Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Versorgung bei psychischen Erkrankungen

Foto von Kirsten Kappert-Gonther MdB
30.11.2023

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Diana Stöcker, wir alle kennen Menschen in seelischen Krisen oder haben auch schon selbst eine erlebt. Derzeit erkrankt jede vierte Person im Laufe eines Jahres, Tendenz steigend. Eine Botschaft an die Betroffenen muss also sein – und ist hier heute auch –: Du bist, Sie sind nicht alleine.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Versorgungssystem muss das dann aber auch einhalten. Die vielen sich überlappenden Krisen drücken auf die Seele: die Folgen der Pandemie, der Krieg gegen die Ukraine und nun der furchtbare Terror gegen Israel. Gerade bei Menschen, die selbst Krieg, Terror und Flucht erlebt haben, kann das zu einer erneuten seelischen Erschütterung führen.

Und dazu kommt die Klimakrise. Auch sie gefährdet direkt die seelische Gesundheit. So adressieren es auch die Schlussfolgerungen zur psychischen Gesundheit des Rats der EU, die genau heute von den europäischen Gesundheitsministerinnen und -ministern verabschiedet wurden.

Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Erderhitzung zu einem Anstieg von Depressionen, Angsterkrankungen, sogar schizophrenen Psychosen führt. Die Hitzewellen führen zu einer Zunahme von Aggressivität. Deshalb ist auch Prävention so wichtig. Klimaschutz ist immer auch Gesundheitsschutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wer erkrankt ist, muss Hilfe bekommen. Aber der Zugang zu Hilfen in seelischen Krisen ist zu eng. Schon jetzt kann der Hilfebedarf, gerade in ländlichen Gebieten und bei Kindern und Jugendlichen, nicht umfassend gedeckt werden. Ein halbes Jahr ist eine Ewigkeit im Leben eines Kindes; so lang sind Wartezeiten. Das heißt, es ist dringend an der Zeit, zu handeln, und dafür braucht es mindestens Folgendes:

Mehr Prävention. Die Art und Weise, wie wir unsere Städte bauen, soll die seelische Gesundheit schützen und nicht gefährden. Ein Park in der Nähe, sichere Wege zu Fuß, auf dem Rad – egal ob mit kleinen oder großen Beinen –: Das fördert die Gesundheit. In Kitas, in Schulen, am Arbeitsplatz brauchen wir mehr Angebote zur Stärkung der seelischen Gesundheit.

Der Zugang zu Frühinterventionen muss einfacher werden, zum Beispiel durch flächendeckend zur Verfügung stehende Krisendienste, damit eine Krise keine Erkrankung werden muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch die Suizidprävention – sie ist schon angesprochen worden – muss dringend ausgebaut werden.

Menschen in seelischer Not müssen nicht nur schnell, sondern auch einfach Hilfe finden können. Denn – ganz wichtig! – seelische Erkrankungen sind zwar häufig, können aber in der Regel gut behandelt werden. Und darum brauchen wir mehr Plätze für Psychotherapie. Menschen, die aktuell besonders schwer Plätze in der Psychotherapie finden, brauchen deutlich bessere Zugänge.

Die Kapazitäten müssen angepasst und die Bedarfsplanung muss reformiert werden. Denn es kann ja tatsächlich nicht sein, dass wir immer noch mit Zahlen aus den 90er-Jahren agieren. Ich bin dankbar, dass wir wissen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss, Professor Hecken, sich hier auf den Weg gemacht hat und substanzielle Vorschläge vorlegt.

Nur mehr reicht aber nicht. Die bestehenden Hilfeangebote müssen besser mit den Alltagswelten und innerhalb des psychosozialen Hilfesystems vernetzt werden, ambulant wie stationär.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Stigmatisierung und Diskriminierung sind Riesenhürden auf dem Weg zu passgenauen Hilfen.

In all diesen Bereichen können und müssen wir unseren Beitrag leisten. Ich freue mich auf die Beratungen im Gesundheitsausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)