Rede von Kai Gehring Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung

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21.03.2024

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf meinen Vorredner möchte ich antworten mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe:

„Es gibt keine patriotische Kunst und keine patriotische Wissenschaft. Beide gehören, wie alles hohe Gute, der ganzen Welt an …“

Goethe hat recht: Gute Wissenschaft ist international und weltoffen, und das ist bestens so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Heute ist der Internationale Tag gegen Rassismus, ein geradezu perfekter Anlass, um über die Internationalisierung und Internationalität von Wissenschaft und Forschung zu diskutieren. Rassismus ist brandgefährlich und ein Hindernis für Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung; denn Wissenschaft braucht Technik, Toleranz, Talente, keinen Hass, keinen Nationalismus. Wir wollen, dass Deutschland Talentmagnet für internationale Spitzenkräfte bleibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Deutschland ist die drittstärkste Volkswirtschaft. Wir sind stabil unter den Top Ten der Innovationsspitzenreiterländer. Und seit dem Wintersemester 2022/2023 sind wir Gastland Nummer drei für internationale Studierende, und damit vorgerückt. Darauf können wir stolz sein, und das spornt uns an, weiterzumachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unser Job ist es, gute Studien- und Arbeitsbedingungen anzubieten und sie fortzuentwickeln. Unser Antrag enthält hier ein Pflichtenheft: Bürokratieabbau, Visabeschleunigung, Willkommensinfrastruktur an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, verlässliche Karrierepfade, familien- und diversitätsfreundliche Campusse, Austauschprogramme und Mittlerorganisationen stärken. Das alles gehört dazu. Lassen Sie uns dafür gemeinsam weiter wirken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Umgekehrt geht an deutsche Azubis, Studierende und Forschende eine Einladung: Sammelt Auslandserfahrungen – ob mit Erasmus- oder DAAD-Stipendien –; denn das bereichert! Wir wollen, dass akademische Mobilität geboostert wird. Statt Braindrain wollen wir Brain Circulation fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wissenschaft überwindet Grenzen, in Köpfen, über Disziplinen und über Staatsgrenzen hinweg. Marie Curie, Physikerin, in Polen geboren, in Frankreich studiert und gearbeitet, Nobelpreise aus Schweden – ohne sie gäbe es kein Röntgen in den Arztpraxen –, sie lebte den europäischen Forschungsraum. Ihr Wissen weitete Horizonte. Wir wollen mehr europäische und internationale Wissenschaftskarrieren fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Europa leben etwa 6 Prozent der Weltbevölkerung, aber Forschung und Entwicklung made in Europe sorgen für über 25 Prozent der globalen Wissensproduktion. Darum sind wir bestens gerüstet für den internationalen Innovationswettbewerb. Daher gilt gestern wie heute: Kooperation in Europa, mit europäischen Partnern, ist ein wesentlicher Treiber für Internationalisierung, und dafür setzen wir uns als regierungstragende Fraktion weiter ein.

Unser Antrag gibt Antworten auf viele neue Herausforderungen.

Erstens. Exzellente Wissenschaft braucht weltweite Wissenschaftsfreiheit. Autoritäre Regime versuchen, Wissenschaft einzuschränken und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. 3,6 Milliarden Menschen leben in Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit ganz oder vollständig eingeschränkt ist. Das sind 45 Prozent der Weltbevölkerung; das sind erschreckend viele, und das muss sich dringend ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen die Unterstützung für bedrohte Wissenschaftler/-innen und Studierende weltweit weiter ausbauen. Deutsche und europäische Schutzprogramme gehören dazu, von der Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander-von-Humboldt-Stiftung über Scholars at Risk bis zum neuen EU-Fellowship-Programm, das wir als deutsches Parlament maßgeblich mit vorangetrieben und angeregt haben. Ich lade alle dazu ein, unseren Vorschlag einer University in Exile nicht wegzumeckern, sondern gemeinsam weiterzudenken und das in die Zukunft zu tragen.

(Alexander Föhr [CDU/CSU]: Das Ministerium hat weggemeckert!)

Das Ministerium hat Ihnen geantwortet. Die Konzeptentwicklung beginnt. Das genau ist der Punkt, an dem man das auch in die Haushaltsberatungen einmünden lassen kann. Als Land und als Kontinent der Wissenschaftsfreiheit tragen wir für Forschende im Exil Verantwortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Die Zeitenwende macht vor der Wissenschaft keinen Halt. Wir haben unsere Wirtschaftsbeziehungen erfolgreich ausdiversifiziert, und genauso notwendig ist das jetzt für die Wissenschaftskooperation. Unter Freunden und Partnern spioniert man sich nicht aus;

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD: Frommer Wunsch!)

das ist ein wesentlicher Punkt für Forschungskooperation. Die Gefahr für deutsche Forschungseinrichtungen durch Russland ist gewachsen. Seit Putins Angriffskrieg gibt es noch mehr Desinformationskampagnen, noch mehr Cyberangriffe aus Russland. Wir müssen uns dagegenstemmen. Im Übrigen: Die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage ist nach Einschätzung des deutschen Verfassungsschutzes ein anderer Akteur, nämlich China. Darauf müssen wir reagieren. Maximale Freiheit geht nur mit besserem Schutz und mit mehr Sicherheit. Deshalb haben wir die China-Strategie gemacht. Die Nationale Sicherheitsstrategie und die Internationalisierungsstrategie folgen darauf; denn wir brauchen eine andere Wissenschaftskooperation als heute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der klare Kompass ist die Diversifizierung. Es war doch falsch, 20 Jahre lang die deutsch-asiatische Wissenschaftskooperation nur auf China einzuengen. Die ASEAN-Staaten wollen mit uns viel enger kooperieren, ob Singapur als Innovationsökosystem, ob Malaysia mit seinen Regenwäldern, wo man ganz viel Biodiversitätsforschung machen kann, oder ob Indonesien, auch ein Land, das mit uns viel enger kooperieren will.

Unser Kompass ist auch ein neues Risikobewusstsein und mehr Awareness. Das heißt nicht Decoupling, aber De-Risking, und das müsste doch im gemeinsamen Interesse dieses Hauses sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Deshalb braucht es eine stärkere interessen- und wertegeleitete Wissenschaftskooperation, man könnte auch sagen: eine Außenwissenschaftsrealpolitik.

Die Frage ist doch: Was nutzt uns, und was droht uns zu schaden? Das ist ein wichtiger Gradmesser für unsere Wissenschaftskooperation. Da würde ich sagen: Bei Hochrisikoforschung gebietet sich Vorsicht an der Bahnsteigkante. Bei der Forschung zu großen globalen Fragen unserer Zeit und unserer Zukunft wie Klimaschutz und Biodiversität sollten wir mehr Kooperation wagen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Kollege.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es geht nicht um das Ob von Internationalisierung, sondern nur um das Wie. Darauf gibt der Antrag viele gute Antworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Peter Heidt für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)