt erschüttert haben, souverän gemanagt. Und noch viel mehr: Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat das Land wirklich modernisiert, im Klimaschutz oder in der Gesellschaftspolitik. Und dennoch das Vertrauen vieler Menschen verloren. Das Dreierbündnis ist vorzeitig auseinandergebrochen. Daraus müssen wir etwas lernen. 

Gescheitert ist diese Koalition unter anderem daran, dass sie nicht verstanden hat, welche Chance in dem Bündnis lag. Progressive Politik braucht das Ringen um die beste Idee, um den besten Weg und sie braucht manchmal ein paar Schleifen mehr an Überzeugungsarbeit. Am Ende steht dann ein Kompromiss – nicht als Bug, sondern als Feature. Gerade ein progressives Bündnis aus drei sehr unterschiedlichen Parteien hätte die Chance gehabt, das Land zu verbinden und Brücken zu bauen. Gerade dieses Bündnis hätte die Chance gehabt, die Menschen für Veränderung zu begeistern.

Es ist die Aufgabe von progressiven Parteien, Wege zu verhandeln, die für möglichst viele Menschen gut und gemeinsam funktionieren. Und zwar gemeinsam mit den Menschen, die mitmachen wollen. Wer nur die eigenen Ideen gut findet, nicht bereit ist, die Perspektive der anderen einzubeziehen – der wird nicht von Veränderungen überzeugen. Und das ist das Ziel Grüner Politik. In der Opposition. Und in der Regierung.

Strategiepapier als PDF

Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne!