Rede von Kai Gehring Internationalisierung von Wissenschaft

Foto von Kai Gehring MdB
15.11.2023

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Internationalisierung der Wissenschaft ist so alt wie Wissenschaft selbst, egal ob in der Bibliothek in Alexandria im dritten Jahrhundert vor Christus, an der führenden Universität des frühen Mittelalters in Bagdad oder an der ersten europäischen Universität in Bologna, die im Jahr 1088 gegründet wurde. Wissenschaft basierte schon immer darauf, Menschen und Ideen verschiedener Kulturen und Kompetenzen zusammenzubringen. Wissenschaft weitet Horizonte, Wissenschaft verbindet. Wissenschaft ist Brückenbauerin und Kompass in Krisenzeiten – damals, heute und in Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Die geopolitische Lage nach der Zeitenwende lässt uns nicht nur unsere Wirtschaftsbeziehungen und Energiepartnerschaften auf den Prüfstand stellen. Als starkes Innovationsland ist es wichtig, auch unsere Wissenschaftspartnerschaften neu auszutarieren. Weltweit vielerorts gerät Wissenschaftsfreiheit unter Druck. Spionage und Cyberangriffe auf deutsche Wissenschaftseinrichtungen nehmen zu. Autoritäre Staaten versuchen gerade Forschungskooperationen zu Dual-Use-Technologien zu schmieden, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können.

Wissenschaft ist damit längst fester Bestandteil einer interessengeleiteten Außenpolitik in der multipolaren Welt. Außenwissenschaftspolitik und Science Diplomacy sind eingebettet in die großen Linien deutscher Außenpolitik. Die Nationale Sicherheitsstrategie und die China-Strategie dieser Bundesregierung geben auch der Wissenschaft einen Orientierungsrahmen. Als nächster Schritt folgt bald die BMBF-Internationalisierungsstrategie. Es ist gut, dass wir als Parlament auf der Basis eines Antrags der regierungstragenden Fraktionen über diese Linien heute diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Klar ist doch: Die großen Menschheitsfragen – Klimakrise, Ressourcenmangel, Pandemieprävention – machen internationale Wissenschaftskooperation überlebensnotwendig.

Vier Punkte möchte ich hervorheben:

Erstens: De-Risking in Forschungskooperationen, also mehr Risikobewusstsein, Risiken vermeiden. Dazu gehört, viel genauer hinzuschauen, mit welchen Partnern und zu welchen Themen wir forschen wollen. Die Nachrichtendienste und der Verfassungsschutz geben im Bereich der sicherheitsrelevanten Forschungskooperationen wichtige Hinweise. Die rote Linie verläuft da, wo unsere freiheitlichen demokratischen Werte unterwandert werden. Das heißt: einerseits maximale Wissenschaftsfreiheit, andererseits notwendiger Schutz unserer Sicherheitsinteressen und unserer technologischen Souveränität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Zweitens ist es wichtig, unsere Wissenschaftskooperation neu auszudiversifizieren und sie mit neuen und alten Wertepartnerländern zu vertiefen. Wir laden hier auch gerade die afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Länder ein, mit uns in stärkere Kooperationen einzusteigen. Ob es der ATTO-Tower als Klimaforschungsinfrastruktur in Brasilien ist oder die Wasserstoffpartnerschaft in Namibia: Das sind große Erfolge in den Forschungskooperationen.

Wir wollen auch das Potenzial der Europäischen Union stärker ausschöpfen, sowohl in den inner- als auch außereuropäischen Kooperationen. Deshalb ist es so wichtig, dass dieser Deutsche Bundestag sich auch beim nächsten europäischen Forschungsrahmenprogramm stark einbringt und wir hier gemeinsam die Assoziierung des Vereinigten Königreichs in Horizon Europe begrüßen. Wir setzen uns dafür ein, die europäische Forschungsförderung besser mit den nationalen Strategien abzustimmen, europäische Forschungsinfrastrukturen auszubauen, auch zukunftsfähige Dateninfrastrukturen zu schaffen. Auch das ist eine Frage europäischer technologischer und digitaler Souveränität, damit wir Abhängigkeiten von autoritären Staaten reduzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Drittens: Förderung akademischer Mobilität. Wir unterstützen die internationale Mobilität von Wissenschaft in alle Richtungen. Brain Circulation trägt zu wissenschaftlicher Exzellenz bei. Unser Punktesystem im Einwanderungsrecht öffnet Türen für Spitzentalente. Unsere Mittlerorganisationen, unsere Hochschulen, unsere Forschungseinrichtungen leisten hier hervorragende Arbeit.

Und: Wir sind attraktiv. Wir sind sogar attraktiver geworden. Im Wintersemester 2022/2023 ist Deutschland im weltweiten Vergleich erstmals auf Platz drei vorgerückt als Gastland für internationale Studierende. Das ist doch großartig!

(Monika Grütters [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Denn Studierende sind Fachkräfte von morgen, und engagierte internationale Forschende machen unser Innovationssystem zu einem der erfolgreichsten weltweit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Es ist zu unserem eigenen Vorteil, wenn die Visavergabe für Talente agiler läuft, wenn die Arbeitsbedingungen gut sind und die Willkommenskultur sowohl auf dem Campus als auch in der Gesellschaft garantiert ist.

(Maja Wallstein [SPD]: Genau!)

Technik, Toleranz, Talente sind wesentliche Standortfaktoren. Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Extremismus sind dagegen Sicherheitsrisiken für das internationale Renommee unseres Innovationsstandortes. Deshalb bekämpfen wir es entschieden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Viertens. Die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit müssen wir tagtäglich leben. Denn Deutschland ist Land der Wissenschaftsfreiheit und Europa Kontinent der Wissenschaftsfreiheit. Das gilt es auch in den Kooperationen zu sichern; Schutzprogramme hierzulande sind auszubauen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

University in Exile wäre ein nächster Schritt. – Und ein letzter Satz: –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– Ich möchte Herrn Stüwe darin unterstützen, den Wiederaufbau der Ukraine nicht zu vergessen –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Es ist über das Ende der Redezeit hinweggegangen worden, Herr Kollege.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– und die israelische Wissenschaftskooperation jetzt erst recht zu vertiefen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Monika Grütters [CDU/CSU] – Maja Wallstein [SPD]: Dieser Satz war wichtig!)