Rede von Philip Krämer Fortsetzung des EUFOR ALTHEA-Einsatzes

Philip Krämer MdB
16.06.2023

Philip Krämer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krieg und Gewalt zwischen serbischen, kroatischen, albanischen, bosnischen und bosniakischen Volksgruppen, Folter und Mord zwischen orthodoxen, katholischen und muslimischen Menschen, Vertreibung und Vergewaltigung von Nachbarinnen und Nachbarn, Arbeitskollegen und früheren Freunden, circa 100 000 Tote – auch 31 Jahre nach Beginn des Jugoslawienkriegs sind die Menschen und Landschaften vom Krieg gezeichnet, ist eine Aussöhnung der verschiedenen Ethnien in Bosnien-Herzegowina in weiter Ferne. Diese Aussöhnung aber ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft, eine Voraussetzung für den EU-Beitritt Bosnien-Herzegowinas und auch eine Voraussetzung für stabilen und nachhaltigen Frieden in Europa. Daher freue ich mich, dass wir heute über die Verlängerung des im letzten Jahr neu mandatierten Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen von EUFOR Althea debattieren.

EUFOR Althea ist ein Garant für Frieden und dient als kommunikative Brücke zwischen den Ethnien. Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage sowie der weitreichenden Akzeptanz der Bundeswehr vor Ort können unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst in ihren zwei Liaisonhäusern unbewaffnet verrichten. Sie leben mit den Menschen vor Ort und sind kommunikatives Verbindungselement, vor allem zwischen Angehörigen der serbischen bzw. kroatischen Ethnien.

Deutschland ist anerkannt auf dem Westbalkan. Daher ist das weitere Engagement in EUFOR Althea und die Übernahme von Verantwortung folgerichtig. Es liegt in unserem Interesse, Bosnien-Herzegowina eine EU-Perspektive zu ermöglichen und aktiv daran mitzuwirken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Das hohe Ansehen Deutschlands in Bosnien-Herzegowina hat aber auch negative Auswirkungen auf die dortige Gesellschaft. Die große Diaspora, die geringe Zukunftsperspektive und der gute Ruf der Bundesrepublik führen bei vielen jungen Menschen zu einem Auswanderungswunsch und zu einem Braindrain aus dem Land. Schätzungsweise ein Fünftel der Bürgerinnen und Bürger sucht eine Zukunft außerhalb ihrer Heimat. Dieses Problem wirkt sich auch auf den schlechten allgemeinen Zustand der bosnischen Streitkräfte aus. Seit drei Jahren wurde kein Verteidigungshaushalt beschlossen, da die ethnischen Parteien die Ideen einer gemeinsamen multiethnischen und multikonfessionellen Nationalarmee ablehnen. Die Armee kann mit ihrem Budget ausschließlich ihre Personalkosten decken. Mittel für dringend benötigte Investitionen gibt es nicht, und statt in den Streitkräften suchen junge Menschen berufliche Perspektiven im Ausland. Die Armee ist meist keine Perspektive.

Wir müssen daran arbeiten, dass Bosnien-Herzegowina selbstständig für seine Sicherheit sorgen kann. Solange dies aber nicht der Fall ist, bedarf es der Präsenz von EUFOR Althea.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch die Räumung von Landminen ist weiterhin ein großes Problem im Land. Nach wie vor ist Bosnien-Herzegowina eines der am stärksten verminten Länder der Welt. Während Covid musste die Räumung massiv reduziert werden. Statt jährlich 900 Quadratkilometern konnten nur noch 130 Quadratkilometer geräumt werden. Es braucht Qualitätskontrolle und klare Zielvorgaben. Die Minenräumung ist keine zusätzliche Finanzierungsquelle, sie darf nicht zum Selbstzweck werden. Daher muss hier noch besser ausgebildet und müssen die Fortschritte noch gewissenhafter überprüft werden. Hier sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Unterstützung nachschärfen. Es darf nicht sein, dass Eltern auf dem Westbalkan ihre Kinder auch heute nur mit großer Sorge in der Natur spielen lassen können aus Angst, dass ihre Kinder dabei von Blindgängern oder Antipersonenminen verletzt oder gar aus dem Leben gerissen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Nils Gründer [FDP])

In den letzten Wochen haben wir mit großem Entsetzen auf den Kosovo geblickt und von Belgrad orchestrierte Gewalt gesehen. Serbische Militante schrecken nicht davor zurück, Brandbomben auf KFOR-Soldaten zu schleudern und viele italienische und ungarische Kameraden schwer zu verletzen. Drei KFOR-Soldaten wurden laut NATO sogar angeschossen. Das zeigt, dass es keine ungefährlichen Einsätze der Bundeswehr gibt und wir alles zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten tun müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Nils Gründer [FDP])

Lassen Sie uns auch über ein Aus bei der Luftverlegefähigkeit von EUFOR Althea, um Friedenstruppen im Krisenfall schnell auch an abgelegene Ortschaften transportieren zu können, sprechen! Hierzu sind Transporthubschrauber notwendig, um die Luftverbringung wenigstens in Zugstärke gewährleisten zu können. Auch eine weitere Stärkung der Over-the-Horizon-Reserven sollte diskutiert werden. Gewisse Kriegstreiber und andere systemische Rivalen haben großes Interesse an einer Destabilisierung der Region. Allein deshalb ist es mehr als richtig und angezeigt, das Mandat für unsere Soldatinnen und Soldaten zu verlängern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben also zwei Herausforderungen in Bosnien-Herzegowina. Einerseits müssen wir die Sicherheit bewahren. Daran wird die Bundeswehr hoffentlich auch im nächsten Jahr einen Anteil leisten. Herzlichen Dank an alle beteiligten Soldatinnen und Soldaten für ihre sehr wichtige Arbeit!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf der anderen Seite ist aber ebenso essenziell, für und mit den Menschen eine Zukunft zu schaffen, eine Zukunft in Freiheit und Wohlstand; denn das ist im Sinne der Europäischen Union und eines vereinigten Europas.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Peter Beyer das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)