Rede von Marcel Emmerich Aktuelle Stunde "Unruhen in Frankreich"

Marcel Emmerich MdB
06.07.2023

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen: Sie haben mit der Brille ja tatsächlich ein bisschen etwas von Sir Elton John.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie steht ihm!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Ich muss jetzt aber nicht singen, oder?

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, nein.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch! – Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „I’m Still Standing“!)

– „I’m Still Standing“ vielleicht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „Liberté, Égalité, Fraternité“ – spätestens seit den tödlichen Schüssen auf den 17-jährigen Nahel und den darauffolgenden Ausschreitungen klingt das für die von Gewalt Betroffenen wie Hohn: für die Angehörigen, die um ihren Sohn und Freund trauern, für Kommunalpolitiker/-innen, die sich landesweit massiven Angriffen ausgesetzt sehen, und für all jene, die sich momentan in Frankreich nicht mehr auf die Straße trauen. Auch wenn die Wut und Trauer um die tödlichen Schüsse nachvollziehbar sind, die massive und rücksichtslose Gewalt, die Zerstörungswut und der Hass sind es auf keinen Fall. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die AfD fragt heute, wie wir das in Deutschland verhindern können. Das tut sie natürlich nicht aus Sorge oder deshalb, weil ihr Fraternité am Herzen liegt, sondern weil sie sich mit rassistischen Klischees und einer angeblichen Überfremdung inszenieren möchte. Dazu passt, dass Leute aus Ihrem Umfeld Videos und Beiträge posten, die gar nicht aus Frankreich stammen, einfach nur, um die Stimmung anzuheizen. Rechtsextreme zeichnen damit bewusst apokalyptische Bilder über vermeintliche Parallelgesellschaften.

Wir sehen wieder: andere Religion, andere Herkunft, anderes Aussehen, andere Namen – und Sie ziehen mit einer breiten Spur des Rassismus durch dieses Haus hier und durch dieses Land.

(Zurufe der Abg. Dr. Gottfried Curio [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])

Menschen, die hierzulande den Laden am Laufen halten, sind für Sie Feindbilder, sei es der Straßenbahnfahrer mit tunesischen Wurzeln, der Bauingenieur aus dem Irak oder die Ärztin mit Eltern aus der Türkei.

(Zurufe von der AfD)

Das hier sind für Sie keine Mitmenschen, sondern das sind Feindbilder.

Aber wenn wir diese Menschen nicht auch hier hätten, dann würden wir alle, dann würden auch Sie ganz schön in die Röhre gucken. Sie wünschen sich für Deutschland Bilder aus Frankreich förmlich herbei.

(Zuruf von der AfD: Blödsinn! – Weiterer Zuruf von der AfD: Quatsch!)

Sie wollen, dass es Deutschland schlecht geht, um die Demokratie und die Gesellschaft zu destabilisieren. Aber da haben Sie die Rechnung ohne uns gemacht, ohne die demokratischen Kräfte hier im Haus und im Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD: So ein Blödsinn! – Weitere Zurufe von der AfD)

Wer wirklich Lehren aus Frankreich ziehen will, ohne mit dem Finger auf die Franzosen zu zeigen, der muss sich auch mit der Realität auseinandersetzen.

(Zuruf von der AfD: Das können Sie doch gar nicht!)

Da empfehle ich ein „Spiegel“-Interview mit dem französischen Soziologen François Dubet, der sagte, was die Hintergründe sind. Es ist nämlich die zweite, dritte, ja, vierte Generation von Einwanderinnen und Einwandern, meist Kinder und Jugendliche unter 18, Franzosen, die kaum Jobchancen haben und am häufigsten unter Polizeigewalt leiden.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Sie fühlen sich abgehängt, nicht ernst genommen, nicht als Teil der Gesellschaft.

Das rechtfertigt natürlich nicht die Gewalt, aber es hilft bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage des Warum.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nein, das ist keine Antwort, das ist Verschleierung!)

Und es zeigt für uns als Politik, dass es darum geht, Zusammenhalt zu stärken und nicht Spaltung herbeizutreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD] – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie auf, zu schreien! – Weiterer Gegenruf des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: AfD-Krakeeler!)

Der Kollege Kuhle hat gerade eben schon die verschiedenen Faktoren angesprochen, die dabei wichtig sind zu beachten, und ich möchte auf die wichtigen Faktoren für eine gelingende Integration eingehen. Dafür muss Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Jeder Mensch braucht eine chancenreiche Zukunft. Es braucht natürlich auch eine integrative Sozialraumarbeit und eine unterstützende politische Kultur, die nicht danach fragt, woher man kommt, sondern wo man hinwill. Und daran arbeiten wir als Ampel ganz entschlossen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mit dem Spurwechsel geben wir Geduldeten jetzt eine echte Perspektive, dauerhaft hierzubleiben.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie locken noch mehr Einwanderer an, Armutsflüchtlinge! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atmen Sie mal durch, Baumann! – Weiterer Gegenruf des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Luft holen, Baumann!)

Das gibt wirtschaftliche Unabhängigkeit und erleichtert die Integration. Unser Chancen-Aufenthaltsrecht haben schon 50 000 Menschen beantragt. Sie bekommen eine dauerhafte Perspektive.

(Zurufe von der AfD – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn in Sie gefahren? – Weiterer Gegenruf des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie mal weniger davon, Herr Baumann!)

Das gibt Sicherheit und erleichtert die Integration.

Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht können Menschen, die schon länger hier leben oder hierherkommen wollen, sich aktiv demokratisch beteiligen und mitgestalten. Das stärkt die Teilhabe und erleichtert Integration.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

So wird Politik diesem modernen Einwanderungsland wirklich auch mal gerecht. Wir holen Menschen mit Migrationsgeschichte wirklich in die Mitte unserer Gesellschaft. Sie sind ein Teil von uns, egal ob als Straßenbahnfahrer, Bauingenieur oder Ärztin – und vor allem, egal woher sie kommen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Emmerich. – Als nächster Redner hat das Wort der fraktionslose Abgeordnete Matthias Helferich.

(Beifall bei der AfD)